Selbst in der NZZ geben EU-Skeptiker den Ton an
Ob sich die Wirtschafts-Lobby in der Europa-Frage von ihrem Leibblatt NZZ verraten fühlen mag? Erstaunen würde es nicht. Economiesuisse wertet die «Bilateralen III» als Chance für die Schweiz. Der Dachverband der Wirtschaft unterstützt den Bundesrat im Bestreben, den bilateralen Weg zu sichern und weiterzuentwickeln. Pflichtbewusst verbreitete die NZZ die Meldung. Doch was seit der Publikation des «Common Understanding» zwischen der Schweiz und der EU im letzten Dezember in den Spalten des Wirtschaftsblattes folgte, war jede Menge Kritik am Vorhaben des Bundesrates:
Von Polemik bis Falschmeldungen
Der Publizist Beat Kappeler erhielt freie Fahrt für eine Kampfschrift gegen die EU, deren angebliche Fehlentwicklung über ein neues Abkommen die Schweiz in ihren Grundfesten erschüttern würde. «Ein souveräner Staat wird nie eine Gesetzgebung an einen anderen outsourcen, für alle Zukunft.» «Vom autonomen Nachvollzug (…) kommt die Schweiz damit zum automatischen Nachvollzug aller diesbezüglichen EU-Vorschriften.» «Der EuGH stützt alle Vorkehren, auch wenn sie nachweislich gegen die Verträge verstossen.» «Es gilt überall: Plan statt Wettbewerb.» Gemeinsame Werte zwischen der Schweiz und der EU – «genau das ist nicht der Fall». Es fehlten in der Abrechnung einzig noch die schärfsten Kampfbegriffe aus dem SVP-Repertoire.
Subtiler zwar, aber mit gleicher Stossrichtung meldete sich Gerhard Schwarz als «Apostel der Souveränität» zu Wort. Der ehemalige NZZ-Wirtschaftschef und ehemalige Direktor der wirtschaftsnahen Denkfabrik Avenir Suisse tat es gleich zweimal. Die dynamische Rechtsübernahme würde die politische und ordnungspolitische Schweiz beschädigen, sie könnte sich nicht mehr den «ordnungspolitischen Fehltritten der EU» entziehen.
Der seit vielen Jahren als chronischer Kritiker des Europäischen Gerichtshofs EuGH bekannte Carl Baudenbacher feuerte wieder einmal eine Breitseite gegen das «Gericht der Gegenpartei» ab. Es wäre nicht neutral, das vorgesehene Schiedsgericht wäre im Streitfall nur «reine Staffage».
Immerhin schien Redaktorin Katharina Fontana auch Expertise zu einem auszuhandelnden Abkommen der Schweiz mit der EU abholen zu wollen. Doch der Schein trog. Der zum Interview geladene Staatsrechtler Andreas Glaser von der Universität Zürich breitete – unwidersprochen – eingeschränkte Fachkenntnisse aus. Er setzte die neu auszuhandelnde dynamische Rechtsübernahme mit der im Schengen-Abkommen quasi-automatischen Rechtsübernahme gleich, bei der die EU die Schweiz bei einem Nein zu einer Weiterentwicklung des Rechts aus dem Abkommen ausschliessen kann. Das neu zur Diskussion stehende Abkommen brächte hingegen keinen Zwang zur Rechtsübernahme. Die Schweiz könnte sich Ausnahmen erlauben. Ihr nicht vollständiges Einhalten neuer Regeln würde nur bedeuten, dass als sogenannte Ausgleichsmassnahme ihr Zugang zum Binnenmarkt etwas eingeschränkt werden könnte.
Der Professor behauptete gar, dass «die dynamische Rechtsübernahme in sämtlichen bisherigen und künftigen bilateralen Verträgen» gelten würde, obschon von den jetzt bestehenden mehr als 100 Abkommen zwischen der Schweiz und der EU nur die fünf Abkommen zur Personenfreizügigkeit, zu Land- und Luftverkehr, zu den technischen Handelshemmnissen und zum Agrarhandel betroffen wären.
