Kommentar

kontertext: COP26 – Was bleibt?

Ariane Tanner © A.T.

Ariane Tanner /  Verschiedene Medien versuchen Positives über die Klimakonferenz zu berichten. Das ist auch ein Anschreiben gegen die Untätigkeit.

An der Klimakonferenz in Glasgow, die am 12. November 2021 endete, soll ein Witz kursiert haben: Treffen sich die Erde und ein anderer Planet. Fragt der Planet die Erde: «Na, wie geht’s?» Die Erde seufzt tief und sagt: «Weisst du, nicht sonderlich gut, ich habe Homo sapiens.» – «Nicht so schlimm», sagt der andere Planet, «das geht vorüber.»

Das Deprimierendste an diesem Witz ist nicht seine in kosmischen Massstäben eh gültige Wahrheit, sondern sein Alter: circa 60 Jahre. Damals während der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre war er ja eventuell noch lustig. Es war die Zeit der aufkommenden Umweltbewegung am Ende der durch Nuklearenergie und Erdölförderung gepolsterten Boom-Jahre der Nachkriegszeit, als man auf die mit den Konsumgesellschaften parallel verlaufende Zerstörung der Natur aufmerksam machte.

Umwelterwachen und ungute Metaphern

1962 zeigte Rachel Carsons Buch «Silent Spring», wie Umweltgifte wie DDT nicht nur alles umbringen, was da kreucht und fleucht, sondern sich auch in der Nahrungskette ansammeln. Ebenso gelangten Luft, Wasser, Boden und Wald in den Fokus der Gesellschaftspolitik und Meldungen von Umweltschäden infolge industrieller und wirtschaftlicher Tätigkeiten häuften sich.

Gleichzeitig war die Weltbevölkerung – auch durch den medizinischen Fortschritt seit dem Zweiten Weltkrieg – im Steigen begriffen. Durch Publikationen wie die des Biologen Paul R. Ehrlich von 1968, «The Population Bomb», wurde die diskursive Verbindung zwischen Bevölkerungszuwachs und Umweltdegradation geläufig. So verglich beispielsweise der Journalist Gordon Rattray Taylor in seinem Buch «Das Selbstmordprogramm» die Menschheit mit einer Bakterienkultur in einem geschlossenen Behälter, die während ihrer ungebremsten Vermehrung an den eigenen Abfallprodukten ersticken müsse. Abhilfe schaffte, mit anderen Worten, nur das Verschwinden der Menschheit.

Die westliche Triage der 1960er Jahre

Problematisch an diesen Metaphern («Bevölkerungsbombe», «Bakterienkultur», «Krankheit Homo sapiens») ist der westliche Absender, der nur vorgibt, sich selbst mitzumeinen. Die stärksten Geburtenraten sind nach wie vor da, wo die Bildung am schlechtesten und die Lebenserwartung im Durchschnitt am geringsten ist. Gleichzeitig ist in diesen Regionen der Ressourcen- und Kalorienverbrauch pro Kopf am kleinsten.

Diese imperiale Verzerrung lässt sich besonders in einer malthusianisch eingefärbten Analyse von 1967 feststellen: Weil die Nahrungsmittelproduktion linear, hingegen das Bevölkerungswachstum exponentiell verlaufe, empfahlen die Autoren William und Paul Paddock, jetzt zu entscheiden, wer von den begrenzten Ressourcen wieviel erhalte. Sie drohten mit Hungersnöten und titelten: «Famine – 1975! America’s Decision. Who Will Survive?» Ihre Triage sah vor, dass es Entwicklungsländer gebe, bei denen sozusagen Hopfen und Malz verloren sei, weshalb man sie fallen lassen müsste, hingegen gäbe es Länder dazwischen, bei denen es sich lohne, in deren Überleben zu investieren. Selbstredend blieb in so einem kolonialistischen Selbstbild als geopolitische Richterin das eigene Recht auf (ressourcenintensives) Überleben unangetastet.

