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Für Schweizer Verhältnisse ein bisschen derb -- für deutsche wahrscheinlich auch. © Ausschnitt aus der Berner Zeitung

Einfach mal «gemeinsam abkotzen»

Marco Diener /  Viele Zeitungen drucken Artikel der «Süddeutschen». Manche Wörter klingen fremd, andere sind unverständlich, gewisse richtig derb.

Der Tamedia-Verlag hat es sich zur Gewohnheit gemacht, für seine Blätter auch Artikel aus der Süddeutschen Zeitung abzudrucken. Für Schweizer Leser und Leserinnen ist das gewöhnungsbedürftig. Vor allem wenn die Artikel – und das ist die Regel – nicht sorgfältig redigiert worden sind.

Ständig stolpern wir über Germanismen. Gut: Wenn von «Fahrstuhlmusik» die Rede ist, dann können wir uns durchaus vorstellen, dass es etwa so klingt wie im Lift eines Warenhauses. Auch unter einem «Grundschullehrer» können wir uns etwas vorstellen. Das dürfte ein Primarlehrer sein. Oder vielleicht auch ein Sekundarlehrer? Bei der «Spitzhacke» wird es noch schwieriger. Unsereiner würde das wohl Pickel nennen. Oder das «Jura-Gebirge». Das ist schlicht und einfach der Jura.

«Pappteller» im Migros-Magazin

Mittlerweile beginnen auch hiesige Journalisten so zu schreiben. Im Migros-Magazin ist von «Papptellern» die Rede, obwohl es um ganz gewöhnliche Kartonteller geht. Im Magazin aus dem Tamedia-Verlag ist von «Tischdecken» die Rede statt von Tischtüchern. Und dabei geht es nicht einmal um deutsche Restaurants, sondern um italienische, wo allenfalls eine «tovaglia» auf dem Tisch liegt, aber bestimmt keine «Tischdecke». Der Blick fordert seinerseits die Verantwortlichen des FC Basel auf, nicht mehr «rumzuflennen». Vermutlich haben sie einfach ein bisschen gejammert.

Ein «Lastkraftwagen»?

Ein schönes Beispiel ist auch der «LKW», der in der Schweiz mittlerweile zur Standard-Abkürzung für einen Lastwagen geworden ist. Nur: Die Abkürzung ist unsinnig. Denn kein Mensch spricht in der Schweiz von einem «Lastkraftwagen». Hier ist von Lastwagen die Rede. Die Abkürzung müsste deshalb – wenn schon – LW lauten.

Problematischer wird es, wenn Schweizer Leser die Begriffe, die in Deutschland durchaus geläufig sind, in den Tamedia-Zeitungen nicht verstehen. Das Risiko besteht:

  • Oder wissen Sie, was der «Flurfunk» ist? Es ist einerseits Büroklatsch, andererseits die Mund-zu-Mund-Verbreitung einigermassen wichtiger Mitteilungen innerhalb einer Firma.
  • Die «Blaupause»? Damit ist eine Kopie gemeint.
  • Oder wenn wir bei dieser Farbe bleiben wollen: Ein «Blaumann»? Das ist kein Betrunkener. Nein, es ist ein Überkleid oder ein Übergewand.
  • Ein «Proll»? Das ist ein ordinärer, ungebildeter Mensch. Wir würden ihn in der Schweiz wohl einen Proleten nennen.

«Duseln» und «dusselig»

Bleiben wir bei den Tamedia-Zeitungen: Schwierig ist es auch, wenn sich ein Fussballklub «zum Sieg duselt» – also mit Glück gewinnt. Und in der gleichen Zeitung dann das Wort «dusselig» auftaucht, das nichts mit Glück zu tun hat, sondern einfältig, langweilig, töricht oder dumm bedeutet. Schwierig wird es, wenn sechs Zeilen später auch noch etwas «labbrig» ist. Womit gemeint ist: fad, gehaltlos, unangenehm, weich, flau oder elend. Aber das werden in der Schweiz viele nicht verstehen, ohne nachzuschlagen.

Keine Lust? Oder keine Zeit?

Und dann gibt es noch die Wörter, die in der Schweiz zu grob sind. Zum Beispiel der «Altenpfleger». Er ist in Deutschland geläufig, lässt die Leser hierzulande aber zusammenzucken. Den Vogel schoss jedoch kürzlich Peter Laudenbach von der Süddeutschen Zeitung ab. In den Tamedia-Zeitungen erschien von ihm ein Artikel übers Homeoffice. Unter anderem ging es um Gespräche am Kaffeeautomaten, in der Teeküche oder am Wasserspender. Vermutlich hatten die Verantwortlichen in Zürich gerade keine Lust oder keine Zeit, den Artikel zu redigieren. Jedenfalls erschien dieser Satz: «Das gemeinsame Abkotzen schafft mehr kollegiale Nähe als jede Teambuilding-Massnahme.» Kommentar? Überflüssig.


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12 Meinungen

  • am 2.09.2023 um 10:11 Uhr
    Permalink

    wie soll das Lektorat Germanismen finden, wenn viele davon Deutsche sind und der Schweizersprache eh nicht mächtig sind?

    • am 3.09.2023 um 16:33 Uhr
      Permalink

      Wirklich schlimm finde ich, wenns so tönt:
      Im Ändefäkt, scho ebe au, säg ich mal so.

