Sprachlupe: Zum Schaden kommt der eingebildete Spott
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Das deutsche Sprichwort ist aufs Opfer gemünzt, die entsprechende amerikanische Redewendung aber passenderweise auf den Täter: «adding insult to injury». Der Verletzung noch die Beleidigung hinzufügen – das habe US-Präsident Trump getan, lautete der Tenor in Schweizer Medien: zuerst 39 Prozent Zoll verhängt, dann die Schweiz oder die Bundespräsidentin nach ihrem Telefonat «verspottet/gedemütigt/blossgestellt/heruntergeputzt». Oder «sich über die Schweiz lustig gemacht», gemäss einem Zeitungstitel nach Trumps Interview (CNBC, ab 16. Minute; Ausschnitt).
Da hatte Trump der Schweizer «Premierministern» attestiert, dass «die Frau nett war», aber «nicht zuhören wollte», und dass er sie zuvor «nicht gekannt habe» (trotz früherem Telefonat). Wer das Interview nachhört, wird allerdings Mühe haben, Spott herauszuhören – er erzählt da einfach, was er «mit der Schweiz gemacht» habe, als Beispiel seines Machtgebrauchs, den Keller-Sutter später als «Powerplay» bezeichnen sollte (Medienkonferenz, Ende 37. Minute – danke, Watson-Ticker). Dass er auch den Vorschlag gehört haben wollte, ein einziges Prozent Zoll zu erheben, entsprach wohl seiner üblichen Faktenferne. Im gleichen Interview deutete er die Investitionszusagen von EU-Firmen über 600 Milliarden Dollar so, dass ihm Europa dieses Geld zum freien Anlegen überweisen werde. Wenn so ein «Zuhörer» jemand anderem vorwirft, nicht zuhören zu wollen, haben die Amerikaner auch einen Spruch parat: «Look who’s talking!» Frei übersetzt: Gerade der muss etwas sagen!
Gar nicht lustig (gemacht)
Der Spruch passt freilich auch für Schweizer, die sich gern über angebliche Eigenheiten anderer Nationalitäten lustig machen, während sie sich darüber ereifern können, auch nur vermeintlich von Spott getroffen worden zu sein. Ein weiteres Beispiel: In der vorherigen «Sprachlupe» ging es ums Staunen einer deutschen Tiktok-Grösse über einige in der Schweiz gehörte Wörter. Das hatte ihr beim «Blick» den Vorwurf eingetragen, sie habe sich «über Schweizerdeutsch lustig» gemacht. «Soweit ich das sehe, macht sie sich keineswegs über die Sprache lustig», stand darunter gleich im ersten Leserkommentar, sehr zu Recht.
Die Schweiz dünkt mich gegenüber Kritik aus dem Ausland besonders empfindlich – entsprechend dem Aufheben, das man ums internationale Ansehen des Landes macht. Einen Spitzenplatz in irgendeinem «Ranking» feiert man gern, wogegen selbst ein leichtes Abrutschen in der Skala publizistische Sorgenfalten aufwirft. «Häb zu diim imitsch soorg» – Walter Vogts geniale Übersetzung der Vaterunser-Zeile «geheiliget werde dein Name» scheint nicht nur für den Herrgott zu gelten, sondern auch fürs eigene Land. Immerhin geht die Überheblichkeit nicht so weit wie angeblich in den USA als «God’s own country». Gemäss Wikipedia ist allerdings dieser Segensanspruch als «Gottes eigenes Land» in vielen anderen Gegenden gängiger; für die USA wird er eher als abschätzige deutsche Zuschreibung vermerkt. Das gilt übrigens auch bei «Grande Nation» für Frankreich.
Rache an Präsident «rump»
An die Unbeflecktheit des eigenen internationalen Images dürften freilich auch in der Schweiz nur härtestgesottene Sonderfallpropheten glauben. Dass in den USA das Ansehen der Schweiz längst massiv gelitten hat, zumal in Regierungskreisen, hat kürzlich Radio SRF anhand von Dokumenten aus Wikileaks eindrücklich aufgezeigt («Echo der Zeit», ab 20. Minute). Der jüngst empfundene Spott hat trotzdem einen weitverzweigten helvetischen Nerv getroffen. Die Tamedia-Blätter haben den Spott sogar wiedergekäut – und sich dann gerächt, wenn auch vermutlich ohne Absicht. In der gedruckten Version hiess der US-Präsident am 8. August einmal nur «rump». Der Kalauer von «Trumpf» zu «Rumpf» funktioniert auf Deutsch so gut oder schlecht wie auf Englisch.
Allerdings war wohl einfach der hauseigene Fehlerteufel am Werk: Er bescherte uns im gleichen Blatt das schöne Wort «Knadidatur» in einem Titel. Es ging um die deutsche Juristin, deren Wahl ins höchste Gericht durch eine Hetze von rechts sabotiert wurde – knadenlos. Damit triumphierte jene Sorte Meinungsfreiheit, die J. D. Vance in Europa für bedroht hält. Als Trumps Stellvertreter diese Ansicht im Februar in München geäussert hatte, empfand Keller-Sutter seine Rede als «in gewisser Hinsicht sehr schweizerisch, wenn er sagt, dass man auf die Bevölkerung hören soll». Gewiss, zuhören muss man können.
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