Kommentar

kontertext: Film | Essay | Kritik

Mathias Knauer* ©

Mathias Knauer /  In deren Krise müssen das Filmschaffen wie die Filmkritik an die Qualitäten des essayistischen Arbeitens erinnert werden.

Nicht nur das Aussterben des Feuilletons in seiner Funktion als Spiegel und Resonanzraum des kulturellen Lebens, auch überhaupt die zunehmend plaudernde «Kulturberichterstattung» in den Medien trägt je länger, je weniger zum künstlerischen, wissenschaftlichen und philosophischen Diskurs in der Öffentlichkeit bei. Ein Blatt wie die NZZ hat auf den Kulturseiten früher Texte von Gewicht zugänglich gemacht, sowohl externer, sondern auch seiner eigenen Autoren. Dies Tag für Tag, nicht nur am Wochenende auf den Seiten «Literatur und Kunst».

Neben blossen Berichten übers Kulturleben – vom Nachtclub bis zum Gang durch die Galerien und zur Konzertchronik – waren Mitte der sechziger Jahre unter Martin Schlappner wöchentliche Seiten wie «Radio und Fernsehen» und eine bis zwei Seiten «Film» eingerichtet worden, beide Rubriken vielstimmig mit regelmässigen Mitarbeitern und Korrespondenten. Dies nicht um mit Hinweisen das traditionell reichhaltige und facettenreiche Angebot «einzuordnen» oder den Kinos zu gefallen, sondern um bedeutenden Werken Geltung zu schaffen und nicht selten Debatten zu führen – Kontroversen über Filme, die unseren Bourgeois oder den Klerus geschreckt hatten, die wie Ingmar Bergmans «Das Schweigen» oder Werke Buñuels oder auch Fellinis «La dolce vita» gegens Spiessertum zu verteidigen waren; aber auch medienpolitische Debatten und Artikel, die uns den Blick auf die Entwicklungen im Ausland öffneten – beides mit der Wirkung, dass in jenen Tagen hierzuland ein filmkundiges und neugieriges Publikum entstand, das bald schon die Buchhandlung Rohr ermutigte, ihre international frequentierten Filmgestelle als Filmbuchhandlung auszu­gliedern, ins Haus nebenan, wo man meistens Leute mit ähnlichen Leidenschaften antreffen und in der Enge beim Ausweichen vor dem Regal Gleichgesinnte kennenlernen konnte.

Film und Essay – eine Wesensverwandtschaft

Das Filmmedium widerstrebt mit seinen nacheinander montierten Stücken von Grund auf dem universellen Bemühen der Vermarkter und ihrer Zudiener, dem Montageprodukt – vom Zuschauer möglichst unbemerkt – narrative Bildwelten abzutrotzen. Dieses den essayistischen Methoden verwandte Wesen hatten Filmtheoretiker lange schon bemerkt, so etwa zur Stummfilmzeit der alte Schklowski:

«Während ein Satz sich beim Schreiben immer wieder umkrümmen lässt, sind die im Film montierten Stücke statisch und eigensinnig und müssen als Stücke der Montage Sinneinheiten bilden.»

Um eigentümlichen Sinn zu erzeugen, nicht «abzubilden», den Betrachter mit unbefragten Bildern zu füttern, montieren die Filme, die wir essayistisch nennen, Unerwartetes zueinander und bilden filmische Ideen, treiben Sinn daraus hervor.

Der Filmessay erzählt nicht Geschichten. Er widmet sich einer Sache und entwickelt mit Bildsequenzen eigene Gedanken. Dass das nicht ohne spektakulären Reiz sein muss, haben viele Filme von Marker, Straub-Huillet, Kluge, Godard, Duras oder Farocki gezeigt, bis neulich zum mit Recht ausnahmsweise international beachteten Schweizer Film «Unrueh», der als Essay gelesen werden kann, weil er die Convenus der Narration mit originellen Mitteln, Unbotmässigkeiten, zumal auch mit Décadragen, unterläuft.

Der Essay will nicht, wie wissenschaftliche Abhandlungen, eine Sache systematisch, begriffbildend und möglichst umfassend erforschen, er versucht vielmehr aus der Diskussion von Einzelaspekten eines Gegenstands Erkenntnis zu schlagen. Darin sind die essayistischen Methoden dem künstlerischen Film verwandt. Der Film kann bekanntlich nicht wie die Sprache Oberbegriffe bilden; um etwa eine eifersüchtige Figur zu zeigen braucht es eine ganze Sequenz von Bildern. Der Film muss immer mit zunächst unzusammenhängenden Stücken sprechen, parataktisch Argumente bereitstellen, die erst im Kopf des zerstreut wahrnehmenden Zuschauers Zusammenhänge, ein Ganzes entstehen lassen.