Verdrängungsleistung

Es ist schwer vorstellbar, dass man bei der 26. Klimakonferenz (COP26, Conference of the Parties), nachdem man seit 1972 internationale Umweltkonferenzen abhält, immer noch die alten Witze aufwärmt. Aber diese Tatsache verweist auf eine Kontinuität, die auch inhaltlich gesehen wird: «Sixty Years of Climate Change Warnings», übertitelte der Guardian im Juli 2021 einen Vorabdruck des neuen Buchs von Alice Bell. Bell zeigt minutiös auf, wie das Wissen um den Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Klimawandel 60 Jahre alt ist. In diesem Sinne ist das Wiedererzählen des Witzes sechs Jahrzehnte später die Bestätigung einer Verdrängungsleistung, der jedoch inzwischen jegliche humorige Komponente abhanden kam.

Dennoch entdeckt man in der deutschsprachigen Berichterstattung das Bemühen, diesen internationalen Institutionen mit Respekt zu begegnen und dem beharrlichen Treten an Ort positive Ergebnisse von COP26 abzuringen:

«Untrügliche Zeichen» und kritische Einordnungen

Es wird als Erfolg gesehen, dass es überhaupt immer wieder einen Versuch gibt, sich international zu treffen und um Wörter und Kommas zu streiten (Republik, 10.11.2021). Ohne diese Gelegenheit oder dieses Gefäss, so drängt sich der Umkehrschluss auf, würde erst recht gar nichts je passieren. Ebenfalls positiv zu erwähnen sei, so Martin Läubli im Tages-Anzeiger, dass die Klimaversprechen trotz ihrer Bescheidenheit ein «untrügliches Zeichen» seien, «dass der Trend hin zu einer postfossilen Gesellschaft nicht mehr umkehrbar ist». Er macht einerseits schon heute Bestrebungen in gewissen Bereichen der Wirtschaft und Industrie in diesem Sinne aus, und zweitens sieht er, dass Forschungsgelder und Förderung für nachhaltige Produkte zunehmend schneller flössen. In der Schlusserklärung der COP26, so berichtet SRF, ist auch der schrittweise Ausstieg aus der Kohlewirtschaft erwähnt, was von EU-Kommissar Frans Timmermans als «historisch» bezeichnet werde.

Natürlich liefert dieselbe Berichterstattung zu jeder dieser Errungenschaften eine relativierende Einordnung. In denselben Texten wird hervorgehoben, dass der Stopp der Abholzung de facto abermals verschoben wurde; dass mit diesen Klimaversprechen die Erderwärmung kaum bei 1,5 Grad zu begrenzen sei; dass der Kohleausstieg von einem absoluten zu einem graduellen Rückgang gewandelt wurde («phase-out» zu «phase-down»). Über Letzteres habe sich die vor Ort anwesende Schweizer Bundesrätin Simonetta Sommaruga sichtlich enttäuscht gezeigt; und derjenige, der die Abschlusserklärung vorlesen musste, kämpfte mit den Tränen.

Graphik des Ehrgeizes

Die Süddeutsche Zeitung wies darüber hinaus speziell darauf hin, dass «Xi Jinping aus China, 2020 immerhin Emittent fast eines Drittels der weltweiten CO₂-Emissionen, nicht anwesend war, genauso wenig wie Wladimir Putin (Russland, 4,5 Prozent) und Ebrahim Raisi (Iran, 2,1 Prozent)» (). Am gleichen Ort findet sich auch eine Graphik dazu, wer auf der Welt die ehrgeizigsten Klimaziele habe. Gambia liegt vorne. Hätte man, so der Artikel, die hochgesteckten Ziele wie Gambia, würde die globale Erwärmung im Jahr 2100 weniger als 1,5 Grad betragen. Mit den Schweizer «Klimazielen» jedoch zeigt die Karte bis Ende Jahrhundert eine Erwärmung von mehr als 3 Grad an.

