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Auf der Intensivstation des Spitals Sitten © Screenshot ARD

Fragwürdige Nachrichten über das Katastrophenland Schweiz

Rainer Stadler /  Ein ARD-Team berichtet über die Corona-Schweiz. Und scheitert.

Es klingt dramatisch, was das ARD-Magazin «Kontraste» dieser Tage berichtete: In der Schweiz herrsche Corona-Notstand; und dennoch pflegten deren Einwohner ein frivoles, lockeres Leben. Die Moderatorin verkündet zur Einführung dem Publikum mit besserwisserisch-bemitleidendem Unterton, man bekomme gleich zu sehen, was geschehe, «wenn man aus Rücksicht auf die Wirtschaft alles erst mal weiterlaufen lässt».

Zur Einführung folgt eine Szene von einem Strassencafé in der Zürcher Innenstadt, wo Gäste in der Sonne sitzen. Kurz darauf wechselt der Blick nach Sitten, wo die Krise am härtesten zugeschlagen und das dortige Spital die Kapazitätsgrenzen erreicht habe.

Kapazitäten erschöpft?

Die Reporter interviewen den Chefarzt und eine Pflegefachfrau, die beschreiben, wie schwierig bis unmöglich die Lage sei. Die Rede ist davon, dass Atemgeräte knapp geworden seien und das Personal erschöpft sei. Zudem gebe es keine regulären Intensivbetten mehr. Der ARD-Beitrag beruft sich auf eine missverständliche Aussage der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI), die von einer vollständigen Auslastung schreibt, aber in der Medienmitteilung gleichzeitig erwähnt, dass die Intensivstationen dank Ausweitung der Kapazitäten schweizweit dennoch nicht überlastet seien.

Gewiss kommt es in Spitälern zu schwierigen und belastenden Situationen wegen der Corona-Epidemie. Die Lage in einem Walliser Spital mit einer lockeren Strassencafé-Szene zu vergleichen ist allerdings so, wie wenn man einen medizinischen Engpass in Berlin mit dem Verhalten der Bevölkerung in Köln erklären würde. Der ARD-Beitrag verschweigt, dass das Wallis von der Epidemie deutlich stärker als Zürich getroffen wurde und dass man deshalb im Südwestschweizer Kanton schärfere Massnahmen als in der Limmatstadt ergriffen hat. Auch andere Länder in Europa beschliessen je nach Lage in ihren Regionen unterschiedlich strenge Restriktionen.

Positiven Trend verschwiegen

Deutschland verzeichnet deutlich weniger Corona-Fälle als die Schweiz. Darauf weisen die ARD-Leute zu Recht hin. Aber sie verschweigen den positiven Trend hierzulande. Die Anzahl der positiven Corona-Fälle ist seit etwa einer Woche rückläufig. Entsprechend gibt es Grund zur Hoffnung, dass die Gegenmassnahmen wirksam sind.

Diese sind viel sanfter als in den meisten Staaten. Noch weiss niemand, welcher Weg langfristig am besten ist, um die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu meistern. Umso mehr würde es die journalistische Neugier gebieten, ergebnisoffen hinzuschauen, wenn Staaten wie die Schweiz einen unkonventionelleren, weniger autoritären Weg einschlagen und die Eigenverantwortung höher gewichten als andere Länder.

Doch die ARD-Leute wählten lieber das Drama. So erwähnen sie den Ratschlag der SGI an Risikopatienten, eine Risikoverfügung auszufüllen. Und das heisse, so der Beitrag: Nicht nur Hochbetagte (über 86 Jahre) sollten sich mit der Frage auseinandersetzen, ob sie lebensverlängernde Massnahmen wünschten. Vielmehr müssten dies alle tun. Da schwingt unausgesprochen der Kommentar mit: Was für unmenschliche Verhältnisse in der Schweiz!

