Sperberauge

Wieder blüht uns eine neue Physik mit einem neuen Weltbild

Kurt Marti © Christian Schnur

Kurt Marti /  Schon wieder müssen wir wegen einer neuen Physik unser Weltbild umkrempeln. Doch zum Glück bleibt zur Anpassung noch etwas Zeit.

Nach der medialen Euphorie über das Higgs-Teilchen («Gottesteilchen»), das unser bisheriges Weltbild angeblich zusammenbrechen liess, ist es wieder einmal so weit: Auf die Menschheit wartet erneut eine neue Physik und auch ein neues Weltbild – wenn man den neusten Schlagzeilen der Presse Glauben schenken würde.

Schlagzeilen der Süddeutschen Zeitung (print), des Online-Portals Watson und des Tagesanzeigers (print)

Am 7. April 2022 (online) und am 11. April 2022 (print) liess uns die Süddeutsche Zeitung wissen: «Messdaten deuten auf eine neue Physik hin», weil das Elementarteilchen W-Boson «schwerer sein könnte, als gedacht». Einen Tag später am 8. April 2022 verkündete das Online-Portal Watson: «Das hat Folgen für unser Weltbild.»

Der Grund für diese Euphorie für eine neue Physik samt neuem Weltbild war ein Artikel im Wissenschaftsmagazin «Science». Am Fermilab in den USA hatten Physiker nämlich ein Teilchen mit dem Namen W-Boson, das schon seit 1983 bekannt ist, neu vermessen und kamen auf 80,43 Gigaelektronenvolt statt den bisherigen 80,37 Gigaelektronenvolt.

Zweifel an diesen Messungen hatte laut der Süddeutschen Zeitung der Teilchenphysiker Matthias Schott, der am Europäischen Kernforschungszentrum (Cern) in Genf seit langem an W-Bosonen forscht: «Es ist schade, dass die Arbeit nicht vor der Publikation auf einem Preprint-Server veröffentlicht wurde, wie das sonst üblich ist.» Diese Messungen seien «extrem komplex» und man hätte «im Vorfeld diskutieren können, wie unterschiedliche Fehlerquellen berücksichtigt wurden».

Möglicherweise stelle sich heraus, dass der neue Messwert etwas zu hoch gegriffen sei und die Messunsicherheit doch etwas grösser, so dass der Widerspruch zu früheren Ergebnissen sich auflöse. Denn bisher stimmen laut Schott «alle Messungen im Rahmen der Unsicherheiten einigermassen überein». Nur die neuste Messung tanze aus der Reihe. Das sei «verdächtig».

Eine neue Physik blüht auch am Cern

Doch nicht nur das amerikanische Fermilab wartet mit grossartigen Sensationen auf, auch das Cern lässt sich nicht lumpen. Umso mehr, als es um Investitionen von rund 20 Milliarden Euro für einen zukünftigen Teilchenbeschleuniger mit einem Umfang von 100 Kilometern geht.

Da können Schlagzeilen über eine neue Physik nicht schaden. Geliefert vom Tagesanzeiger am 5. April 2022 (online), der ganz dick aufträgt: «Was wir jetzt sehen, ist etwas völlig Neues und völlig Unerwartetes», wird im Titel ein Teilchenphysiker zitiert. Und im Lead der Print-Ausgabe vom 6. April 2022 steht: «Aufregung bei Cern-Forschern: In Genf stehen neue Messungen an. Sie könnten zur grössten Sensation in der Teilchenphysik seit Jahrzehnten führen: Die Entdeckung einer neuen Naturkraft.»

Bei dieser physikalischen «Sensation» geht es um ein vermutetes, neues Teilchen mit dem Namen Leptoquark, das die Physiker zunächst nur indirekt im bestehenden Beschleuniger zu messen hoffen. Der Tagesanzeiger schreibt geheimnisvoll von einem «Schattenwurf der neuen Physik». Die direkte Messung hingegen könnte laut dem Tagesanzeiger erst im zukünftigen Beschleuniger im Jahr 2060 erfolgen.

Uff, da kann die Menschheit ja noch einmal durchschnaufen, weil bis dann noch genügend Zeit bleibt, um sich an das neue Weltbild dieser neuen Physik zu gewöhnen.

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6 Meinungen

  • am 15.04.2022 um 12:10 Uhr
    Permalink

    (Sarkasmus ON)
    Ich find es imer wieder schön wenn sich scheints überflüssig studierte einen Arbeitsplatz mit Hilfe reisserischer Meldungen sichern.
    Wichtiger als solche Meldungen wären doch daa gewesen, was sich für uns ändert und welche Auswirkungen das auf andere Forschungsbereiche hat.
    Naja, zum Glück fahren die keine Taxis, wer weiss was ihnen da alles Einfallen würde.
    (Sarkasmus OFF)

