Kommentar

Die digitalen Dompteure zeigen Trump ihre Macht

Rainer Stadler © zvg

Rainer Stadler /  Twitter und Co. verbannen den US-Präsidenten wegen Aufrufs zu Gewalt. Kurzfristig mag das legitim sein. Aber nicht langfristig.

Was macht ein Kommentator, wenn er ratlos ist und dennoch ein Ereignis kritisch kommentieren muss? Er operiert mit dem Vorwurf der Scheinheiligkeit. Die Allzweckwaffe des politischen Journalismus gelangte auch dieser Tage zum Einsatz, nachdem Twitter den scheidenden US-Präsidenten von seiner Plattform verbannt hatte und nachdem auch andere Schleusenwärter der IT-Industrie gegen Trumps Medienpräsenz eingeschritten waren. Dieser Akt sei scheinheilig, so hiess es, weil die sozialen Netzwerke jahrelang vom Provokateur im Weissen Haus profitiert hätten und ihn am Ende seiner Präsidentenkarriere nun schnöde rauswürfen. Die Kritik fällt direkt zurück auf die zahlreichen Massenmedien, die Trumps Aktionen dankbar nach Massgabe der Klick-Zähler ausschlachteten.

Ranghohe Politiker in Europa äusserten sich ebenfalls negativ zu den Eingriffen der IT-Giganten. Sie sehen das Grundrecht der Meinungsäusserungsfreiheit gefährdet. Der Sprecher der deutschen Bundeskanzlerin sagte dem «Spiegel», Eingriffe könne es nur entlang der Gesetze geben, nicht auf Grund von Beschlüssen der Betreiber von sozialen Netzwerken. Ähnlich äusserte sich der französische Wirtschaftsminister Bruno Lemaire. Er sei schockiert über die Entscheidung von Twitter. EU-Kommissar Thierry Breton wie auch der Chef der Konservativen im EU-Parlament, Manfred Weber, sehen sich bestätigt in ihren Forderungen, die Big-Tech-Firmen mehr zu kontrollieren. Das wirft eine ätzende Frage auf: Wie würden diese EU-Politiker reagieren, wenn beispielsweise Ungarns Premierminister Victor Orban via Twitter oder Facebook zum Sturm aufs Parlament animiert hätte?

Ermunterung zum Aufruhr

Trump hat vor einer Woche seine militanten Anhänger ziemlich unverblümt dazu ermuntert, das Capitol zu stürmen und damit ins Herz des amerikanischen Staats zu stossen. Der Aufruf zu Gewalt ist auch in freiheitlichen Staaten illegitim. Twitter hat das in seinen Verhaltensregeln entsprechend festgeschrieben. In diesem Sinne ist es konsequent, eine Person auszusperren, wenn von ihr eine unmittelbare weitere Gefährdung der gewaltfreien politischen Auseinandersetzung ausgehen könnte. Es mag krass erscheinen, wenn ausgerechnet der Präsident einer Weltmacht betroffen ist. Doch aus welchem Grund soll für ihn eine Sonderregel gelten, wenn er gegen elementare Grundsätze von demokratischen Staaten verstösst?

Darum ist es nachvollziehbar, wenn Twitter in einer aussergewöhnlichen Situation eine aussergewöhnliche Massnahme trifft. Hätten nämlich die Krawalle durch eine Trumpsche Agitation via Twitter angedauert, wäre das Netzwerk in arge Erklärungsnot geraten. Immerhin hatten die zahlreichen Kritiker regelmässig gefordert, die sozialen Netzwerke müssten mehr Verantwortung übernehmen.

Lebenslängliche Verbannung?

Heikler wird es mit Blick auf die Dauer der Verbannung: Twitter löschte das Konto von Trump und spricht von einer permanenten Sperrung. Was bedeutet permanent? Ein lebenslänglicher Ausschluss, der über die Verhinderung einer unmittelbaren Gefahr hinausgeht, müsste gut begründet sein. Die jüngsten Tweets von Trump, die Twitter in seiner Begründung aufführt, genügen dafür nicht.

Ein privates Unternehmen ist grundsätzlich frei, wie es seine Mitgliedschaften gestalten will. Solange Wettbewerb herrscht, ist ein Netzwerk nicht in der Lage, völlig willkürlich zu handeln und missliebige Figuren mundtot zu machen – zumindest nicht mittel- und langfristig. Denn jeder Akteur hat die Möglichkeit, seine Kommunikation über eine eigene Website oder andere Netzwerke fortzuführen. Wer seine kommunikative Existenz bloss auf einer einzigen Plattform aufbaut, lebt ohnehin risikoreich – wie jemand, der sein Geld nur in Bitcoins investiert.

Die Durchschlagskraft von Trumps Tweets beruhte im Übrigen nicht nur auf seiner grossen Gefolgschaft im sozialen Netzwerk, sondern ebenso auf der Wiederaufbereitung seiner Provokationen durch die Massenmedien. Insofern erzeugt erst das spontane Zusammenspiel der verschiedenen Kräfte auf dem Medienmarkt den grossen kommunikativen Effekt.

Der gute Zweck

Das relativiert die Macht der einzelnen Schleusenwärter. Wenn indessen dominierende Akteure wie Facebook, Twitter, Google, Amazon und Apple wie jetzt zusammenspannen, um Trump und seine militanten Kumpane möglichst von allen Plattformen fernzuhalten, ballt sich eine sehr grosse Macht zusammen. Die IT-Giganten verweisen auf den guten Zweck, den ihre Kritiker schon lang einfordern: die Ausgrenzung von Gewalt und Hass. Doch eine solche Machtballung birgt – über den aktuellen Fall hinaus  – eine erhebliche Missbrauchsgefahr, gegen die das Kartellrecht nur einen gewissen Schutz bietet. Eine Verbesserung des Beschwerderechts für verbannte Nutzer scheint insofern nötig.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20120928um11_07_44

Meinungsfreiheit

Wo hört sie auf? Wie weit soll sie gehen? Privatsphäre? Religiöse Gefühle? Markenschutz? Geheimhaltung?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.