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«Journalismus - das heisst bohren und graben können» © Patrick Chappatte in Le Temps

«L’Hebdo»: Der Tod einer Zeitung

Robert Ruoff /  Die Einstellung des letzten politischen Magazins ist ein dramatisches Warnsignal für die Medienlandschaft der Schweiz.

Es ist ein Schock. In der Schweizer Medienhauptstadt Zürich wurde die Entscheidung gefällt, das letzte Wochenmagazin der Westschweiz einzustellen. Genauer gesagt: Das Verlagshaus Ringier Axel Springer hat entschieden, das letzte politische Magazin der Schweizer Presse nicht mehr zu produzieren. Nach «Die Woche» (Ringier, 1982) und «Facts» (Tamedia, 2007) ist «L’Hebdo» der letzte Todesfall dieser Art in der Schweiz.

Am 25. Januar 2017 hat nun also in Lausanne eine letzte grosse Redaktionssitzung stattgefunden, am Samstag, 28. Januar, lädt die Redaktion ein zu einem Tag der offenen Tür mit einem Brunch für die Leser und Nutzer, und am 2. Februar erscheint das Blatt zum letzten Mal. «L’Hebdo» hat 35 Jahre und vier Monate existiert.


Erste Nummer von «L’Hebdo» im Jahr 1981
Das heisst: Ein privates Medienerzeugnis verschwindet, das auf seine Weise während 35 Jahren einen journalistischen Service public geleistet hat. Die erste Ausgabe erschien mit dem Thema «Kaiseraugst» auf dem Titel. Schule und Bildung waren seine Themen, Texte über Rassismus und Geldwäscherei erregten Aufsehen und brachten dem Gründer und Chefredaktor Jacques Pilet eine Verurteilung ein – Jahre später brachte Wikileaks Dokumente an die Öffentlichkeit, die «L’Hebdo» im Fall der Geldwäscherei Recht gaben. Und durch alle Wendungen des redaktionellen Konzepts stand «L’Hebdo» immer für eine offene Schweiz. Das Magazin war ein Markenzeichen für guten Journalismus mit Ausstrahlung auf die ganze Schweiz.

Die Vorgänge um die Einstellung von «L’Hebdo» sind durchsetzt von der heute üblichen, schon gewohnten kühlen Herrschaft der Zahlen. Der Verlag wollte nicht länger über die Tatsache hinwegsehen, dass die Zeitschrift seit 15 Jahren mit Ausnahme von 2007 «tief rote Zahlen» schreibt, so Ralph Büchi, der Delegierte des Verwaltungsrats der Ringier Axel Springer Schweiz AG. In den letzten vier Jahren habe sich der Niedergang noch beschleunigt. «L’Hebdo» hat in dieser Zeit nochmals die Hälfte der Werbeeinnahmen und rund ein Drittel der verkauften Auflage verloren. Das heisst: Das Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr, die Zeitung wird eingestellt.

Kein Relaunch

Diese Entscheidung fand statt, nachdem die Redaktion im Laufe des Jahres 2016 mit Zustimmung der Geschäftsleitung ein neues Konzept für das digitale Zeitalter entwickelt hatte, das getragen sein sollte von einer verstärkten Debatte der Leser und Nutzer über die aktuellen Themen und Ereignisse der Zeit und der Region. Im Herbst war es fertig, die Redaktion erwartete eine Entscheidung auf Ende des Jahres, aber, so Ralph Büchi, die Geschäftsleitung gab aufgrund der wirtschaftlichen Situation kein grünes Licht.

Als «ausgezeichnet» sei das Konzept beurteilt worden, sagt «L’Hebdo»-Chefredaktor Alain Jeannet, «ansprechend» nennt es heute VR-Präsident Büchi. Und auf letzten Sonntag «wurden die drei Chefredaktoren von ‹Le Temps› und ‹L’Hebdo› per SMS einberufen, weil man ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen habe», so Jeannet. Dass das keine gute News sein würde, war ihm klar.

Eine monatelange Arbeit der Redaktion an einem zukunftsbezogenen Konzept wird also mit einem Federstrich annulliert. Und 37 Stellen aus dem gemeinsamen Pool von «L’Hebdo» und «Le Temps» werden abgebaut. Rund die Hälfte dieses Abbaus ist aus Sicht der Redaktion eine weitere Sparmassnahme für die Tageszeitung «Le Temps», die also mit reduzierten Kräften um das Überleben kämpfen soll.

Kein Management Buy-out

Und Alternativen zur Einstellung von «L’Hebdo» gab es nicht. «Über ein Management Buy-out lehnte Ringier Axel Springer jede Diskussion ab», so Jeannet, und Ralph Büchi bestätigt, dass die Überlassung der Marke «L’Hebdo» an die Redaktion für den Verlag nicht in Frage kam. «Der Verleger hat auch die Verantwortung, allfällige Investoren aus der Redaktion vor dem eigenen Mut zu schützen, damit sie sich nicht ins finanzielle Unglück stürzen.»