    • am 17.04.2022 um 19:11 Uhr
      Permalink

      @Michael Schlomm Ich musste lachen, Danke. Aber die Auswirkungen auf die ganze Physik werden gravierend sein. Eine Physiker ahnten es schon lange. Daher hat eingeschlagen wie eine Bombe. Einige Beispiele für die Folgen: Die Gravitation, lang beschworen als eine mächtige unbekannte existierende Kraft, existiert in einigen Modellen nun nicht mehr. (Prof. Geraint Lewis) Die Effekte werden durch die Raumkrümmung verursacht, unabhängig davon, was Raum krümmt. Die Gluonen werden in Frage gestellt, dass was die Protonen im Atomkern daran hindert, auseinander zu stieben, wäre die Raumkrümmung. Die Elektronen, auch hier rappelt es in der Kiste. Mit neuen Messtechniken scheint man nun zu erkennen, das diese sich zum Teil beim Stromtransport gar nicht bewegen, ob bei Wechsel oder Gleichspannung. Der leitende Draht welcher die Elektronen beinhaltet, sei nur das Geländer, wie bei einer Treppe, aber die Elektr. Energie und sein Magnetfeld fliessen immer ausserhalb des Leiters. (Dr. Robert Olson)

  • am 16.04.2022 um 14:23 Uhr
    Permalink

    Guten Tag
    Das verlangt nur nach einer Korrektur innerhalb der Physik.
    An den Weltbildern (Betrachtungsweise) ändert sich dadurch nichts. Es gibt nur zwei Betrachtungsarten: einmal die materialistische (das Sein bestimmt das Bewusstsein; die Materie existiert in Raum und Zeit. Die Menschliche Erkenntnis ist relativ; niemals absolut. Der Glaube, er ist nicht religiös, ist der Pedant zu dem Erkennen/Wissen.)
    Bei den Idealismus, hier gehören die Religionen her, ist es umgekehrt. Daran ändert sich auch durch das schwere Boson nichts. Wir Menschen müssen ständig unsere Ansichten wegen neuer Erkenntnisse korrigieren, auch deshalb, weil alles in der Welt veränderlich ist. Leider wird im Artikel nichts gesagt, was sich durch das Boson für die Physik konkret ändert.

    Der Vorschreiber hat völlig Recht. Wem nutzt diese neue Erkenntnis? Praktische Dinge, wie Frieden in der Welt sind dagegen sehr viel wichtiger!

    Frohe Osterne
    Kurt Wolfgang Ringel

    • am 17.04.2022 um 19:23 Uhr
      Permalink

      Natürlich steht der Weltfrieden an oberster Stelle, zumindest für mich persönlich. Jedoch, wenn wir die Physik vollständig verstehen, und selber in die Lage kommen, die Grundbausteine zu steuern, dann werden Technologien möglich, um aus purer Energie Brot her zu stellen. Wenn die Physik es schafft, Technologien bereit zu stellen, welche die Grundbedürfnisse aller Menschen und den Schutz der Erde erfüllen können, wird es zumindest keine Ressourcenkriege mehr geben. Nahrungsmittel zu replizieren statt sie durch Raubbau der Erde ab zu pressen, und Fusionsenergie anstelle von radioaktiven Reaktoren, und dies in Höchstmengen mit viel weniger Aufwand, auch dies würde zum Frieden erheblich beitragen. Die Physik sollte nicht unterschätzt werden, sonst wird sie noch mehr Missbraucht von der Waffenindustrie. Leider hat alles zwei Seiten.

  • am 17.04.2022 um 18:48 Uhr
    Permalink

    Das freut mich aber sehr, das im Infosperber die Physik zum Zuge kommt. Wer hat den Urknall erfunden? Der belgische Theologe Georges Lemaître, andere sagen, die katholische Kirche. So ist das Leben, die Erkenntnis von heute kann der Irrtum von morgen sein. Solange der Irrtum keine Opfer fordert oder Leiden erzeugt, ist dies noch erträglich. In der Physik stimmt noch manches nicht. Max Planck sprach damals: Bis sich neue Erkenntnisse in der Physik durchsetzen, müssen die Vertreter der alten, falschen Erkenntnisse, zuerst sterben. Das wäre dann das Higgs-Teilchen im menschlichen Geist welches diesem eine destruktive Trägheit verleiht. So wie es schlechte Medikamente gibt mit schönen Studien, so gibt es schlechte physikalische Modelle mit wunderschönen Gleichungen. Das Ausmass der aktuellen Entdeckung ist dramatisch für die bisherigen Modelle, von denen man dachte, man könne beweisen, das sie nicht falsch sind. Möge das bisher Dogmatische der Wahrheitsannäherung Platz machen.

  • am 18.04.2022 um 06:45 Uhr
    Permalink

    Leider befürchte ich dass die Physik nur wenig dazu beitragen wird eine friedlichere Welt zu erhalten und Ressourcenprobleme zu lösen.
    Bisher entstanden meist nur bessere Waffen, wie jüngst zum Beispiel anscheinend eine Hyperschallrakete mit angeblich 6.700 Km/h, zu schnell um reagieren zu können…
    Wissenschaft ist mehr eine Leiden schaffende Disziplin. So gibt es seit Jahrhunderten ein erst wiederentdecktes Rezept gegen die multiresistenten Keime. Warum werden die nicht hergestellt? Lässt sich nicht patentieren um damit Geld zu verdienen….
    Der Mensch als Mittel zum Zweck, zu mehr taugt der nicht.
    Für den Weltfrieden bräuchte es nicht die Wissenschaft, da müssten wir uns abkehren von Neid und Missgunst, Eifersucht auf alles was anscheinend gegen mich sein soll.
    Vor dem Weltfrieden kommt erst der innere Frieden in uns, aber vielleicht findet die Wissenschaft ja eine patentierbare Erkenntnis ?

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