Sperberauge

Israel: Gerade bei brutalem Terror wäre Faktentreue gefragt

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Gerade während Konflikten können Medien ihre Glaubwürdigkeit erhöhen, wenn sie sich an überprüfbare Fakten halten.


Die Fakten

Während der ersten fünf Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas gab die israelische Regierung die Zahl der am 7. Oktober Getöteten mit wahrscheinlich 1400 an. Diese Zahl wurde weltweit meist nicht als Schätzung, sondern als Tatsache verbreitet.

Am 10. November korrigierte das israelische Aussenministerium die Zahl. Man gehe inzwischen von 1200 Getöteten aus. Rund 300 davon waren Militärs in Uniform oder in Zivil.

Die neue Schätzung von 1200 Getöteten haben viele Medien höchstens am Rande erwähnt. Das führt dazu, dass noch heute manche Journalisten und Experten in den Medien die Zahl von 1400 verbreiten.

Die Einordnung

Die leicht nach unten revidierte Zahl ändert absolut nichts an der Scheusslichkeit des Terrorangriffs auf mehrheitlich zivile Personen einschliesslich Frauen und Kinder. Falls viele der über 200 nach Gaza entführten israelischen Zivilpersonen nicht lebend nach Israel zurückkommen sollten, erhöht sich die Zahl der israelischen Opfer.

Mit der Information, dass Israel die Opferzahl vom 7. Oktober zu hoch angab, werden das Leid der Israelis und der Terrorakt nicht irgendwie relativiert. Es geht schlicht darum, über Fakten korrekt zu informieren.

Nicht darüber zu informieren, etwa um in der Situation des Krieges die Glaubwürdigkeit der israelischen Regierung nicht in Frage zu stellen, entlarvt ein seltsames Verständnis von faktenbasierter Information.

Der sprachliche Umgang mit Fakten kann auch ein Indiz dafür sein, dass die Autorin oder der Autor voreingenommen ist oder sich als Partei versteht.

Die Auswahl einiger Berichte

10.11.2023

  • Das ZDF meldet online, dass Israel die Zahl der Toten durch den Hamas-Angriff vom 7. Oktober inzwischen auf 1200 schätzt. Das habe das Aussenministerium mitgeteilt. Bisher ging man von etwa 1400 Getöteten aus.

11.11.2023

  • Die «Times of Israel» meldet das Gleiche: «Israel revises death toll from Oct. 7 Hamas assault, dropping it from 1,400 to 1,200. The revised figure was provided by Foreign Ministry spokesman Lior Haiat. The most recent death toll from the military had 318 service members killed during the attack itself, with police citing another 59 dead. Such figures include armed fighters who tackled the terrorists head-on, but also unarmed service members in non-combat roles who were killed inside their bases, sometimes in their beds.»
  • In den Tamedia-Zeitungen verbreitet Jan Bolliger: «Mindestens 1400 Israelis starben an diesem Tag.» 

12.11.2023

  • «Zentralplus» informiert, dass es nach «neusten Schätzungen 1200 Getötete» waren.
  • In der «NZZ am Sonntag» schreibt Kulturredaktorin Anna Kardos vom «Massaker der Hamas an 1400 israelischen Zivilisten». 

13.11.2023

  • «Le Temps»: «Israel hat die Zahl der Toten von 1400 auf 1200 korrigiert.»
  • «nzz.ch» verbreitet: «1400 Israelis wurden ermordet.»
  • Im «Tages-Anzeiger» schreibt Peter Münch aus Tel Aviv vom «Massaker mit 1200 Toten».

14.11.2023

  • «Die Welt» berichtet immer noch: «1400 Menschen wurden bestialisch ermordet».

15.11.2023

  • Auch laut «cash.ch» wurden «bis zu 1400 Menschen getötet, die meisten davon Zivilisten».
  • Die «NZZ» berichtet wieder über die «Ermordung von rund 1400 Zivilisten».
  • Auch «Watson.ch»: «Die Hamas ermordete 1400 Menschen.»

18.11.2023

  • In Tamedia-Zeitungen verbreitet Auslandredaktor Simon Widmer erneut: «Der Hamas-Terrorangriff forderte über 1400 Todesopfer.»


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Das ist nur ein Beispiel, wie unsorgfältig mit Zahlen und Fakten manchmal umgegangen wird. Gerade bei Konflikten und in Krisensituationen ist es für Medien wichtig, ihre Glaubwürdigkeit mit Faktentreue und Quellenangaben zu bewahren.

Oft braucht man kein Profi zu sein, um zu erkennen, ob ein Artikel oder ein Tagesschau-Beitrag seriös oder zweifelhaft ist. Siehe Infosperber vom 20. August 2017:
So erkenne ich, ob ein Medium seriös informiert


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Zeitungen_1

Kritik von Zeitungsartikeln

Printmedien üben sich kaum mehr in gegenseitiger Blattkritik. Infosperber holt dies ab und zu nach.

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Eine Meinung zu

  • am 22.11.2023 um 15:06 Uhr
    Permalink

    Danke für dieses Sperberauge. Ich finde allerdings diese Ungenauigkeit weniger bedenklich als die Gesamtsituation. Laut UNO wurden zwischen dem 1.1.2008 bis zum 6.11.2023 die Anzahl 6542 Palestinenser getötet, davon 5365 im Gazastreifen und 1141 im Westjordanland, davon 1049 durch das Militär und 50 durch Siedler, und im restlichen Israel 36. Im Zeitraum 24.1.2008 – 19.10.2023 wurden 309 Israelis von zivilen und miltärischen Palestinensern getötet. Fahrlässige Tötungen und Unfälle sind nicht dabei.
    Die im Gazastreifen Getöteten sind seit dem 7.11.2023 bis zum 10.11.2023 mit 11’078 angegeben, davon 68 Prozent Frauen, Kinder und Alte. Weitere 6000 werden vermisst. Die Todesrate im Gazastreifen bleibt mit rund 270 pro Tag relativ konstant. Die getöteten Israelis und Ausländer werden mit 1200 angegeben, davon 69 im Gazastreifen. 239 Geiseln werden vermisst.

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