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20 Seiten, davon 16 leer: VENERDI 18 MAGGIO 2018 ANNO XCIII © GdP

Schock-Entscheid des Bischofs: Aus für das Giornale del Popolo

Beat Allenbach /  Nach 92 Jahren stirbt die letzte katholische Tageszeitung der Schweiz. Chefredaktorin und Redaktoren sind überrascht und schockiert

Gestern Freitag ist das «Giornale del Popolo» (GdP) mit leeren, grauweissen Seiten erschienen – mit Ausnahme der Titelseite, drei Inserateseiten und dem Impressum. Neben einem Editorial von Valerio Lazzeri, dem Bischof von Lugano, (Headline «La decisione piu difficile») schreibt vorne Chefredaktorin Alessandra Zumthor kurz und bündig, dass sie nach der erschütternden Mitteilung des Bischofs ihren rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht zumuten wollte, noch Artikel zu schreiben.

Es war ein Blitz aus nicht ganz heiterem Himmel, denn die wirtschaftliche Lage war seit langem prekär. Am Freitag um 18 Uhr erklärte die Chefredaktorin dann am Radio der italienischen Schweiz, die Redaktion bemühe sich für den Samstag, eine allerletzte Ausgabe mit teils bereits vorbereiteten Texten zu veröffentlichen. Weiter sucht sie nach einer Lösung, die Publikationen weiterzuführen.

Der Bischof hat keinen Sozialplan

Verleger des GdP – und das ist das Einzigartige in der Schweizer Presselandschaft – ist der Bischof von Lugano, Valerio Lazzeri. Er begründet den schwerwiegenden Entscheid auf der Titelseite mit dem Konkurs der Publicitas AG, welche noch die wenigen Anzeigen vermittelte. Da die Werbeeinnahmen plötzlich wegfielen, fehlten die Mittel, um die Zeitung am Leben zu erhalten. Es könnten noch die Löhne für den Monat Mai bezahlt werden, doch für einen Sozialplan fehlen der Zeitung wie dem Bistum die Mittel. Das ist die empörende Nachricht. Inzwischen sind schon viele Solidaritätsbotschaften eingegangen. Der Doyen der Tessiner Journalisten und ehemalige Stiftungsratspräsident des Schweizer Presserats, Enrico Morresi, hat den Bischof aufgefordert, eine Sammlung für den Fonds zugunsten der Entlassenen zu organisieren, wobei er eine Spenden von 1000 Franken in Aussicht stelllte. In der (als letzte angekündigten) Ausgabe war bereits die Adresse und die Kontonummer des Vereins Freunde des GdP gedruckt. Der katholische Gewerkschaftsverband im Tessin wird sich für die entlassenen Journalistinnen und Journalisten einsetzen. Diese befinden sich in einer verzweifelten Situation, denn in den Medien im Tessin werden sie kaum ein Stelle finden.

Alleingang ein Fehlentscheid?

GdP, die Stimme der katholischen Kirche, Auflage rund 10’000 Exemplare, war schon lange in Schwierigkeiten. Eine enge Zusammenarbeit mit dem auflagestärksten «Corriere del Ticino» (ca. 32’000 Exemplare) brachte Werbung und bot eine gewisse Sicherheit, dass die Zeitung eine breite Berichterstattung über kirchliche Angelegenheit und die Entwicklungen im Vatikan beibehalten konnte. Im vergangenen Herbst drängte der Verlag des Corriere darauf, die Redaktion des GdP müsse um mehr als die Hälfte verkleinert werden. Dieses harte Sparprogramm wollten das Bistum und die Redaktion nicht erleiden und sie entschieden sich für die Selbständigkeit im Vertrauen darauf, Publicitas werde Werbeeinnahmen vermitteln können. Der mutige Entscheid zur Selbständigkeit wurde jetzt zum Verhängnis und es gibt verschiedene Stimmen, welche die Trennung vom Corriere als Fehler betrachten. Anstelle einer stark verkleinerten Redaktion hat das GdP jetzt keine mehr.
In ihrer kurzen Mitteilung gab die Chefredaktorin Zumthor ihrer Hoffnung Ausdruck, dass es sich nicht um einen definitiven Abschied handle, sondern ein Wiedersehen möglich sein werde. Infolge des plötzlichen Verschwindens von Publicitas war es nicht mehr möglich, den Übergang zu einer Wochenzeitung vorzubereiten. Deshalb sind die Chancen für ein Auferstehen des GdP in anderer Form gering.

Früher ein Pionier

Die von Monsignor Alfredo Leber im Jahr 1926 im Auftrag des damaligen Bischofs, Aurelio Bacciarini, gegründete katholische Zeitung, die er während 57 Jahren bis zu seinem Tod leitete, war jenes Blatt, das im ganzen Kanton gelesen und in jeder Pfarrgemeinde vertreten war. Es war die erste Tageszeitung mit einem späten Redaktionsschluss, so dass die Leser die neusten Sportresultate am drauffolgenden Morgen lesen konnten. Eine weitere Pionierleistung war, dass in den verschiedenen Tessiner Städten Lokalredaktionen aufgebaut wurden. Es gab nach 1983 auch bekannte Chefredaktoren wie Silvano Toppi und den jetzigen Ständerat Filippo Lombardi.

