Der Bayrische Rundfunk entlarvt die «Leichenwagen» in Bergamo

Der Bayrische Rundfunk entlarvt die «Leichen-Lastwagen» in Bergamo. © BR

Für eine Fälschung braucht es keinen Photoshop

Helmut Scheben /  «Content credentials»: Mit dieser neuen Technik sollen Foto-Fakes entlarvt werden. Da wird eine Illusion vermarktet.

Im Januar war ein Video im Umlauf, das eine nächtliche Traktoren-Demo zeigt. Zu hören sind die Sprechchöre aufgebrachter Bauern. Die Bilder waren echt, der Ton dagegen stammte, wie AFP herausfand, von einem Fussballstadion. Mit dieser Art von Fälschungen soll jetzt Schluss sein, verspricht das Schweizer Radio SRF.

Die Sendung «Rendez-vous am Mittag» berichtete am 6. Februar 2024 von einer «Content Authenticity Initiative», die dazu beitragen soll, die Echtheit von Fotos und Videos zu prüfen. Für diese Initiative  zählt der Softwarekonzern Adobe auf die Unterstützung von Hunderten von «creators, technologists, journalists, activists and leaders», darunter grosse Medienunternehmen wie die BBC und Technologiekonzerne wie Microsoft.

Dabei kommt eine neue Technik zum Einsatz, die im Wesentlichen auf einem Chip in der Kamera beruht, welcher im Moment des Fotografierens eine Art digitale «Geburtsurkunde» erstellt.

Das Verfahren kann ebenfalls registrieren, wann und mit welchem Tool ein Foto oder ein Video später bearbeitet wurden. Dieser «Lebenslauf» kann später auf dem Bild abgerufen werden, sodass wir – wie es in der Radiosendung heisst – «herausfinden können, was echt und was gestellt ist». Mit dieser neuen Technik werde «jede Manipulation transparent».

Vorsicht! Auch «echte Fotos» eignen sich für Fälschung

Da verspricht das Radio viel zu viel. Denn fälschen und manipulieren kann man Bildaussagen, auch ohne ein Foto zu verändern. Viele bekannte Fälschungen, die eine politisch schwerwiegende Manipulation bezweckten, beruhten auf Fotos, die materiell hundertprozentig echt und unverändert waren. Die Fälschung bestand dabei nicht in der Bearbeitung des Fotos (z.B. einen nassen Boden rot einfärben, um Blut vorzutäuschen) sondern ganz einfach in einer erlogenen Bildlegende, die dem Foto unterlegt wurde. 

Chemiewaffen im Irak
Eine der Fotos, die angeblich bewiesen, dass Saddam Hussein über chemische Waffen verfügt. Diese Luftaufnahme zeigt das Chemiewerk in Al-Musayyib, wo man im Mai 2002 «eine ungewöhnliche Betriebsamkeit» beobachten konnte, wie US-Aussenminister Powell erklärte.

Die Journalisten hätten beim Thema Foto-Fälschung an den ehemaligen US-Aussenminister Colin Powell erinnern können, der vor den Vereinten Nationen Bilder von Tanklastwagen in der irakischen Wüste zeigte und behauptete, es handele sich um «fahrbare Labore» für biologische und chemische Waffen des Präsidenten Saddam Hussein. Die Manipulation bestand nicht in der Retouchierung oder Datenverfälschung der Fotos, sondern in der Behauptung, sie stellten etwas anderes dar, als sie in Wirklichkeit darstellten.

Propaganda-Bilder konstruieren oft Feindbilder, Szenarien der Bedrohung und Gräueltaten des Feindes, um eine grösstmögliche Menge von Menschen davon zu überzeugen, dass ein Krieg geführt werden müsse und dass Aufrüstung alternativlos sei. Der deutsche Historiker Gerhard Paul hat in seinem Standardwerk «Bilder des Krieges, Krieg der Bilder» vom amerikanischen Bürgerkrieg über Vietnam bis zu den Kriegen am Golf und in Afghanistan die Propaganda-Visualisierung moderner Kriege beschrieben. 


Das Foto vom serbischen Flüchtlingslager Trnopolje

Mit Foto Emotionen für den Krieg gegen Serbien geschürt
Mit Foto Emotionen für den Krieg gegen Serbien geschürt?

