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Prominente Figur in einem aktuellen Dokumentarfilm: Der indische Premierminister Narendra Modi als Kommunikator. © cc-by-sa Prime Minister's Office, Government of India

Massenkommunikation als Machtinstrument ausgenutzt

Pascal Sigg /  Der TV-Sender Arte zeigt gegenwärtig drei sehenswerte Dokumentarfilme über Meinungsmache in globalisierten Mediengesellschaften.

Drei aktuelle Dokumentarfilme auf Arte nehmen verschiedene Fälle unter die Lupe, wo Medientechnologien konkret zur Machtausübung benutzt wurden. Keiner der Filme kann aufdecken, wie und wann die kommunikative Manipulation bestimmter Menschengruppen genau funktioniert. Aber sie zeigen, welche beiden Bedingungen es braucht, damit Konzerne oder Regierungen ihre Macht kommunikativ ausspielen und erweitern können:

Sie wissen so viel wie möglich über ihre Zielgruppen. Insbesondere wie, wann, wo und warum diese empfänglich sind für ihre Botschaften.

Gleichzeitig können sie ihre eigenen Methoden und Absichten verschleiern.

1. Der Königsmacher: Mit den Waffen der Werbung (2018)

Der Film Der Königsmacher: Mit den Waffen der Werbung (2018) (bis 3. Dezember via Youtube oder Arte-Mediathek verfügbar) erzählt die hierzulande unbekannte Geschichte der englischen PR-Agentur Bell Pottinger, die 2017 Konkurs ging, nachdem bekannt wurde, dass sie in einen gigantischen Korruptionsskandal in Südafrika verwickelt war. Bell Pottinger war beauftragt, davon abzulenken, dass zwei indische Brüder systematisch Geld aus dem von Präsident Jacob Zuma verwalteten Staatshaushalt abzweigten. Dies machte die Kapstadter Zeitung Daily Maverick  publik. Für diese Zeitung arbeiten auch der Filmemacher Richard Poplak und die Filmemacherin Diana Neille. Darauf legte die Oppositionspolitikerin Phumzile van Damme beim internationalen Branchenverband PRCA Beschwerde ein, worauf dieser Bell Pottinger ausschloss. Die Agentur musste Konkurs anmelden.

Bereits diese Geschichte von Aufstieg, Gier, Unmoral und Fall, welche nah am Agenturchef Timothy Bell erzählt wird, ist bemerkenswert. Besonders sehenswert aber macht den Film erst, dass er Bell Pottingers Geschichte als Allegorie für den Aufstieg neuer Methoden politischer Einflussnahme in Mediengesellschaften mit immer neuen Techniken versteht. Beim Thatcher-Wahlkampf nutzte Bell provokative Plakate, im Irak produzierte er eine Seifenoper fürs TV. Und kürzlich in Südafrika kamen Twitter-Bots zum Einsatz. Um diesen Hintergrund zu illustrieren, setzt der Film auf Nigel Oakes, krebskranker Gründer der SCL Group (ehemals Mutterfirma von Cambridge Analytica), welcher erzählt, dass er Methoden aus der Werbung Jahre hinweg gezielt verfeinert und wissenschaftlich unterfüttert hat, um mit seiner Kommunikation das Verhalten der Zielgruppen zu ändern. Es komme eben nicht zuerst auf die Botschaft, sondern auf das Publikum an.

Doch der Film ist bloss in der Lage, diese Asymmetrie zwischen Meinungsmacher und Publikum als Asymmetrie des gegenseitigen Wissens in grossen Linien zu entblössen. Wie dabei – gerade im Fall von Bell Pottinger – genau vorgegangen wurde, macht er nicht bekannt.

2. Klimawandel: Die Macht der Lobbyisten (2020)

Der Film Klimawandel: Die Macht der Lobbyisten (2020) des dänischen Investigativjournalisten Mads Ellesøe (bis 23. April 2022 online via Youtube oder Arte-Mediathek verfügbar) ist da deutlicher. Er zeigt die systematische Einflussnahme grosser Ölkonzerne auf die öffentliche mediale Kommunikation rund um den Klimawandel in gebündelten Details. Im Film kommt denn auch die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes ausführlich zu Wort. Mit ihrem Kollegen Erik M. Conway publizierte sie 2010 das vielbeachtete Buch Merchants of Doubt über die systematische Wissenschaftsleugnung einer kleinen Gruppe von konservativen Organisationen bezahlter Wissenschaftler, die in unterschiedlichen Fachdisziplinen wie eben Klimaforschung systematisch konträre Positionen einnehmen, um Zweifel zu säen.