Patientenverfügung normal

Es ist indessen so, dass im Operationsbetrieb auch zu regulären Zeiten selbst Patienten mit sehr hoher Überlebenschance ein Papier bekommen, in welchem sie festlegen können, ob und welche lebensverlängernden Massnahmen sie wünschen, falls etwas Aussergewöhnliches geschieht. Das ist ein Zeichen von Menschlichkeit und eine Anerkennung der einzelnen Persönlichkeit. Kurz und gut: Man nimmt hier nicht nur Rücksicht auf die Wirtschaft, sondern auch auf die Menschen.

Man könnte nun polemisch feststellen: Deutschland leistet sich das teuerste öffentliche Fernsehen Europas. Da müsste besserer Journalismus machbar sein.


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12 Meinungen

  • am 23.11.2020 um 12:52 Uhr
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    Vielleicht doch ein bisschen arrogant, diese Schweizer Antwort auf den deutschen Bericht mit einpaar typisch journalistischen Verkürzungen. Wie wäre es, wenn man stattdessen versuchen würde, auf allen Ebenen Vertrauen aufzubauen, das nun wirklich überall zerschlagen ist.

  • am 23.11.2020 um 12:55 Uhr
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    Die Schweiz leistet sich das teuerste öffentliche Fernsehen – denn der Massstab muss der Kapitaleinsatz pro Zuschauer sein. Der interkantonale Lockdown-Ausweichtourismus und die schweizweiten Patientenverlegungen sprechen gegen eine auf das Lokale beschränkte Sichtweise. Die kantonal unterschiedlich harten Massnahmen mögen das Föderalismusbedürfnis befriedigen, sind aber der Pandemiebewältigung sicher wenig zuträglich. Weiter gibt es nicht «DAS Wallis», denn im deutschsprachigen Oberwallis ist die Inzidenz deutlich tiefer, als im französischsprachigen Unterwallis. Dass das Gesundheitswesen nicht völlig zusammengebrochen ist, ist mithin der Tatsache geschuldet, dass viele Betagte im Pflegeheim sterben, wo sie weder beatmet, noch mit Infusionen versorgt werden – was wohl in etlichen Fällen einen qualvollen Erstickungstod bedeutet. Was der IS-Artikel verschweigt, ist die Aussage einer Pflegenden im Kontraste-Beitrag, wonach nicht nur ausserkantonal verlegt wird, sondern auch hart triagiert wird! Zudem beklagte auch ein Oberarzt unhaltbare Zustände. Diese Tatsachen hat das (teure) Schweizer Staatsfernsehen bisher unter dem Deckel gehalten, was ich sehr bedauerlich finde, denn Schönfärberei ist genau so unangebracht, wie die unterstellte «Wahl des Dramas». Ob die Fallzahlen nachhaltig rückläufig sind, wird sich weisen müssen. Würde in einem weniger betroffenen Kanton massnahmentechnisch etwas über das absolute Minium hinausgegangen, so schaffte dies IPS-Plätze für Verlegungen.

  • erich_schmid
    am 23.11.2020 um 13:29 Uhr
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    es gibt keinen besseren journalismus in europa als den deutschen, vor allem bei ard und zdf. aber es passieren auch dort fehler. wenn man hingegen das diskurs-niveau insgesamt vergleicht zwischen der schweiz und deutschland, dann gibt es zuungunsten unserer medien ein riesengefälle. das hat natürlich auch mit den produktionsbedingungen und den ausbildungsmöglichkeiten zu tun. aber der bundesrat, allen voran der finanzminister und seine sinkflugpartei, werden nicht müde, das virus zu verharmlosen und eine erhöhte totenrate in kauf zu nehmen. das für die wirtschaft „unwerte“ leben soll nach massgabe der svp und ihrer ideologie geopfert werden. diese ard-aussage ist fatal und stimmt. da sprechen neben geringfügigen widersprüchen (sonnenbaden im zürcher boulevard-café vs. walliser spitalverhältnisse) die fakten eine eindeutige sprache.

  • am 23.11.2020 um 13:30 Uhr
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    So funktioniert das vom Bürger finanzierte Staatsfernsehen in Deutschland. Eine Sauerei. Und in der CH ist es genau gleich.

