Wording Krieg

Die Wahl der Worte löst Emotionen aus und kann die Wirkung der Informationen beeinflussen. © wordart

Israelis wurden «getötet», während Palästinenser «starben»

Urs P. Gasche /  An der Wortwahl kann man erkennen, ob Medien sachlich informieren.

Die britische BBC informierte am 9. Oktober, dass nach israelischen Luftangriffen «über 500 Menschen gestorben» seien. Seit dem Überfall der Hamas seien in Israel «über 700 Menschen getötet worden». Die einen sterben im Krieg, die anderen werden getötet.

Besonders bei Konflikten zeigt eine voreingenommene Wortwahl, die einseitig wertet, auf welcher Seite die Schreibenden stehen. Die Lesenden können dann vermuten, dass auch die Informationen einseitig ausgewählt werden. 

Selbstverständlich haben auch Journalistinnen und Journalisten eine Meinung. Die meisten werden den Terroranschlag der Palästinenser in Israel scharf verurteilen und Russlands Krieg in der Ukraine ebenfalls. Deshalb lassen sich einige aus Betroffenheit oder Überzeugung von der Propaganda der Ukraine oder Israels einspannen.

Eigentlich sollten die Informationsvermittler Fakten und Aussagen aller Seiten überprüfen, zuordnen und Relevantes von allen Seiten weder verschweigen noch aus dem Zusammenhang reissen. 

Das heisst unter anderem: Entweder «sterben» alle Kriegsopfer oder sie werden – auf beiden Seiten – «getötet». Ein «Angriff» sollte stets ein «Angriff» sein – egal von welcher Seite. Entweder sollten alle Präsidenten als «Präsidenten» bezeichnet werden oder alle Machthaber – ob Syriens al-Assad, Venezuelas Maduro, Russlands Putin, Chinas Shi Ping, Ägyptens as-Sisi, bin Salman in Saudi-Arabien oder Pakistans Alvi – eben «Machthaber» oder Diktatoren «Diktatoren».


Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit

Im Folgenden einige konkrete Beispiele, wie Medien mit einer einseitigen Wahl der Worte die Ereignisse werteten (kursive Hervorhebungen durch die Redaktion):

Die Palästinenser führten «Angriffe» aus, auf welche Israel mit einer «Militäroperation» antworten wird. Fraglich sei noch, ob es auch zu einer «Bodenoperation» komme (Muriel Asseburg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik in der NZZ am Sonntag). 

Israel startete «umfangreiche Militäroperation im Westjordanland» und ging «mit einem der grössten Einsätze seit zwanzig Jahren» vor (Jonas Roth in der NZZ).

«Militäroperationen», «Militäraktionen» und «Militäreinsätze» Israels im Westjordanland (SRF-Tagesschau).

«Russland terrorisiert Kiew aus der Luft» – hier endlich Klartext – (Titel in Tamedia-Zeitungen wie Tages-Anzeiger, Der Bund etc).

«Gestern hat die Ukraine ‹offensive Aktionen› in einigen Frontabschnitten bestätigt» (Nicolas Freund in Tamedia-Zeitungen wie Tages-Anzeiger, Der Bund etc).

Aserbaidschan begann in der Region Nagorni Karabach eine «Militäraktion» und (an anderer Stelle im Artikel) eine «Militäroperation» (A.R./mac in der NZZ).

«Militärische Operation Aserbaidschans in Berg-Karabach» (Stephan Israel in Tamedia-Zeitungen wie Tages-Anzeiger, Der Bund etc).

Der türkische «Präsident Erdogan» führte in Syrien eine «Militärintervention» durch, «um kurdische Kräfte aus dem Grenzgebiet zu vertreiben» (Volker Pabst in der NZZ). 

«US-Operation in syrischem Regierungsgebiet» (Titel im Tages-Anzeiger, Der Bund etc).