Ende des Tessiner Wunders

Bis vor kurzem staunten viele, dass die starke Pressekonzentration in der Schweiz, wo nur noch wenige Verlage den Markt beherrschen, im Tessin kaum Spuren hinterliess. Noch verfügte das Tessin mit seinen gut 350’000 Einwohnern über drei Tageszeitungen und zahlreiche Publikationen, die wöchentlich oder monatlich erscheinen.
Jetzt bleibt noch der auflagestarke «Corriere del Ticino», welcher der Wirtschaft und den Freisinnigen nahesteht; er beobachtet auch aufmerksam die Lega dei Ticinesi, die in den Regierungen des Kantons und von Lugano stärkste Kraft geworden ist. Die zweite Tageszeitung «LaRegione» (ca. 26’000 Exemplare) steht dem geschrumpften sozialliberalen Freisinn nahe. Sie hat ihre Redaktion in Bellinzona und ist vor allem im nördlichen Tessin, im Sopraceneri, stark verbreitet, während der Corriere vor allem in Lugano und im ganzen Sottoceneri gelesen wird. Beide Blätter haben verschiedene Lokalredaktionen, die teils täglich eine bis drei Seiten über das Luganese, das Mendrisiotto, das Bellinzonese und das Locarnese produzieren und sich in einem ständigen Wettkampf um Neuigkeiten befinden. Wie lange im Tessin neben der Gratiszeitung «20 minuti» und den gratis Sonntagszeitungen «il caffè» und dem Lega-Blatt «il Mattino della domenica» zwei Tageszeitungen überleben können, ist ungewiss, obschon die Hoffnung gross ist, diese Konkurrenzsituation möge noch lange bestehen.
Weniger liest man über die eidgenössische Politik und die verschiedenen Regionen der Schweiz. Vor allem LaRegione fehlen die Journalisten vor Ort. Das trifft immer mehr auch für die deutschschweizer Presse zu: keine einzige Tageszeitung hat im Tessin noch einen festen Korrespondenten. Deshalb sind Radio und Fernsehen der deutschen Schweiz derart wichtig: sie verfügen über aufmerksame und kompetente Mitarbeiter im Tessin, aber auch in anderen Regionen.

Sieben Tageszeitungen in den 80er Jahren

Noch ein Blick zurück. In den späten 80er-Jahren existierten neben «Corriere del Ticino» und dem «Giornale del Popolo» der freisinige «Dovere», die rechtsfreisinnige «Gazzetta Ticinese», das CVP-Blatt «Popolo e Libertà», die SP-Zeitung «Libera Stampa» und der unabhängige, sozialliberale «Quotidiano». Diese Vielzahl von Tageszeitungen konnte nicht mehr lange bestehen, aus den Parteiblättern wurden Wochenzeitungen, «Il Quotidiano» musste sein Erscheinen nach zwei Jahren einstellen.

Nach der Schliessung des «Giornale del Popolo» verbleiben noch zwei Tageszeitungen.

PS: Heute Samstag ist die wohl wirklich letzte Ausgabe des Giornale del Popolo erschienen, zumindest online, mit vielen Leserbriefen und vielen Bitten, den GdP doch nicht sterben zu lassen. Diese Ausgabe kann als PDF eingesehen und/oder downgeloadet werden, siehe unten.


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2 Meinungen

  • am 19.05.2018 um 13:14 Uhr
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    Als ich 1977 definitiv im Tessin Wohnsitz nahm,waren die meisten meiner Nachbaren Abonnenten des GdP.Diese sind jetzt gestorben oder im Altersheim.Wieviele zahlende Menschen hat das GdP den jetzt.Unter 50 jährig sicher keine 5000.Alle Menschen die ich als Leser kannte versuchten NIE etwas im Internet zu lesen oder gar zu bezahlen.Ich weis nicht wo Sie lebten,Herr Allenbach,als der Bischof Silvano Toppi hinaus warf um Lombardi zu installieren?
    Es gäbe zum GdP sehr viel zu schreiben,aber ich schreibe nicht gerne für die Zensur.(Es reicht mir völlig, das Supino heute schon zuschlug.)

  • am 19.05.2018 um 19:19 Uhr
    Permalink

    Was lese ich da? Die Kurie hat kein Geld….. Se non ê vero, è ben trovato oder so ähnlich. Die Kurie und/oder ihr nahe Stiftungen haben seeehr viel Geld inkl. Immobilienbesitz in bester Lage (z.B. via Nassa, Lugano). Die katholische Fakultät in Lugano (konservative Ausrichtung) muss auch unterhalten und bezahlt werden, wohl über eine der kuriennahen Stiftungen. Dem Giornale del Popolo fehlen CHF 400’000 und die sind anscheinend nicht vorhanden, auch nichts für den Sozialplan. Das viele Geld/Vermögen der Kurie liegt formell in den Stiftungen und dieselben erscheinen natürlich nicht in der sog. offiziellen Bilanz/GV-Rg der Kurie. Katholisch eben alles…… Die reichen Tessinerkatholiken und deren ‹Geheimbünde› wie z.B. CL Comunione e Liberazione oder Opus Dei haben wohl auch kein Geld.

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