  • am 2.09.2023 um 12:15 Uhr
    Permalink

    Sehr schön – ich danke für diesen Artikel! Manche Wörter sind auch im Deutschen unterschiedlich zwischen Nord- und Süddeutschland, manche Wörter sind aus dem Verwaltungsdeutsch: Lastkraftwagen ist ein Verwaltungswort, umgangssprachlich aber doch zumeist noch Lastwagen. Aber «dusselig» ist nicht «einfältig, langweilig, töricht oder dumm», sondern meint nur «verwirrt». Ein «Dussel» ist jemand, der sich z. B. verfahren hat, das hat also mit Dummheit nichts zu tun.
    Einige Wörter, die sie als schweizerisch charakterisieren, sind sicher treffender als die deutschen: Kartonteller, Tischtuch (obwohl es im Deutschen nicht ganz verschwunden ist: Man sagt ja für eine Trennung «zwischen uns ist das Tischtuch zerschnitten»), aber Fahrstuhl finde ich schöner als Lift. Und Blaupause ist mehr als eine Kopie, es ist zugleich auch ein Konzept. Und der «Blaumann» ist ein blauer Arbeitsanzug, kein Überkleid.
    Beste Grüße Reinhard Blomert

    • Portrait Marco Diener.1 Kopie
      am 2.09.2023 um 18:55 Uhr
      Permalink

      Zu «dusselig» schreibt der Duden: «1. a) nicht im Geringsten aufgeweckt, sondern einfältig und langweilig. 1. b) töricht, dumm. 2. benommen, betäubt.»
      Zur «Blaupause» schreibt der Duden: «Lichtpause von einer durchsichtigen Vorlage, die weiße Linien auf einem bläulichen Papier ergibt.» Also doch eine Kopie.
      Ein «Überkleid» ist laut dem Duden-Taschenbuch «Wie sagt man in der Schweiz?»: «(blauer) zweiteiliger Anzug der Arbeiter.» Also das gleiche wie ein Blaumann.

      • am 2.09.2023 um 20:01 Uhr
        Permalink

        Da ist der Duden nicht zuverlässig, ich bleibe dabei, dass ein Dussel jemand ist, der sich vertan hat, also dasselbe wie ein «Schussel». «Du Dussel» sagt man zu jemand, der sich in einen falschen Gedanken oder einen falschen Weg verirrt hat, aber der deshalb keineswegs nicht dumm sein muss.

        Die Blaupause, die der Duden beschreibt, gibt es heute nicht mehr – man hat keine Abzugsmaschinen mehr. Der Ausdruck steht heute für Entwürfe, Konzepte. Also etwa Vorlagen im Kabinett für geplante Gesetze.

        Der «Blaumann» ist (war) in der Regel ein durchgängiger Arbeitsanzug, den man über Unterhemd und Unterhose trägt (trug) (also kein «Überkleid», und kein Kittel).

      • am 3.09.2023 um 12:47 Uhr
        Permalink

        Blaupause war ursprünglich eine Kopie, die dann als Vorlage zur Vervielfältigung genutzt wurde, woraus sich die moderne Bedeutung ergibt: https://www.geo.de/geolino/redewendungen/21390-rtkl-redewendung-blaupause

        Dussel bedeutet Einfaltspinsel, ist aber verwandt mit Dusel, das unverdiente Glück: https://www.dwds.de/wb/dusslig

        Blaumann ist die Arbeitskleidung, was man darunter trägt oder nicht trägt, ist nicht entscheidend: https://www.dwds.de/wb/Blaumann

  • am 2.09.2023 um 14:46 Uhr
    Permalink

    Bei dem Text muss ich schmunzeln. Ich dachte immer, auch die Schweizer seien lernfähig.

  • am 2.09.2023 um 16:12 Uhr
    Permalink

    Interessant.

    Blaupause scheint aber eher die Vorlage als die Kopie zu schein, nicht?

    • Portrait Marco Diener.1 Kopie
      am 2.09.2023 um 18:57 Uhr
      Permalink

      Zur «Blaupause» schreibt der Duden: «Lichtpause von einer durchsichtigen Vorlage, die weiße Linien auf einem bläulichen Papier ergibt.» Also doch die Kopie.

  • am 2.09.2023 um 17:49 Uhr
    Permalink

    Haha, damit ist natürlich ablästern gemeint. Ich wusste nicht, dass Tamedia inzwischen auch kulturelle Beiträge von der Süddeutschen übernimmt, ich dachte es ging nur um Internationales.

  • am 2.09.2023 um 21:13 Uhr
    Permalink

    Ich betrachte es quasi als «Infektion» der Schweiz. Schlimmer als die verbale Drastik finde ich die Ideologie. Ich könnte zahlreiche Beispiele aufführen punkto die wenigen und umso grösseren Verlage in der Schweiz (die deswegen nicht automatisch auch «schweizerisch» sind), die jede noch so berechtigte und juristisch zulässige Kritik selbstgerecht verweigern zu veröffentlichen, während sie andererseits aus meiner Sicht justiziable Leserkommentare (und teils Artikel) abdrucken, wenn es in ihre Sendungs-Willkür passt. Gelindes Beispiel «Springer-Beobachter», mein Leserbrief nicht-veröffentlicht: Journalistin Kateryna Potapenkos Ukraine-Tagebuch finde ich etwas einseitig, Beispiel: «russischen Sprengung des Kachowka-Staudamms». Von einem umsichtigen Beobachter wünsche ich Diversität der Beleuchtungs-Standpunkte, Beispiel: Ján Čarnogurský (damaliger Dissident und ehemaliger Premierminister der Slowakischen Republik) auf globalbridge.ch («Wie es war und wie es mit der Ukraine sein wird»).

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