Am 15. August 2021 endete in Afghanistan die «westliche Intervention» (Volker Pabst in der NZZ). Zwanzig Jahre lang hätten die NATO-Truppen «die afghanische Regierung unterstützt». – Diese «Unterstützung» hat allerdings 170’000 Tote gefordert.

«Die Armeen demokratischer Staaten führen seit Jahrzehnten mit Vorliebe ‹surgical strikes› durch (im Iran, im Irak, in Pakistan und anderswo). ‹Chirurgische Eingriffe›, die genauso wie die russischen ‹Spezialoperationen› Kontrollierbarkeit vorgeben, wo Kontrolle kaum möglich ist» (Philipp Loser im TA-Magazin).


Schweizer Medien halten sich an keine Richtlinien 

Infosperber unterbreitete Schweizer Medien folgende zwei Fragen:

  1. Gibt es für die Redaktionen ein Merkblatt oder eine Anleitung, wann welche Begriffe verwendet werden sollen?
  2. Könnten Sie uns dieses Merkblatt oder diese Richtlinien zustellen?

Alle angefragten grossen Medien – ausser Keystone/SDA/dpa – antworteten, sie hätten weder ein solches Merkblatt noch Richtlinien dazu und könnten diese deshalb auch nicht zustellen. Keystone/SDA/dpa erklärte, ein Handbuch zu haben, doch dieses «sei nicht für die Öffentlichkeit gedacht».

SRF-Chefredaktor Tristan Brenn teilte mit, es müsse «jeder Fall einzeln betrachtet werden». Es sei klar, dass einzelne Luftangriffe noch kein «Krieg» seien, aber der Begriff «chirurgische Eingriffe» für gezielte Luftangriffe wäre eine «unzulässige Verharmlosung». 

Für Tamedia («Tages-Anzeiger», «Der Bund», «Basler Zeitung» etc.) antwortete Chefredaktor Arthur Rutishauser: «Bei uns gibt es kein solches Merkblatt. Wir berichten verantwortungsvoll und mit gesundem Menschenverstand.»

Chefredaktor Eric Gujer von der NZZ beantwortete die beiden Fragen von Infosperber nicht.

Die Auslandredaktion der CH-Media (Aargauer Zeitung, St. Galler Tagblatt, Zuger Zeitung, Solothurner Zeitung etc.) antwortete kurz und bündig: «Wir haben diesbezüglich keine schriftlich festgehaltene Sprachregelung.» Die Medienstelle ergänzte: «Die Kolleginnen und Kollegen greifen dort allfällig zur Bezeichnung Staatschef oder Diktator, wo sie unserer Redaktion angemessen erscheint. Dito Terrorist etc.»

Der Mediensprecher der Blick-Gruppe antwortete ähnlich: «In der redaktionellen Arbeit wird kein Merkblatt oder eine Anleitung verwendet. Wir setzen auf die Kompetenz und das Einschätzungsvermögen unserer Journalistinnen und Journalisten, die hier autonom entscheiden.»

Schliesslich schrieb Reto Gysi von Wartburg, Chefredaktor von Swissinfo: «Die Problematik stellt sich nicht nur bei Regierungsvertretern oder im Zusammenhang mit Kriegshandlungen, sondern in der gesamten Berichterstattung, so zum Beispiel auch bei der Bezeichnung von politischen Parteien oder Grosskonzernen […] Unser Ton ist seriös, fair, objektiv und dem jeweiligen Thema angemessen […] Ein besonderes Augenmerk ist auf die Übernahme von Bezeichnungen in der Polit-Berichterstattung zu legen.» 
Ein Merkblatt oder Richtlinien speziell zur Wortwahl gebe es auch bei Swissinfo nicht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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5 Meinungen