Es mag sein, dass der internationale Verlag Ringier Axel Springer «Le Temps» tatsächlich auf Dauer weiterführen will. Es mag sein, dass der Verlag tatsächlich von «L’Hebdo» keine Konkurrenz für das längst geplante Samstagsmagazin «T» als Beilage zu «Le Temps» fürchtete – «als erfolgreiches Magazin hätten wir es ja sonst selber weiterführen können» (Büchi). Und auch einen «substantiellen Verlust» an Medienvielfalt mag der VR-Delegierte nicht erkennen. Der Pluralismus wird aus seiner Sicht in den Medien der Romandie weitergeführt.

Aber auch den verbleibenden Zeitungen wird der noble Aufruf von «L’Hebdo»-Chefredaktor Alain Jeannet an die Leserschaft, «Le Temps» oder andere Zeitungen zu abonnieren, nur über eine kurze Strecke helfen, denn die Konzernzentralen in Zürich, Berlin oder Paris kalkulieren kühl, und die Romandie ist, wie bald auch die ganze Schweiz, nur eine kleine Medienprovinz.

Jacques Pilets neuer Versuch

Es könnte hingegen sein, dass Verlagshäuser, denen das traditionelle Geschäft der Tages- und Wochenzeitungen zerbricht, nichts so sehr fürchten wie den Erfolg eines anderen Geschäftsmodells. Denn so langsam verbreitet sich nicht nur in den Kreisen linker Politiker und weltfremder Experten die Einsicht, dass ein leistungsfähiger unabhängiger Journalismus auch bei privaten Medien mit öffentlichen Mitteln gestützt werden muss, wenn er Bestand haben soll.

Das private Forschungs- und Beratungsunternehmen publicom hat mit einer Umfrage bei Medienverantwortlichen, Medienschaffenden und Experten die Antwort bekommen: «Alle qualitativ hoch stehenden Medienprodukte werden in Zukunft zum grössten Teil von Gebühren und Subventionen leben.» Und die Forscher schreiben: «Fast die Hälfte der Befragten hält diese Form für zukunftstauglich.» Otfried Jarren, Medienforscher und Präsident der Eidgenössischen Medienkommission EMEK, geht davon aus, dass eine Finanzierung über gemeinschaftliche Formen wie Genossenschaften oder Stiftungen für die demokratierelevanten Medien zwingend notwendig und auch akzeptiert sein wird.

So will auch Jacques Pilet, der Gründer und langjährige Chefredaktor (1981 – 1991) von «L’Hebdo», so schnell nicht aufgeben. Bei der letzten grossen Redaktionskonferenz des Magazins am 25. Januar ist er mit der Mitteilung aufgetreten, dass er eine Internetadresse mit dem Namen «www.bonpourlatete.com» reserviert hat. «Bon pour la tête» – «gut für den Kopf». Das war der Slogan des Magazins, das jetzt zum Tode verurteilt ist.

Pilet stellt damit im Augenblick nicht viel mehr bereit als eine Plattform wie «Infosperber». Es ist ein Platz für Publizisten, die weiter schreiben wollen. Und die Plattform könnte sich mit Romandie Combi zusammenschliessen, dem Netzwerk regionaler Zeitungen, die redaktionell und in der Werbung zusammenarbeiten. Auf diese oder auf eine andere Weise könnte «Bon pour la tête» auch zu einer Basis für eine neue berufliche Existenz werden. Pilet: «Man darf nicht aufhören, nachzudenken, auch wenn die Hoffnung gering ist.»

Tatsache ist: Es steht Entscheidendes auf dem Spiel.


Die Rechtsnationalen freuen sich. Bild in grösserem Format hier.

Das totalitäre Denken

Die rechtsnationale Westschweizer Internetplattform «Les Observateurs» lässt die Champagnerkorken knallen und schreibt: «Das Verschwinden einer solchen Zeitung kann man nur feiern.» Verantwortlich für die Website ist der ehemalige Soziologie-Professor Uli Windisch, finanziert wurde die Gründung der Website 2012 unter anderem von Tito Tettamanti und anderen finanzkräftigen Geldgebern aus dem Umfeld von Christoph Blocher, meinte damals die NZZ. Es war die Zeit, als Blocher die «Basler Zeitung» übernahm und Tettamanti und andere die «Medienvielfalt Holding» mit Filippo Leutenegger an der Spitze etablierten. Heute kann man «Les Observateurs» mit einigen ihrer Inhalte als Bonsai-Version der rechten amerikanischen Plattform «Breitbart» betrachten, deren Chef mittlerweile zum Chefstrategen von Präsident Trump aufgestiegen ist und die Presse dazu auffordert, «den Mund zu halten und eine Weile einfach nur zuzuhören.»