Profitieren von der offensichtlich vorherrschenden Skepsis gegenüber dem neuen Verhandlungsvorhaben konnten immerhin auch die Gewerkschaften, denen das Wirtschaftsblatt meist wenig gewogen ist. Das Anfang Januar in der NZZ am Sonntag erschienene ausführliche Interview mit SGB-Präsident Yves Maillard fand inklusive der reichhaltigen Forderungsliste für einen inländisch abgesicherten Lohnschutz ausgiebig Niederschlag in der Werktagsausgabe. Auch der Präsidiumskollege Adrian Wüthrich vom kleineren Gewerkschaftsbund Travail Suisse kam ausführlich zu Wort.
Mit Europa- und Wirtschaftsvölkerrechtler Thomas Cottier durfte Mitte Februar schliesslich doch noch ein Befürworter eines neuen Abkommens ausführlich für «ein faires Bündnis und keinen Kolonialvertrag» werben.
Redaktoren üben sich in Äquidistanz
Doch es ändert nichts daran. Die Wirtschaftslobby rund um Economiesuisse scheint in der Frage Schweiz – EU den Vorzugsplatz in ihrem Leibblatt eingebüsst zu haben. Es gibt eben inzwischen finanzkräftige Wirtschaftskreise, die gegen ein Abkommen mit dynamischer Rechtsübernahme mobilisieren. Die Zwietracht spiegelt sich auch in den Artikeln der für das Dossier Schweiz – EU zuständigen Redaktionsmitgliedern. Sie markieren Äquidistanz zwischen den Wortführern gegen einen angeblich drohenden Kolonialvertrag und jenen, die einen neuen Vertrag als Weiterentwicklung des «bilateralen Königsweges» anpreisen.
Souveränität oder Verrat an der Souveränität? In der NZZ blitzt der Streit wieder auf, der vor drei Jahren zum Verhandlungsabbruch geführt hatte. Damals profilierten sich ausgerechnet die Freisinnigen Alt-Bundesrat Johann Schneider-Ammann und Ständerat Thierry Burkart (damals noch nicht Parteipräsident) im Namen der Souveränität als entschiedene Gegner des damaligen Abkommensentwurfs. «Es ist der Elefant im Raum», heisst es jetzt in der NZZ noch zurückhaltend. Hinzugefügt wird aber auch: «Doch die Schweiz wird sich weiter durchwursteln können.» Aussenminister Ignazio Cassis ist schon mal gewarnt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Die Unterstützung der Ukraine beträgt bereits x hundert Milliarden und der Wiederaufbau wird ein mehrfaches kosten. Die USA ziehen sich zurück und ihre bisherigen Leistungen sind weitgehend rückzahlbare Darlehen.
Die Zeche bezahlt die EU. Da ist eine Zurückhaltung angebracht, zumal sogar der Einsatz von Truppen und Atomwaffen kein Tabu mehr sind.
Sobald Deeskalation, Diplomatie und Waffenstillstands-/Friedensinitiativen dem allgemeinen Aufrüstungs- und Kriegsgeschrei weichen, wird die EU wieder zum Thema.
Die Schweiz sollte entweder einen Vollbeitritt oder den status quo wählen. Ein «Freundschaftsvertrag» oder Rahmenabkommen resp. Bilaterale III werden die Interessenskonflikte nicht beheben, bloss die Souveränität der Schweiz noch weiter schwächen und neuen Erpressungen Tür & Tor öffnen. Das vielbeschworene Energieabkommen wird keine Krise vermeiden, wenn man sah, wie die EU-Vollmitgliedstaaten sich unsolidarisch verhielten, als Strom und Gas knapp wurden, muss man schon sehr blauäugig sein, zu glauben, die Schweiz würde besser behandelt, als die übrigen Vollmitglieder. Deutschland, die aufgrund der unsäglichen Ampelpolitik niedergehende Wirtschaftslokomotive wird die EU auch nicht retten, da kann die Schweiz noch so viele Kohäsionsmilliarden verschenken. Schengen ist dysfunktional, die Flüchtlingsströme werden nicht aufgehalten, zumal dass Abkommen von Italien missachtet wird. Die EU ist auf die Schweiz angewiesen, als Strom- und Verkehrsdrehscheibe, das ist zu nutzen, verzaget nicht.
Die Sammlung von Herrn Mugglin ergibt kein zutreffendes Bild. Denn die NZZ fährt mit ihrer Inland-Chefredaktorin einen auffällig aggressiven Ton in dieser Sache gegen Blocher und die SVP.