Ein Beispiel eines Bilds, dessen Kontext verzerrt wurde, war das Horror-Foto vom Flüchtlingslager Trnopolje von 1992. Es wurde benutzt, um kriegerische Interventionen im Bosnienkrieg zu legitimieren. Das Foto zeigte Fikret Alic, einen jungen bosnischen Muslim. Die «Bild»-Zeitung titelte: «Bis auf die Knochen abgemagert, weggesperrt hinter Stacheldraht.»

Belson 92
Belson92: «Der Schrecken des neuen Holocaust»

Das Foto war echt, aber es wurde für falsche kontextuelle Aussagen missbraucht. «The Proof» (der Beweis) titelte der Daily Mail. Der Daily Mirror titelte «Belsen92» – in Anspielung auf das bekannte Nazi-Vernichtungslager. Darunter die Schlagzeile: «Der Schrecken des neuen Holocaust». Es wurde suggeriert, der deutsche Holocaust und die serbischen «Todeslager» seien vergleichbar.

«Nie wieder Auschwitz»: Mit dieser Parole sollte sich der deutsche Aussenminister Josef («Joschka») Fischer im Jahr 1999 hinter die Nato-Bombardierungen auf Belgrad stellen.  

In dem überfüllten Flüchtlingslager Trnopolje gab es kein Problem des Hungers oder der Unterernährung. Der abgemagerte junge Mann, den die Kamera abbildete, war erkrankt, möglicherweise an Tuberkulose. Er war unter Hunderten von Flüchtlingen in diesem Lager praktisch der einzige Mensch mit diesem Aussehen.  

Über die tatsächlichen Zustände im Flüchtlingslager von Trnopolje gibt es widersprüchliche Versionen.

An anderen Orten gab es im Bosnienkrieg der Jahre 1992-1995 bosnisch-serbische Internierungs- Folter- und Todeslager sowie Massenvertreibungen. Das berichtete u.a. US-Journalist Roy Gutman auf Basis von Zeugenaussagen.


Cancel Culture ist keine Erfindung unserer Tage

Eine deutsche Firma hat kürzlich die erste Kamera mit einem «Signatur-Chip» auf den Markt gebracht. Die Echtheit von Bildern könne künftig jederzeit mit solchen «Content Credentials» überprüft werden, heisst es im PR-Text. Das trifft teilweise sicher zu. Selbstverständlich ist diese Technik ein Fortschritt und dient der Aufdeckung von Betrug und Fälschung in der Fotografie, wo diese durch Retouchen und andere «chirurgische» Eingriffe erreicht werden. 

Auch das hat eine lange Tradition. Stalin liess Leo Trotzki von Fotos entfernen, nachdem dieser als Dissident ins Exil nach Mexiko gegangen war. Der georgische Soldat, der 1945 die sowjetische Fahne auf dem Berliner Reichstag hisste, trug zwei Armbanduhren, eine am rechten, eine andere am linken Arm. Eine der beiden Uhren wurde, um naheliegenden Spekulationen vorzubeugen, von den historischen Fotos wegretouchiert. 

Der Historiker Gerhard Paul diskutiert in seiner Sammlung manipulierter Kriegsbilder die weltbekannte Vietnam-Ikone des AP-Korrespondenten Nick Ut von 1972.

Vietnam Mädchen
Von hinten zum Rennen in Richtung Fotografen aufgefordert. Der Schrecken und das Leid sind echt.

Das Foto zeigt eine Gruppe vietnamesischer Kinder, die nach einem Napalmangriff schreiend auf die Kamera zurennen, in der Mitte die nackte neunjährige Kim Phuc. Es gehört zu den bekanntesten Kriegsfotos des 20. Jahrhunderts. Es ist aber nicht das Original. Das Original-Foto wurde am Rand abgeschnitten, um die Schar von Fotografen zu verbergen, die filmend neben, vor und hinter den Kindern hergingen. Cancel Culture ist keine Erfindung unserer Tage. 

Aber auch jenseits aller vorsätzlichen Fälschung ist es mit der Fotografie so eine ungewisse Sache. «Einem Bild darf man nicht trauen, Bilder tendieren dazu zu lügen», sagt der Bergfotograf Robert Bösch: «Wenn mir der Stern den Auftrag gibt, zu zeigen, wie verbaut und überzivilisiert die Alpen sind, mache ich die Aufnahmen in der gleichen Bergwelt, in der ich für Schweiz Tourismus die unberührte schöne Natur fotografiere. Es ist der Ausschnitt, das Weglassen, was den Unterschied macht.»

Fotos wie diejenigen aus Bergamo können als starke Droge wirken.