  • am 20.10.2023 um 12:31 Uhr
    Permalink

    Die Absicht ist entscheidend

    Die Unterscheidung zwischen sterben und töten ist richtig. Im Verb sterben steckt keine Absicht, töten ist ein gewollter Vorgang. Sicher gibt es auf beiden Seiten Absichtsfälle, aber in einem strukturiert und geregelt ungleichen Ausmass. Die Hamas wollen absichtlich Juden umbringen (übrigens jüngst Kibuzzim-Juden, also eher fortschrittliche, linke Isrealis) und erklärtermassen deren Staat und Existenz vernichten. Die Vernichtungsabsicht besteht bei den Isrealis erklärtermassen nicht. Man kann natürlich immer Einzelfälle herausgreifen und mit dem grossen Ganzen vergleichen. (Das beherrscht die SVP glänzend in der Asyldebatte). Entscheidend ist aber, was einen verbrieften Hintergrund hat. Darum nochmals: Töten ist der Hamas Absicht. Und solange diese besteht, werden Palästinenser sterben.

    • am 21.10.2023 um 18:48 Uhr
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      Nach Ihrem Verständnis wäre also z.B. ein Verkehrsteilnehmer, welcher von einem anderen Verkehrsteilnehmer bei einem Unfall ins Jenseits befördert wurde, einfach gestorben und nicht getötet worden, da ja keine Absicht zu töten bestand?? Der Verursacher kommt aber wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht…
      Das ist ja der Punkt: Es geht bei dieser Unterscheidung nicht darum, ob die Absicht zu töten bestand oder nicht, sondern darum, dass der Tod all dieser Opfer einen Verursacher hat, und damit eine Schuldfrage im Raum steht. Und mit «sterben» statt «töten» versucht man, diese Schuldfrage unter den Tisch zu wischen.

    • am 22.10.2023 um 12:16 Uhr
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      Sie schreiben: «Töten ist der Hamas Absicht.»
      Was ist dann die Absicht der israelischen Militärs und Politiker?
      «Israel’s new war cabinet vows to wipe Hamas off the earth»
      (www.reuters.com/world/middle-east/netanyahu-gantz-agree-form-emergency-israel-government-statement-2023-10-11/)
      ? … ganz friedlich ? ? … und ohne Zivilisten zu töten ? ? ? (oder sterben die halt zufällig, wen ihr Haus bombadiert wird und sie von Trümern erschlagen werden – das war dann keine Absicht??)

      Die Wortverwendung «töten» oder «sterben» etc. mag nicht immer von böser Absicht getragen sein – in der Häufung der Fälle ist sie aber inakzeptabel.

      GW

  • am 20.10.2023 um 14:32 Uhr
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    Schon lange nervt mich diese Ungleichbehandlung durch selektive Wortwahl in unseren Medien – ein «Iraner wird getötet – ein Mensch aus der westlichen Welt wird er ermordet». Beides sind Morde und sollten – gemäss unseren westlichen, christlichen Werten – auch so benannt werden. Ich denke hier besteht Handlungsbedarf, den sie in ihrer Recherche aufgedeckt haben. Dies sollte in der Lehre und der Praxis auch mit Richtlinien umgesetzt werden, da augenscheinlich unsere ethischen Werte nicht ausreichen.

  • am 20.10.2023 um 18:40 Uhr
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    Sicher verrät die Wortwahl einiges von der Einstellung der Autorinnen und Autoren. Aber gerade im vorliegenden Fall des Nahostkonflikts scheinen mir die Formulierungen «sind durch die Hamas getötet worden» und «starben durch einen israelischen Angriff» recht passend, weil sie zum Ausdruck bringen, dass die Hamas wehrlose Zivilisten abgeschlachtet haben, währenddem die israelische Armee schrecklich viele zivile Opfer in Kauf nimmt bei ihren Vergeltungsschlägen gegen die Hamas. Ich sehe da einen Unterschied. Das erste wird jeder vernünftige Mensch verurteilen, das zweite kann man mit sehr guten Gründen ebenfalls verurteilen. Aber ja, für die Getöteten macht es keinen Unterschied, obs sie ums Leben kamen, oder getötet wurden – tot sind sie allemal.

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