Auch bei der Westschweizer SVP hat man auf das Ende von «L’Hebdo» offenbar mit Champagner angestossen. Kevin Grangier, Generalsekretär der SVP Waadt, schreibt: «L’Hebdo geht; das gibt Platz für die ‹Weltwoche› auf französisch.» Er zeigt damit die wahren Absichten der Medienpolitik der SVP: «Der Markt» soll den Platz frei räumen für die Kampfpresse der SVP anstelle eines unabhängigen, kritischen Journalismus. Das kann eine französische Ausgabe der «Weltwoche» aber auch die Gratis-Wochenzeitung von Christoph Blocher sein.

Lebendige Demokratie lebt von der vielfältigen Sicht auf die Wirklichkeit und von der Vielfalt der Medien, welche die Wirklichkeit der Dinge und die Verschiedenheit der Meinungen transportieren. Was aber die extreme Rechte bis hinein in die SVP offenbar fordert oder zumindest offen wünscht, ist die Vernichtung missliebiger Sichtweisen und ihrer Medien und die Herrschaft parteilicher oder parteigebundener Kampfmedien. Das ist der Ausdruck totalitären Denkens.

Der Kampf gegen den Service public

«‹L’Hebdo› war der Service public einer privaten Mediengruppe» sagt Jacques Pilet. Und dieser Service public wird jetzt eingestellt. «20minutes», die französischsprachige Ausgabe von «20minuten» (Tamedia) veröffentlicht zum Ende von «L’Hebdo» eine ganze Reihe von Kommentaren mit der Stossrichtung: «Und jetzt No-Billag». Mit dem genau gleichen Ziel: den Service public der SRG zu zerstören «mit seiner rosa-grün-europäischen politischen Werbung.»


Meinungseinträge in «20minutes». In grösserem Format hier.

Die Einstellung von «L’Hebdo» durch Ringier Axel Springer war die kühle Geschäftsentscheidung eines internationalen Verlagshauses, dem der Verlust an Meinungsvielfalt in einer kleinen gallischen Provinz im besten Fall zweitrangig ist. Die Kommentarspalte von «20minutes» zeigt, dass die Gratiszeitung aus dem Haus Tamedia sich erfolgreich zum Sammelbecken und Echoraum der rechtslastigen Gegner eines jeden Service public gemacht hat, der diesen Namen verdient, weil er die Bürgerinnen und Bürger mit den Herausforderungen unserer Zeit in vielfältiger Form konfrontiert.

Der Tod von «L’Hebdo» ist ein Schock. Dieser Schock sollte ein Weckruf sein. Das offene oder verdeckte Zeitungssterben geht seit Jahren weiter: Zeitungen werden zusammengelegt, Redaktionen werden ausgedünnt, Hunderte von Stellen gehen in der politischen Publizistik schon fast jährlich verloren, Texte werden in wachsender Zahl aus dem Ausland eingekauft. Verlegerpräsident Pietro Supino bezeichnete den Werbemarkt 2016 als «grauenhaft» und erklärte: «Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass 2017 ein gemütlicheres Medienjahr werden wird.» Auch diese Aussage kommt daher als kühle, geschäftsmässige Feststellung. Die Zeichen für die Medienlandschaft Schweiz stehen auf Sturm.
Also ist es Zeit zum Handeln und neue Wege zu beschreiten.


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3 Meinungen

  • am 27.01.2017 um 16:04 Uhr
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    Diese unsägliche Entwicklung wird leider anhalten und sich vermutlich sogar noch verstärken und beschleunigen und auch Projekte wie dieses hier werden wohl ums Überleben bangen müssen. Abhilfe schaffen würde ein Grundeinkommen! Auch wenn diese Idee im ersten Anlauf leider gescheitert ist – dieser Gedanke ist weiterzuverfolgen! Vielleicht sollte das Grundeinkommen nicht völlig bedingungslos, sondern an eine ehrenamtliche Tätigkeit, wie eben zum Beispiel freie Medienarbeit gebunden sein. So hätte das Projekt Grundeinkommen möglicherweise Aussicht auf Erfolg.

  • am 30.01.2017 um 03:03 Uhr
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    Wenn ich den Artikel richtig verstehe, ist es so: Rechte Zeitungen können sich am Markt behaupten, linke Zeitungen finden nicht mehr genug Leser und sollen daher mit «öffentlichen» Geldern finanziert werden. (Wobei ich nichts dagegen habe, solange damit private Stiftungen gemeint sind – linke Millionäre gibt es genug, und vielleicht können die linken Redakteure schlussendlich auch den Finanzkapitalisten klarmachen, dass sie den Schulterschluss im Namen des Mondialismus brauchen.)

    Aber als es in Basel nur eine linke Tageszeitung gab – hat damals irgend jemand den Ruf gehört, der Staat solle doch bitte im Namen der «Vielfalt» ein rechtes Blatt subventionieren? Vielleicht sind Rechte einfach nicht arrogant genug, um zu glauben, dass der Staat für sie aufkommen muss??

  • am 30.01.2017 um 20:45 Uhr
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    Dass die brutalen geldbesessenen «Eliten» die Nase vorne haben zeigt sich in jedem Bezirk unserer Gesellschaft. Ein revolutionärer Chaos braut sich zusammen. Sein Ausbruch ? In 10 bis 20 Jahren .

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