  • am 23.11.2020 um 15:44 Uhr
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    Ich gehe einig mit Ihnen, Herr Stadler. Auch die NZZ hat uns über das vielfältige kritische Medienecho auf die Entscheidungen unseres Bundesrates informiert wie auch über die Präferenzen deutscher Soziologen bezüglich unserem Pandemiemanagement, ebenso wie die Meinung eines Beamten der WHO, alle in dieselbe Richtung. Es ist schmeichelhaft zu vernehmen, wieviele gutmeinende Medienschaffende den schweizerischen Souverän und dessen Vertreter glauben beraten zu müssen. Zum Glück sind wir nüchtern genug, solchen Moralimperialismus nicht allzu ernst zu nehmen und unsere eigenen Entscheidungen zu treffen, auch hinsichtlich Einstellungen zum Tod (das sag ich als Mitglied der «Risikogruppe"). Das Management der Pandemie unserer Landesregierung seit Beginn hat mein Vertrauen in sie nur gestärkt.

  • am 23.11.2020 um 16:56 Uhr
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    Hier wird Deutschland im Eric-Guyer-Stil als einen Gesamtakteur präsentiert, der nicht so viel Geld für das Gesundheitswesen, sondern bitte für weniger hochmütige Berichterstattung ausgeben mögel. Soll das seriös sein? – Wer solche Pandemie-Rekorde vorlegt wie die Schweiz, muss damit leben, dass sich andere dafür interessieren.
    Das Explodieren der Infektions-, Positivitäts- und Übersterblichkeitsraten ist sicher nicht einer zweifellos sympathischen liberalen Lebensart zu verdanken. Sonst hätten wir jetzt weniger depressive Studierende, die schon das zweite Semester ihre Hochschulen nicht mehr betreten und nicht vor Ort pandemiegerecht zusammenarbeiten dürfen. Aber die haben nun mal keine Lobby und machen keine Umsätze. Sie repräsentieren nur etwas so Geringfügiges wie die Zukunft. – Wie es zu den Schweizer Negativrekorden kam, kann man durchaus inländischen Medien entnehmen: https://www.woz.ch/2045/coronapandemie/der-kampf-um-die-kosten. (Achtung, Mainstream!) Auch die FAZ (30.10.), stellte ernsthaft die Frage nach den Gründen (Achtung, deutsches Medium!) und beliess es beim Kantönligeist. Dieser trat aber laut WOZ eher unfreiwillig auf den Plan. – Natürlich haben jetzt im Wallis keine Strassencafés mehr auf. Aber im Sommer und Frühherbst war vor Ort zu besichtigen, dass man dem Urlaubsbedürfnis und der Zahlungsbereitschaft der geplagten Inländer gerne entsprochen und die Vorsichtsmassnahmen ganz liberal und unautoritär den Ausserschweizern und Ausländern überlassen hat.

  • am 23.11.2020 um 19:41 Uhr
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    Nach 4:09 wird auf die rückläufigen Zahlen hingewiesen.

  • am 23.11.2020 um 21:16 Uhr
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    Wieso schreibt Infosperber auch hier von Corona – Fallzahlen, statt nur von positiv Getesteten? Wobei man sich auch mal mit den Test selbst, dessen Zuverlässigkeit und den Möglichkeiten «Fallzahlen» zu manipulieren auseinandersetzen sollte.
    Ein Arzt kritisiert Massnahmen nur wegen Testergebnissen zu veranlassen:

    "Als Arzt halte ich es jedoch für legitim, auf Mängel hinzuweisen, die beim Einsatz von RT-PCRTests im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie von zwei Spezialisten für Infektionskrankheiten aufgezeigt wurden."

    Viruslast diktiert Massnahmen
    Schwellenwert reduzieren
    "Ein erster Gesichtspunkt bei RT-PCR-Tests ist ihre hohe Sensitivität. Der Test kann auch dann positiv sein, wenn eine Person nur noch Spuren von Fragmenten eines Virus in sich trägt, das jegliche zirkulierende Kraft verloren hat."