Was von COP26 bleibt, ist noch nicht ganz abschliessend ausgemacht. Es ist aber schwer zu hoffen, dass es nicht jener Witz von der Begegnung zweier Planeten ist. Das Lachen darüber blieb einem schon lange im Halse stecken.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ariane Tanner ist Wissenschaftshistorikerin und promovierte an der ETH Zürich über die Geschichte der Mathematisierung der Ökologie. Spezialgebiete ihrer Forschung sind die Umweltgeschichte, das Anthropozän und Plankton. Als Projektleiterin führt sie transdisziplinäre und partizipative Projekte im Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich durch und ist zuständig für Umweltkommunikation in verschiedenen medialen Formaten.

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder. Die Redaktion betreuen wechselnd Mitglieder der Gruppe.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

3719017725_8c14405266

Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

GegenStrom_2_ProDirectFinance_XX_heller

kontertext: Alle Beiträge

kontertext widerspricht Beiträgen anderer Medien aus politischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

4 Meinungen

  • am 23.11.2021 um 11:23 Uhr
    Permalink

    Danke für den Artikel.
    Zwar ist der Inhalt nicht unbedingt neu, muss aber immer wieder gesagt werden.

  • am 23.11.2021 um 16:27 Uhr
    Permalink

    Ich habe nach Glasgow auch nichts davon gelesen, dass Krieg und Militär zu den grössten Verbrauchern von Energie und anderen Ressourcen gehören und erhebliche Umweltschadstoffe freisetzen. Die Schweiz will nun für sechs Milliarden Kampfjets kaufen. Das Geld fehlt dann für Wind- und Solaranlagen, für die bessere Wärmedämmung von Häusern.
    Mit einem Bruchteil der weltweiten Militärausgaben wäre es möglich den CO2 Ausstoss weltweit zu verringern. Mit einem Teil der Rüstungsmilliarden wäre es auch möglich allen Menschen genügend Nahrung, sauberes Trinkwasser zu verschaffen, sie medizinisch zu betreuen und es allen Kindern ermöglichen eine Schule zu besuchen.1981 Milliarden US-Dollar so viel Geld investierten Länder weltweit im vergangenen Jahr in ihre Armeen.
    Heute hungern 811 Millionen Menschen auf dieser Erde. 41 Millionen stehen am Rande einer Hungersnot, die extremste Form des Hungers, die zum Tod durch Hunger oder Krankheit führen kann. Zum Vergleich: 1981 Milliarden US-Dollar investierten Länder weltweit 2020 in ihre Armeen. Das ist 132-mal mehr als die 15 Milliarden, die das Welternährungsprogramm in diesem Jahr benötigen würde.
    Heute investieren Schweizer Finanzinstitute noch Milliarden in ausländische Rüstungskonzerne statt in alternative Energieproduktionsprojekte. Die Nationalbank, die UBS, Credit Suisse und Pensionskassen auch in Firmen die Atombomben herstellen. Die indirekte und direkte Finanzierung der Produktion von Atomwaffen ist in der Schweiz klar verboten.

  • Portrait_Lukas_Fierz
    am 23.11.2021 um 20:48 Uhr
    Permalink

    Man lasse sich von der COP26 nicht blenden. Seit 60 Jahren steigt das CO2 in der Luft sich beschleunigend an (https://keelingcurve.ucsd.edu/). Keine COP hat diesen Anstieg gebremst. Bis 2030 wollen die Regierungen doppelt soviel Fossilbrennstoffe brauchen, als in den Pariser Verträgen versprochen (https://productiongap.org/2021report/). Unsinnige Milliardensubventionen an die Fossilindustrie fliessen weiter. Die CO2-Konzentration steigt weiter, ebenso die Temperatur, befeuert von unkontrollierbaren Selbstverstärkungsmechanismen. Die COP26 hat kapituliert. Die Quittung werden wir in wenigen Jahrzehnten, wennicht schon Jahren erhalten.

  • am 24.11.2021 um 07:55 Uhr
    Permalink

    Auffällig an diesem Artikel sind die Erwähnungen von China, Russland und den Iran als DIE Luftverschmutzer dieser Welt ( natürlich nur beispielhaft) .
    Nicht erwähnt werden die USA, GB , Saudi Arabien (auch nur beispielhaft)denn die sind ja sooo sauber.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...