Sperberauge

Schweiz am Sonntag in eigener Sache

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  In einer Kurzmeldung zu «Gerigate» verschweigt die «Schweiz am Sonntag» die Klage gegen ihren Chefredaktor.

Eine Kurzmeldung in der neusten Ausgabe der Schweiz am Sonntag (3.7.2016) hatte den folgenden Wortlaut:

»Strafbefehl gegen Müllers Chatpartnerin

BERN Die Berner Staatsanwaltschaft hat die Chatpartnerin des Badener Stadtammanns Geri Müller per Strafbefehl wegen unerlaubter Aufnahmen von Gesprächen und Beschimpfungen zu einer bedingten Geldstrafe von 9000 Franken verurteilt. Wie der TV-Sender Tele M1 berichtet, muss die Frau zudem eine Busse von 1800, Geri Müllers Anwaltskosten von über 16 000 sowie Verfahrenskosten in der Höhe von mehr als 8000 Franken bezahlen. Die Frau war Teil der sogenannten Nacktselfie-Affäre. Im Sommer 2014 machte die «Schweiz am Sonntag» publik, dass Müller seiner Chatpartnerin aus dem Stadthaus Nacktselfies geschickt hatte. Nach einem Polizeieinsatz wurde das Handy mit den Bildern beschlagnahmt. Der Strafbefehl ist noch nicht rechtskräftig. (RED)»

Diese Kurzmeldung in der Schweiz am Sonntag ist zwar richtig, aber auffallend unvollständig. Auf der Website von Schweizer Radio und Fernsehen SRF war zum gleichen Thema eine – deutlich längere – Meldung. Denn dort wurde auch erwähnt, welche Klagen noch nicht entschieden sind. Wörtlich:

»Weitere Folgen?

Geri Müller hat noch weitere Anzeigen gemacht, über die noch nicht entschieden worden ist. So hat er Strafanzeige gemacht gegen drei weitere Personen:
– Joseph Bollag (Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Baden)
– Sacha Wigdorowits (PR-Berater)
– Patrik Müller (Chefredaktor «Schweiz am Sonntag»)

Sie haben die möglicherweise unerlaubten Aufnahmen des Gesprächs zwischen Müller und der Chatpartnerin weiterverbreitet, so der Vorwurf von Geri Müller. Hier sind noch keine Entscheide gefallen.

Was sagt der Presserat?

Offen ist auch, wie sich der Schweizer Presserat zum Fall äussern wird. Auch dort ist der Gerigate ein Thema. Hängig ist eine Beschwerde von Bundesparlamentariern gegen die Zeitung «Schweiz am Sonntag». Nach Ansicht der Politiker hat die Zeitung mit ihrer Berichterstattung die Privatsphäre von Geri Müller schwer verletzt. Der Presserat will seinen Entscheid in den nächsten Wochen publizieren.»

Ende der Meldung von SRF.

Einmal mehr muss festgestellt werden: In eigener Sache sind viele Medien nicht besonders informationsfreudig.

Zur Erinnerung: Am 17. August 2014 berichtete der Chefredaktor der Schweiz am Sonntag, Patrik Müller, auf der Frontseite der Zeitung und im Inneren des Blattes gleich ganzseitig über Geri Müller, den Badener Stadtammann, der von seinem Arbeitsplatz aus einer Chatpartnerin Nacktselfies verschickt habe. Diese Story war, wie man zwischenzeitlich weiss, kein zufällig erfahrener Primeur, denn Geri Müller galt als harter Kritiker der Politik Israels gegenüber den Palästinensern, und Patrik Müller hatte seine Informationen aus Kreisen zugespielt erhalten, die Geri Müller aus eben diesen politischen Gründen politisch und persönlich bekämpften. Es ging, so wurde deutlich, darum, Geri Müller als Politiker «abzuschiessen». Das Thema war in der Folge wochenlang das (Sommerloch-)Thema in der Schweizer Medienlandschaft.

So wurde Badens Stadtammann Geri Müller in der «Schweiz am Sonntag» ganzseitig in den (politischen) Regen gestellt.

Das vorliegende Gerichtsurteil ist eine klare Entlastung Geri Müllers. Auf die weiteren Gerichtsurteile darf man gespannt sein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Zeitungen_1

Kritik von Zeitungsartikeln

Printmedien üben sich kaum mehr in gegenseitiger Blattkritik. Infosperber holt dies ab und zu nach.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 4.07.2016 um 20:46 Uhr
    Permalink

    Das Urteil soll eine Entlastung sein? Das verstehe ich wirklich nicht. Denn im Gegenteil: Es bestätigt das kindische (es erinnert an kindliche Doktorspiele) und dem Amt unwürdige Verhalten einer Magistratperson (Bilder aus seiner Amtsstube). Unser Rechtssystem ermöglicht einfach die Sanktion des Vorgehens seiner Gespielin auf Grund des Schutzes anderer Rechtsgüter. Dies macht sich der Ertappte zu Nutze und beweist zusätzlich das fehlende Format und seinen Narzismus.

  • am 5.07.2016 um 10:22 Uhr
    Permalink

    Das fehlende Misstrauen von G.Müller gegenüber seiner Chatpartnerin ist das eine. Der Zusatz «während der Arbeitszeit» durch P.Müller, mehrmals wiederholt durch die regional quasi-monopolistischen AZ-Medien, das andere. Die Ausdeutschungen aus Redaktions-nahen Kreisen umfassen u.a. auch «Sonntagnachmittag». Natürlich arbeitet ein Politiker auch an Wochenenden und in Nachstunden. Da ist er allein im Haus und sein Tun einigermassen privat, solange niemand durch seine Amtstätigkeit geschädigt wird, z.B. durch politisch anrüchige Deals. Wozu also die Zeitangabe?

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...