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Können E-Mail-Nachrichten die Zeitungen ersetzen? © 200degrees

Sag’s schnell per Newsletter

Rainer Stadler /  Nachrichten per E-Mail sind im Trend. Newsletter schaffen neue Chancen für selbständige Journalisten. Auch im Lokaljournalismus.

Während die Schweiz über die Subventionierung der Medien diskutiert, erproben die US-Amerikaner neue Formen des Lokaljournalismus. Die herkömmliche Presse hat in den Vereinigten Staaten einen drastischen Niedergang erlebt. Im Jahr 2004 wurden noch 7100 Zeitungen herausgegeben. In den folgenden 15 Jahren sank deren Zahl um 60 Tageszeitungen und 1700 Wochenblätter. Gleichzeitig schrumpfte die Menge der verbreiteten Zeitungen um 50 Millionen auf 73 Millionen Exemplare, wie es in einer Analyse mit dem Titel «Die wachsende Nachrichtenwüste» heisst. Die Verlage stellten den Betrieb ein oder wurden von grossen Mediengruppen geschluckt, was meist zu einem Abbau der lokalen Berichterstattung führte und sogenannte «Geisterzeitungen» entstehen liess, welche von fernen Zentralredaktionen gesteuert werden. Die Covid-Pandemie versetzte der Branche einen weiteren Schlag. Mehr als hundert Redaktionen wurden in den vergangenen zwei Jahren geschlossen.

Die entstandenen Lücken sollen nun auch E-Mails in Form von Newslettern füllen. Zahlreiche Verlage entdeckten in den vergangenen Jahren den Newsletter als effizientes Marketing- und Informationsmittel, das den direkten Zugang zu den Kunden ermöglicht und inzwischen vielerlei Gestaltungsspielraum schafft. Neue Unternehmen verwenden den Newsletter gar als Basis für ihre Geschäfte. Einen Namen machte sich etwa die Firma Substack, die eine Plattform zur Verfügung stellt, auf deren Grundlage freie Journalisten ihre eigene Kundschaft aufbauen können. Ein ähnliches digitales Sprungbrett entwickelte Steady, wo nun seit Neuem der nach Berlin geflohene türkische Journalist Cam Dündar sein Glück versucht. Er will in einem 14-täglichen Newsletter in Englisch und Türkisch über seine Erfahrungen im Exil berichten.

In den USA sind das vor fünf Jahren gegründete Medienhaus Axios und das auf sogenannte hyperlokale Medien fokussierte Unternehmen 6AM City in den Markt für lokale Newsletter eingestiegen. Sie realisieren E-Mail-Nachrichten für bald 49 lokale Räume. Die Angebote sind bisher hauptsächlich auf urbane Regionen im Westen und insbesondere im Osten der USA ausgerichtet. Die jeweiligen Redaktionen sind klein; sie beschäftigen zwei bis drei Personen, sie profitieren aber auch von journalistischen Leistungen aus der Zentrale. In ein paar Städten konkurrenzieren sich die beiden Newsletter-Anbieter.

Die Umsätze sind noch bescheiden. Axios sagte dem britischen Fachorgan «PressGazette», dass man mit den lokalen Newslettern im vergangenen Jahr fünf Millionen Dollar eingenommen habe. Die 14 Gratis-Newsletter verzeichneten Ende 2021 600’000 Abonnenten. Im laufenden Jahr will man den Umsatz mehr als verdoppeln. 6AM City wiederum zählt bisher 746’000 Abonnenten.

Einige Medienbeobachter äussern sich skeptisch gegenüber dem Trend. Sie bezweifeln, dass Newsletter die untergehenden Zeitungen auf angemessene Weise ersetzen können. Doch derzeit erkennen hier auch die grossen Netzwerkbetreiber Chancen. Twitter erwarb vor einem Jahr die Newsletter-Plattform Revue. Meta wiederum startete im vergangenen Sommer in den USA den Newsletter-Dienst Bulletin, der unabhängig von Facebook funktioniert. Der US-Konzern will damit auch den Lokaljournalismus unterstützen und investierte dafür fünf Millionen Dollar.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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