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Stark auf Twitter: Falsche Userkonten verbreiten falsche Nachrichten tausendfach. © TV4

Schwedendemokraten betreiben seit Jahren geheime «Trollfabrik»

Pascal Sigg /  Die rechtsextreme Partei verbreitet organisiert Desinformation. Dies enthüllte ein Journalist, der monatelang für sie arbeitete.

Die Schwedendemokraten (SD) haben in den letzten Jahren ein umfassendes System aufgebaut, um die öffentliche Debatte in Schweden zu manipulieren. Dies zeigt eine aufwändige Undercoverrecherche des privaten TV-Senders TV4 mit versteckter Kamera. Von der zweiteiligen Recherche wurde bisher der erste Teil ausgestrahlt.

Die Enthüllungen bestätigen zum einen frühere Rechercheberichte zum Vorgehen der Partei im Netz. Zum anderen zeigen sie erstmals detailliert auf, wie die Partei dabei vorgeht.

  1. Vermeintlich journalistische Websites publizieren Artikel, die als seriöse Nachrichten erscheinen. Wichtig dabei ist der auf YouTube ausgestrahlte TV-Kanal Riks.
  2. Falsche Userkonten verbreiten diese Artikel wiederum auf Social-Media-Plattformen. Sie posten, liken, retweeten.
  3. Im Idealfall verbreiten nun auch zehntausende richtige User den entsprechenden Post.
  4. Dadurch werden falsche Tatsachen einerseits verbreitet und andererseits wenig populäre Meinungen als weit verbreitet dargestellt. So erscheint die Unterstützung für eine marginale politische Position als stärker abgestützt, als sie tatsächlich ist.

Verdeckte Recherche

All dies zeigen Emil Hellerud und Daniel Andersson vom Rechercheformat «Kalla fakta». «Wir hatten monatelang mit Informanten gesprochen und Daten von Social-Media-Plattformen analysiert», sagen die beiden Journalisten. Sie hatten Aussagen mehrerer ehemaliger Insider. Doch sie wussten auch, wie die Schwedendemokraten auf frühere Enthüllungen reagiert hatten. Die Partei bestritt nämlich wiederholt entschieden, dass sie ein solches System unterhielt. Es brauchte neue Methoden, um den Beweis unwiderlegbar zu erbringen.

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Lebt fast ein Jahr lang Doppelleben: Undercover-Journalist Daniel Andersson bereitet sich auf ein Treffen vor.

Und so schleust sich Andersson Schritt für Schritt in die Partei ein. Zuerst wird er Mitglied in einem konservativen Studentenverbund und sucht den Kontakt zu Leuten, die in Medienberichten genannt wurden. Ein Mann erzählt ihm, dass bereits 2018 Mitglieder der Jungpartei angestellt wurden, um Onlinekommentare zu bearbeiten, und dass er selber die Gruppe leitete. Er nennt sie «nätkrigare» – Netzkrieger. Nach einem halben Jahr bekommt Andersson eine Anstellung beim YouTube-Kanal Riks.

YouTube-Propaganda im IKEA-Kleid

Der Kanal sendet ein umfangreiches politisches Programm mit Morgensendung, Nachrichten und Debattenformaten. Er liefert gemütliche Wohlfühlstimmung in IKEA-Ästhetik kombiniert mit harter politischer Analyse, stetig begleitet von traditionellen schwedischen Identitätsangeboten. Die Partei stritt bis zuletzt ab, dass sie Einfluss auf den Programminhalt hat. Es sei wichtig, dass der Kanal unabhängig sei, meinte Joakim Wallerstein, Kommunikationschef der Schwedendemokraten. Sonst würden sich keine Politiker anderer Parteien interviewen lassen.

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Direkt in wohlige Wärme in schwedische Stuben: Morgensendung des Propagandakanals Riks.

Doch in der Recherche kommen enge Verbindungen ans Licht, die zeigen, dass Wallerstein tägliche Sitzungen mit dem Riks-Leiter hat. Dieser sagt, dass viele Leute eben schnell eine konservative Interpretation von Nachrichten bräuchten. Über die jungen Frauen, die bei Riks täglich auftreten, sagt ein Parteivertreter: Die Partei wolle damit nicht zuerst junge Frauen ansprechen. Vielmehr würden Männer Mitte 50 gerne jungen Frauen zuschauen, die konservative Dinge sagen. So trauten sich diese Männer dann, auch gegenüber ihren eigenen Frauen konservative Meinungen zu vertreten.

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Sie sollen Männer dazu bringen, ihre Frauen zu überzeugen: Moderatorinnen auf Riks.

Der YouTube-Kanal ist bekannt für einseitige, irreführende Berichterstattung. Aussagen politischer Gegner werden verdreht und aus dem Kontext gezerrt. Andersson erlebt selber mit, wie ein Team zusammen mit einem Kandidaten für die EU-Wahlen eine Meinungsumfrage manipuliert, indem es die Teilnehmenden selber rekrutiert und intensiv an der passenden Formulierung der Fragen arbeitet, um die gewünschten Antworten zu erhalten. Die Resultate werden später in der kuschligen Morgenshow als Fakten debattiert.

Streng geheime Gruppe im Nebenzimmer

Dass die Partei im Gebäude, wo das TV-Studio untergebracht ist, auch tatsächlich eine «Trollfabrik» betreibt, erfährt Andersson erst neun Monate nach Beginn seiner Undercover-Recherche. Denn von Riks kann er nach wenigen Monaten zur Kommunikationsabteilung der Partei wechseln und lernt eine Gruppe junger Männer kennen, die hunderte falscher Social-Media-Konten betreiben, um systematisch Desinformation zu verbreiten.