«Die Wirtschaftslobby rund um Economiesuisse scheint in der Frage Schweiz – EU den Vorzugsplatz in ihrem Leibblatt eingebüsst zu haben.» Das ist höchstens die halbe Wahrheit. «Die Wirtschaftslobby rund um Economiesuisse» hat in fast allen Dossiers politischen Einfluss verloren, und auch Echo bie der NZZ und ihrer Leserschaft.
Man muss schon ein Ultra-EU-Turbo sein, um in der NZZ-Redaktion EU-skeptische Positionen erkennen zu können. Dass die NZZ EU-skeptische Gastbeiträge zulässt, ehrt sie! Die NZZ-Grundhaltung allerdings ist seit Jahren stramm Pro-EU (-Eintritt/-Rahmenabkommen), Pro-Nato (-Beitritt/-Annäherung), Anti-Neutralität (im klassischen Sinn) und in der Merkel-Ära sogar dermassen Pro-Deutschland, dass man sich fragen konnte, ob es der NZZ-Redaktion nicht am Liebsten wäre, wenn die Schweiz ein Deutsches Bundesland würde… (verstärkt natürlich durch den Versuch, in D publizistisch Fuss zu fassen)
Rechtsübernahme ist das kleinste Problem. In einer EU mit Kriegspolitik und -wirtschaft, Inflation und desolaten Führung würde ich mich nicht mehr sicher fühlen. Als heftiger Verfechter der EU, denke ich, braucht es dafür Frieden und Selbstständigkeit.
Direkte Demokratie und eine wie vorgesehen starre Anbindung an die EU, das verträgt sich systembedingt nicht. Und, Ausgleichsmassnahmen bei unartigem Benehmen, das hört sich auch nicht gerade nach partnerschaftlichen Verhältnissen auf Augenhöhe an. Da bin ich froh, fehlt der NZZ der ideologische EU-Drall!
Äquidistanz bei der NZZ-Redaktorin Katharina Fontana wäre die Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Sie ist auf Blocher-Kurs, war unlängst bestrebt, die SGG, die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft, die das Rütli betreut, mit Intrigen auf strammen Rechtskurs zu trimmen – und möchte laut NZZ-internen Stimmen Chefredaktorin werden. Sie gehört zur Fraktion der Erzkonservativen, welche die Legenden der alten Eidgenossen immer noch Schweizergeschichte verkaufen wollen, um damit die politische Gegenwart zu beeinflussen – im Sinne von: Jedes Volk braucht seine Mythen, um es zusammenzuhalten – als ob es die Fakten nicht ertragen würde.
«Ihr nicht vollständiges Einhalten neuer Regeln würde nur bedeuten, dass als sogenannte Ausgleichsmassnahme ihr Zugang zum Binnenmarkt etwas eingeschränkt werden könnte.»
Ich möchte hier vor allem auf das «nur» und das «etwas eingeschränkt» eingehen: Wir haben keine Ahnung, wie die Ausgleichsmassnahmen aussehen könnten. Wir wissen nicht, was für die EU (oder das Schiedsgericht) «verhältnismässig» ist. Man darf nicht vergessen, dass für die EU das Einhalten der Regeln zentral ist. Sie kann Abweichler, die sich unter Umgehung der Regeln Vorteile zuschanzen, auf keinen Fall gewähren lassen. Deshalb bin ich gar nicht sicher, dass wir da nur «nur» und «etwas» zu befürchten hätten.
Das ist doch das Problem. Wir müssten wenigstens ungefähr den Wirkungsbereich und das Ausmass dieser Ausgleichsmassnahmen kennen (wenn es auch nur eine Auflistung realistischer Beispiele wäre).
Das «nur» ist gemeint als Verbesserung gegenüber dem Ausschluss-Mechanismus beim Schengen-Abkommen. Ich bin aber einverstanden, dass Wirkungsbereich und Ausmass der Ausgleichsmassnahmen noch ungenügend geklärt sind. Sollte es zu Verhandlungen kommen, müsste das ein Thema sein.
@Michael Künzli: Ihre Argumente sind völlig richtig.