    Laut Dr. Michael Mina, einem Epidemiologen in Harvard, legen die meisten Tests die Grenze der Positivität bei 40, einige bei 37 fest. Tests mit so hohen Zyklusschwellen sind in der Lage, nicht nur das lebende Virus nachzuweisen, sondern auch genetische Fragmente dessen, was vom Virus übrigbleibt. Fragmente also, die kein besonderes Ansteckungsrisiko darstellen. Es ist, als fände man ein Haar in einem Raum, lange nachdem eine Person ihn verlassen hat.

    https://www.medinside.ch/de/post/rt-pcr-tests-quo-vadis

    Und der Virologie Drosten forscht schon am nächsten Virus: MERS.

    https://www.capital.de/wirtschaft-politik/charite-forscher-drosten-warnt-vor-neuem-pandemie-risiko

  • am 23.11.2020 um 21:49 Uhr
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    Es scheint ganz so, dass der Autor die Kritik an den völlig ungenügenden Schweizer Massnahmen gegen die explodierenden Fallzahlen von Infizierten und Toten in der Schweiz in den falschen Hals gekriegt hat. Tatsache ist und bleibt, dass die Schweiz in Sachen Infizierte und Tote wegen Corona Europameister ist, ein mehr als trauriger Rekord, sogar weltweit. Die Zahlen sind sogar höher als in den USA, immer bezogen auf 100’000 Einwohner. Sämtliche Nachbarländer haben strengere Vorschriften als die Schweiz, aus gutem Grund. Deutschland hat rund fünfmal tiefere Zahlen als die Schweiz, was nicht von ungefähr kommt. Die Schweiz kann Corona nicht, die Behauptung von BR Berset war verfrüht. Insbesondere hat es die Schweiz verpasst, nach der 1. Welle die richtigen Massnahmen aufzugleisen, weder Spitäler noch die Kantone waren auf die 2. Welle vorbereitet, dabei hätte man etwa 5 Monate Zeit gehabt, das hätte genügt, um die sich auf die 2. Welle vorzubereiten. Fazit: die Schweiz kann Corona überhaupt nicht, sie hat komplett versagt.

  • am 24.11.2020 um 13:01 Uhr
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    Doch, die Schweiz «kann Corona"! Nämlich dann, wenn der Bundesrat das Zepter übernimmt.
    Die zweite Welle haben wir, weil die (einige) Kantone – mit Sukkurs der Massenmedien und der Wissenschaft – den Sommer damit verplempert hatten, jede Woche neue Maskenpflichten einzuführen: Zuerst beim Einkaufen, danach in den Museen, danach sonstwo.
    Dass eine feststellbare Wirkung ausblieb, das war egal. Die eindeutige Tatsache wurde von vielen sogar glatt bestritten. Wer es ansprach, wurde als Verharmloser und Coronaleugner geschmäht.
    Bundesrat und BAG mussten dann – angesichts der Misserfolges in den Kantonen – das Heft in die Hand nehmen und neue Kontaktbeschränkungen
    einführen. Erst diese Massnahmen haben die Neuinfektionszahlen nach unten gebogen. Innert 2 Wochen!
    Fazit: Der «Bund kann Corona». Die Kantone können es nicht allein.
    Die einzige Institution, die in der Schweiz im Kampf gegen diese Pandemie wirklich überzeugt, ist für mich der Bundesrat. Die Kantone können nur folgen. Und die Wissenschaftler hätten auch zu Hause bleiben und Tee trinken können.

  • am 27.11.2020 um 15:41 Uhr
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    @Fuchs. Es ist noch kein Angehöriger bekannt, der gesagt hat, von wem er Geld angeboten erhielt. Gerüchte haben leider lange Beine. Es zirkulieren noch weitere Verschwörungsphantasien.

  • am 8.12.2020 um 10:56 Uhr
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    Warum kümmern sich die Deutschen Nachbarn nicht um ihre eigenen, riesigen Probleme?!

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