«Während meiner ganzen Zeit bei der Kommunikationsabteilung war ich erstaunt, wie gross das Unternehmen war und vor allem, wie geheim», sagte Andersson nach Ausstrahlung des ersten Teils seiner Recherchen. Mehr zur Trollfabrik soll im zweiten Teil bekannt werden. Die Ausstrahlung ist kommende Woche geplant.

Partei mit direktem Regierungseinfluss manipuliert systematisch

Die intensive, monatelange Recherche sei notwendig gewesen, sagte Andersson weiter. «Sie war wichtig, weil es nicht irgendeine Organisation ist, die Falschnachrichten verbreitet. Es ist eine politische Partei, die systematisch mehrere Jahre hinweg geheim gehalten hat, dass sie bewusst die demokratische Debatte manipuliert.»

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Ständig in heimlichem Austausch: Die Journalisten Daniel Andersson (links) und Emil Hellerud.

Die Schwedendemokraten haben in den letzten Jahren Macht gewonnen wie keine andere Partei Schwedens. Erreichten sie 2010 noch wenig mehr als 5 Prozent WählerInnenanteil, wurden sie 2014 drittgrösste Partei im Reichstag. Bis 2019 verweigerten ihnen die anderen Parteien die Zusammenarbeit. Bei der letzten Parlamentswahl 2022 erreichten sie 20 Prozent der Stimmen. Damit wurden sie hinter den Sozialdemokraten (30 Prozent) zweitgrösste Partei im Parlament.

Die drei kleinen Mitteparteien Moderaterna, Kristdemokraterna und Liberalerna bildeten nach den Wahlen eine Regierung, welche eine enge Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten beinhaltet. In Sachfragen haben diese direkten Einfluss, auch wenn die Partei kein Regierungsmitglied stellt.

Politische Konsequenzen ungewiss

Journalist Hellerud sagte nach der Ausstrahlung des ersten Teils: «Es wird interessant zu sehen, wie die anderen Parteien reagieren. Vor allem die Regierungsparteien, die mit den Schwedendemokraten zusammenarbeiten.»

Ministerpräsident Ulf Kristersson reagierte zurückhaltend auf die Enthüllungen. Die Vorwürfe seien ernst zu nehmen, letztendlich seien sie aber Sache der Schwedendemokraten. Johan Pehrson, Parteipräsident der Liberalen, schrieb auf Twitter: «Alle Parteien sind dafür verantwortlich was sie verbreiten und dass sie dies auf transparente Art tun.» SD-Kommunikationschef Wallerstein wand sich in einem ausführlichen Konfrontationsinterview und dementierte Aussagen, welche die Journalisten aufgenommen hatten.

Jimmie Åkesson, der bekannteste Schwedendemokrat und Parteipräsident, sagte, er finde die Recherche nicht so interessant. Es sei ja nichts Besonderes dabei, dass politische Parteien im Netz aktiv sind und ihre Botschaften verbreiten. Die Morgensendung des YouTube-Kanals Riks titelte am Tag nach der Ausstrahlung: «TV4 verbreitet Desinformation über Riks».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Rechtsextreme in Europa

Arbeitslosigkeit, Immigration und zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich sind Nährboden für Extremismus.

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

5 Meinungen

  • am 9.05.2024 um 11:39 Uhr
    Permalink

    Rechtsextreme machen rechtsextreme Dinge. Das ist in Schweden nicht anders als in der Schweiz, und wenn man im Parlament vertreten ist, darf der Präsi der SVP sogar lügen, man wolle der Bevölkerung das Steak verbieten, was im Qualitätsmedium NZZ dann als „Stimmung machen“ verharmlost wird.

  • am 9.05.2024 um 11:49 Uhr
    Permalink

    Sehr aufschlussreiche Geschichte. Diese Methoden werden Schule machen (oder haben längst Schule gemacht). Welche politische Partei wird schon auf diese «Waffen» verzichten wollen? Gibt es wasserdichte Mittel, mit denen verhindert werden kann, dass ein Troll hunderte Social-Media-Konten unterhält? Müsste nicht jedes Social-Media-Konto so mit der natürlichen Person, die es angemeldet hat, verknüpft sein, dass die Betreffenden fürchten müssen, dass ihre unlauteren Praktiken ans Licht gebracht und Ross und Reiter genannt werden?
    Ganz ausgespart bleibt in dem Artikel die Frage, wie sich diese Organisation finanziert.

    • Portrait Pascal.Sigg.X
      am 9.05.2024 um 17:10 Uhr
      Permalink

      Anscheinend aus der Parteikasse und damit teilweise auch mit Steuergeldern. Auch in Schweden erhalten politische Parteien Staatsbeiträge.

  • billo
    am 9.05.2024 um 12:03 Uhr
    Permalink

    Ich säg nur: Teleblocher.

  • am 9.05.2024 um 19:14 Uhr
    Permalink

    Das Problem liegt im Funktionsprinzip dieser sogenannt «sozialen» Medien begründet. Intransparenz und Manipulation sind feste Bestandteile davon. Die Konzerne, welche diese Kanäle betreiben, haben gar kein Interesse, das zu ändern. Es geht ihnen nur darum, ihre User möglichst stark ans Medium zu binden. Die Bewirtschaftung von Empörung und Hass sind bewährte Methoden dafür.

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