Diegetiker und Storyteller

Mehrere Generationen herumreisender Drehbuch­missionare und ‑doktoren haben mittlerweile der helvetischen Filmwelt eingeredet, was zu beachten sei, um dem merkantil umworbenen Zuschauergut zu gefallen, ja um zum Kassenreisser zu taugen, und haben Autorinnen und Autoren Mut und künstlerische Flausen ausgetrieben. So werden dem Streben nach Unterhaltung, dem «Storytelling», die kreativen Potentiale der Gattung geopfert.

Entsprechend entwickelt sich unterm Sparzwang der Medien das Kritikerdasein. An einer Table ronde heuer beim Filmfestival Locarno, die unsere Schweizer Kritikergilde sich selbst eingebrockt hat, ging es ums aktuelle Kritikergeschäft im Umfeld gigantischer Marketing­strategien, keineswegs um Strategien fürs Geschäft einer mitschaffenden Kritik, wie wir sie bis vor wenigen Jahren gekannt haben. Interessanterweise hinterliess in dieser Runde den besten Eindruck der engagierte Verleiher; die zwei Repräsentanten des Journalismus hingegen zeigten das Bild einer Generation, die das Marktdenken bereits verinnerlicht hat. Das tönte dann etwa so:

«Der Filmkritiker muss vor allem eins sein: nicht mehr cinéphil. … Es wird immer auf die ‹Cahiers du Cinéma› … rekurriert: das ist jedenfalls nicht die Zukunft, die wir brauchen, das ist Altmännerkritik, das ist ’ne Kritik, die wirklich noch Macht haben wollte. Und da wollen nämlich auch alle hin – in Deutschland ist die Filmkritikerlandschaft sehr zerstritten, da gibt’s einige, die dann immer der holden Intellektuellen-Kritik huldigen – ich glaube, da müssen wir weg, wir müssen wieder dahin, spielerischere Formen zu finden, ohne uns dabei zur Marke zu machen. Also kein Godard zu werden.» (Video, ab 40:50)

So beobachten wir heute, wie Filmkritik von einer kreativen Ergänzung des Filmschaffens zur publizistischen Zuhälterei, zum mehr oder weniger augenfälligen Influencertum herunterkommt, günstigstenfalls, wie in der NZZ, zu einer gepflegten Art Hofberichterstattung aus dem Eventzirkus der Branche, bloss garniert mit «spielerisch» kolportierten Handlungsschnipseln – zu jener «schlechten impressionistischen Kritik, deren leichtfertige Ironie nur ihrer Inkompetenz entspricht» (André Bazin). Da finden wir nicht mehr die – auf Zeitungsseiten notgedrungen fragmenta­risch zugespitzten – Gedanken profilierter Köpfe, Auseinander­setzungen auf Augenhöhe mit dem Schaffen, Auge und Ohr schärfende Hinweise zur Faktur der Filme – wir beobachten zunehmend launiges bis lausiges Narrieren, ephemere Texte, die kaum einmal mehr verleiten, ausgeschnitten und aufbewahrt zu werden. Man braucht nur eine NZZ-Filmseite aus deren Blütezeit aufzuschlagen, um den Verlust zu sehen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Mathias Knauer ist Musikwissenschaftler, Filmemacher und Publizist und seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er war Mitbegründer der Filmcooperative und des Filmkollektivs Zürich. Er ist Mitbegründer der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorstand er u. a. das Dossier Medienpolitik betreut.

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 15.09.2023 um 12:01 Uhr
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    In allererster Linie müssen Filmschaffende und Filmkritiker cinephil sein und zwar auf einer enzyklopädischen Grundlage; so wie ein Arzt im Studium alle Bezeichnungen für Muskeln, Knochen, Sehnen lernt. Ohne Kenntnis der Klassiker gibt es keine Weiterentwicklung, das bleibt staatlich geförderte Bewegtbildtherapie. Viele Filme käuen Modethemen wieder, weil es damit Förderungen, mediale Aufmerksamkeit und Preise zu ergattern gibt: Feminismus, Homosexualität, Migration, sexueller Mißbrauch usw. Leute wie Kurosawa, Fellini, Visconti, Aldrich, Peckinpah usw. haben universelle Filme gemacht, die universelle Themen behandeln, die kann man auch in tausend Jahren noch anschauen. Heute steht allzu oft eine verträgliche, glatte, politisch korrekte Umsetzung im Vordergrund. Tiefe, die durch Ambivalenz und Irritation entsteht, wird selten gewagt. Das gilt auch für die Kritiken, die oft bejubeln was alle bejubeln oder in die Tonne treten, was alle ablehnen.

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