Ein geleaktes Papier aus einer Sitzung des Verbands der amerikanischen Ölhändler von 1998 belegt das strategische Vorhaben. Noch heute entwickeln Ölfirmen und Denkfabriken wie das CATO Institute gezielt Narrative, die sie mit eigenen Studien scheinbar empirisch unterfüttern, um wissenschaftliche Arbeit in Zweifel zu stellen oder einen politischen Kontext zu ziehen. Diese Geschichten lassen sie über eigene oder bezahlte Forscher medial verbreiten oder nehmen mittels Sponsoring Einfluss auf Elite-Unis wie Harvard oder Stanford.

Doch der Film zeigt nicht nur, dass die grössten Ölfirmen der Welt ihr Interesse kommunikativ skrupellos verfolgen. Er zeigt auch, weshalb es ihnen gelingt: Weil die vernetzte Mediengesellschaft eben auch strukturelle Schwächen birgt. Die Überforderung von Medienschaffenden und Publikum angesichts der medialen Informationsflut kann durchaus politisch ausgenützt werden. «Menschen nehmen keine Standpunkte ein, weil sie etwas durchdacht haben», sagt im Film der ehemalige CATO-Angestellte Jerry Taylor, der sich von der Klimawissenschaft überzeugen liess. «Sie nehmen Positionen ein, die sie aus emotionalen oder ideologischen Gründen einnehmen wollen. Und dann mobilisieren sie Argumente, um ihre Positionen zu begründen.»

3. Propagandamaschine Social Media (2020)

Wie genau dies durch politische Parteien ausgenützt werden kann, versucht der Film Propagandamaschine Social Media (2020) von Alexandra Jousset und Philippe Lagnier (bis 10. Dezember online via Youtube oder Arte-Mediathek verfügbar) zu veranschaulichen. Er ist vergleichsweise unfokussiert und behandelt – anders als der Titel suggeriert – verschiedene Teilbereiche digitaler Kommunikation. Ein Grossteil des Films kreist um die hinlänglich bekannten Mechanismen der Social Media-Plattformen wie Facebook und Twitter und deren Nutzung durch Politiker wie Matteo Salvini oder Donald Trump.

Besonders sehenswert wird der Film da, wo er herausarbeitet, dass diese Mechanismen plattformunabhängig spielen, oder wo er sie mit der Schliessung von Lokalzeitungen in Verbindung bringt. Etwa wenn er beleuchtet, wie in den USA parteifinanzierte Websites entstehen, die wie Lokalmedien daherkommen. Wenn er zeigen kann, wie in Brasilien ansässige Datenagenturen Personendaten von französischen Facebook-UserInnen sammeln und verkaufen können, um sie auch für Kommunikation abseits der Plattform zu nutzen. Oder wenn er darstellt, wie die indische Regierungspartei BJP unter Narendra Modi mit einer eigenen App und tausenden auf den ersten Blick unpolitischen WhatsApp-Gruppen neue Kommunikationskanäle etabliert – und diese gezielt nutzt, um Übergriffe auf die muslimische Minderheit zu provozieren. Überall ist die Möglichkeit direkter Adressierung des Publikums oder spezieller Zielgruppen in Kombination mit spezifischem Wissen über deren Person eine konkrete politische Waffe. So wird die Asymmetrie zwischen Meinungsverbreitern und dem Publikum greifbarer.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Konzerne und Milliardäre mischen immer mehr mit. – Die Rolle, die Facebook, Twitter, Google+ spielen können

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

2 Meinungen

  • am 10.11.2021 um 05:16 Uhr
    Permalink

    Danke für den interessanten Artikel, da werde ich meine Spende nochmals tätigen. Das dritte Video ist sehr spannend! Weiter so.

  • am 12.11.2021 um 11:27 Uhr
    Permalink

    Merci Pascl Sigg für diesen äusserst informativen Text. Es sollten sich möglichst viele Leute die Zeit nehmen und auch die Filme im Beitrag ansehen. Dadurch wird das Bild erst vollständig und fährt so richtig ein.

    Trotz viel Skepsis und genauer Beobachtung hätte ich nicht gedacht, dass es schon so schlimm steht mit den Informationen in unserer Zeit auf dieser Welt.
    Selbst als Kritische Konsumentin – auch der Medien – habe ich auf vieles nicht geachtet und mich hie und da einlullen lassen.
    Konnte mir kaum vorstellen, dass Leute so «kreativ» und so skrupellos sein können und dass diese Praxis so weit verbreitet ist.
    Zum Glück gibt es Infosperber. Leider braucht es viel Zeit, bis sich etwas ändern bzw. korrigieren lässt.

    Aber steter Tropfen höhlt den Stein – hoffentlich.
    Es ist wünschenswert, dass noch möglichst viele kritische Texte zu diesem Thema erscheinen.

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