Und wenn sich die Schweiz über unangemessene Ausgleichsmassnahmen (welche die EU bisher immer wieder einsetzte) beschweren wollte, würde in letzter Instanz der EuGH entscheiden. Dieser ist das Gericht der Gegenseite, das darf man ruhig ohne Anführungszeichen hinschreiben.
Meinungsfreiheit? Sich-eine-Meinung-SELBST-bilden aufgrund «frei-zugänglicher-Quellen»?
Hoffentlich ist die Schweiz nie in Nato bzw. EU, wo, wer, anderer Meinung ist, «unter Druck gesetzt» wird wie Erdogan oder Orban, bis sie JA sagen im EU(SA)-Chor.
Stoltenbergs Norwegen, Schweden, «WEF-Young Global Leader»-Marins NATO-Finnland, Dänemark & Co., die «wegbereitet wurden», mitteilen nun den anderen Europäern – insbesondere den Schweizern und dem Bundesrat, im Blick-Artikel 6.2.2024 – es gehe gegen Russland, jedoch primär geht es hier zunächst gegen Andersdenkende innerhalb Europas bzw. insbesondere der Schweiz.
Gemäss historischen Dokumenten im Buch «Fremdbestimmt» (Thorsten Schulte) ist die EU ein Projekt der USA.
Die gleichgeschaltete/-forcierte EU gibt uns Schweizern vor (via etwa Blick), was wir zu denken/tun haben?
BLICK (6.2.2024) titelt:
Ist der Bundesrat wirklich schlauer als alle anderen Regierungen?
Jetzt warnt auch Dänemark vor russischen Aggressionen: Besonders scharf warnen die dänischen Spezialisten vor russischen Propaganda-Aktivitäten, die im Westen für eine anti-ukrainische und Nato-kritische Stimmung sorgen sollen. Konkret erwähnt der 76-seitige Bericht die Plattform Russia Today, die EU-weit gesperrt ist, in der Schweiz aber noch immer problemlos aufgerufen werden kann.
Im März 2022 entschied der Bundesrat, die Propaganda-Plattform weiter laufenzulassen. Es sei wirksamer, «unwahren und schädlichen Äusserungen mit Fakten zu begegnen, anstatt sie zu verbieten», schrieb der Bundesrat. Mit dieser Haltung steht die Schweizer Regierung europaweit alleine da.
Erst beiden Seiten zuhören zu können. erlaubt eine wirkliche freie. demokratische Meinungsbildung
Ob unsere Wirtschaft Kreise und ihre Sprachröhren schon vergessen haben, dass sie durch ihr Verhalten ihren Schäfchen deren Existenz untergraben? Denken ist halt Glücksache. Und Glück haben nicht alle. Aber keine Angst, hinten herum machen doch die meisten ihre Geschäfte mit der EU, nur sieht das dumm aus, wenn man darüber schreibt. Hoch lebe die Scheinheiligkeit.
Markus Mugglin hat in der Aufzählung EU-kritischer Artikel in der NZZ neben Beat Kappeler, Katharina Fontana und Gerhard Schwarz, den Artikel von Oliver Zimmer (10.2.) vergessen.
Und ausserdem sind sogenannte „Ausgleichszahlungen“, welche die EU über die Schweiz verhängen will, nichts anderes als Sanktionen.
Und dann ist da noch ein totales Demokratiedefizit in der EU. Kein Wunder eigentlich, denn EU Länder waren zuvor Monarchien, Diktaturen, Fürstentümer und ähnliches. Auch die Schweiz ist nicht ohne Makel, aber sie hat ein anderes und über lange Zeit gewachsenes Demokratieverständnis.
Aber man darf natürlich an diese Europäische Union als vermeintliches „Friedensprojekt“ glauben. Man kann nie jemanden vom eigenen Glauben abbringen wollen und ihn vom eigenen Glauben überzeugen. Bloss kann es evt einmal zu spät sein, dann wenn man sich unterwerfen muss und Sanktionen verhängt bekommt.
@Wolfgang Reuss. Sie schreiben « Gemäss historischen Dokumenten im Buch «Fremdbestimmt» (Thorsten Schulte) ist die EU ein Projekt der USA.« Brzezinski schrieb in „Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft“: « Vor allen Dingen ist Europa Amerikas unverzichtbarer geopolitischer Brückenkopf auf dem eurasischen Kontinent.“ Genau das ist der Zweck der EU.