Was ist echt, und was ist unecht? Was wollen wir zeigen und was lieber nicht? Da kommen wir auf das weite Feld der Ideologien und es wird sehr kompliziert. Es gibt Fotos, die in Hinsicht auf ihre technische Entstehung und journalistische Bildlegende einwandfrei sind. Es stimmt alles, und alles ist falsch, wie es falscher nicht sein könnte. Das Problem entsteht, weil entscheidende Kontext-Informationen nicht verfügbar sind. Eine breite Masse von Menschen nimmt ein bestimmtes Foto in einem bestimmten Moment als Verstärker, Erklärung und Ausdruck ihrer momentanen, psychisch-mentale Bedürfnisse manchmal geradezu eifrig auf. 

Die Fotos von einem nächtlichen Lastwagenkonvoi in Bergamo wirkten als Katalysator für die enorme Angst vor dem Corona-Virus, die sich flächendeckend verbreitete. «Das Bild ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Paradebeispiel dafür, dass Bilder Angst erzeugen können, ohne irgendetwas Konkretes zu zeigen», schreibt die Julie Metzdorf, Kulturjournalistin im Bayrischen Rundfunk, in einer luziden Analyse der damaligen Vorgänge. 

Das Foto, eine Lastwagenkolonne in der Dunkelheit, war authentisch. Die Erzählungen, die sich dazu unverzüglich millionenfach im Netz ausbreiteten, waren es nicht. In Wahrheit war das Militär nicht eingesetzt worden, weil Berge von Leichen nicht anders hätten transportiert werden können. «Die Anzahl der Verstorbenen war damals nicht höher als bei manchen Grippewellen in Italien», hält Metzdorf fest. Um Fakten zu schaffen hatte die Verwaltung beschlossen, die Covid-Verstorbenen sofort einzuäschern. Normalerweise werden in Italien aber nicht so viele Verstorbene kremiert. Deshalb reichten die Kapazitäten des Krematoriums in Bergamo nicht aus und die Leichen mussten in umliegende Orte transportiert werden.

Solche genaueren Informationen wurden damals zurückgehalten oder ignoriert. Bergamo wurde zum Schlagwort und zum Symbol des Todes. Politiker jeder Couleur begründeten Lockdowns mit dem Hinweis, es gelte «Zustände wie in Bergamo» zu vermeiden. Bilder können wirken wie starke Drogen.

Wir leben in Geschichten, die wir uns erzählen, und wir sind Ghostwriter unserer Erinnerungen. Wenn wir das Problem der «Verfälschungen» zu Ende denken, gelangen wir in eine unübersehbare Grauzone von subjektiven Determinanten. Der Fotograf, die Kamerafrau, sie werden aus dem Panorama der Möglichkeiten die Ausschnitte zeigen, die ihrem Auftrag, ihrer Überzeugung, ihren kognitiven Fähigkeiten, ihrer Sozialisation und Ideologie entsprechen. Und sie werden sich im schlimmsten Fall keine Rechenschaft darüber ablegen, warum sie ein bestimmtes Bild sehen wollen und ein anderes nicht sehen können. 

Und darüber wird auch der beste Signatur-Chip in einer Kamera keine Auskunft geben können. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Business_News_Ausgeschnitten

Medien: Trends und Abhängigkeiten

Konzerne und Milliardäre mischen immer mehr mit. – Die Rolle, die Facebook, Twitter, Google+ spielen können

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 11.02.2024 um 09:53 Uhr
    Permalink

    Interessante Thematik. Und tatsächlich nicht neu. Schon mit den alten Technologien auf Papier und Filmrollen ging das ganz gut. Seit dem ‹Arabischen Frühling› 2011 und dem Aufkommen der ‹Sozialen Medien› wurde diese Fälschungen besonders häufig auch mit Videos verwendet.
    Eines geht hier allerdings vergessen: Mit AI/KI wird man solche Fotos und Videos schon in naher Zukunft komplett fälschen können, inkl. der ‹digitalen Geburtsurkunde›.
    Es kommt dahin, dass Fotos und Videos komplett jegliche Beweiskraft verlieren werden. Helfen können hier nicht technische Massnahmen, sondern nur gesellschaftlich, rechtliche und finanzielle.

  • am 11.02.2024 um 17:30 Uhr
    Permalink

    Dieses ständige «Was-darf-man-noch-Glauben» macht unser Empfinden auf Dauer kaputt. Empathie und Solidarität drohen zu verschwinden.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...