Kommentar

kontertext: Verwanzter Service public

Mathias Knauer* ©

Mathias Knauer /  «Freier Zugang» ist meist eine Schummelbehauptung: Bezahlte Leistungen müssen mit abgeluchsten Daten noch einmal bezahlt werden.

Nicht erst der jüngste Pegasus-Skandal hat die Aufmerksamkeit kritischer Leserinnen oder Radiohörer auf die Frage nach der Verwanzung der Webseiten ihrer Medien und zumal des gebührenfinanzierten Rundfunks gelenkt. Doch wie früher bleibt die Debatte über das korrumpierte Marketingwesen blockiert: zu eingefleischt schon ist das Suchtverhalten der vielen Menschen, die überall und alles auf ihrem Taschencomputer finden und verfügbar haben wollen und daher ihr zumindest vages Wissen vom ständigen Überwachtwerden verdrängen.

Der Beschreibung des Übels, die ich vor bald zwei Jahren an dieser Stelle versucht habe, ist kaum etwas hinzuzufügen. Es war nicht zu erwarten, dass beim aktuellen Führungspersonal der SRG ein Umdenken in Richtung Redemokratisierung des von der Öffentlichkeit finanzierten Service public stattfinden könnte – dass man den ganzen Unfug der zur Ausforschung der Besucher manipulierten Web-Angebote abstellen würde. Auf die technischen Details der mit erheblicher List ausgeheckten Programmtricks kann hier nicht eingegangen werden, doch ist kaum ein Dementi zu erwarten, wenn wir behaupten, dass die Programmierer der SRG nichts unversucht lassen, um online jeden seine Privatsphäre schützenden Besucher auszusperren, obwohl er seine Gebühren bezahlt hat.

Login-Pflicht bei «Play Suisse»

Eine kulturpolitisch gewichtige Entscheidung, ob das Online-Programmportal «Play Suisse» frei zugänglich sein soll oder nur nach Anmeldung nutzbar, wurde vom Unternehmen eigenmächtig gefällt.

Zur Begründung des Log-in-Zwangs wurde angeführt, es könnten der Nutzerschaft damit treffendere Programmangebote vorgeschlagen werden. Das Argument ist vorgeschoben: es gaukelt eine Dienstleistung vor, derweil eine solche «Personalisierung» vor allem der Blasenbildung dient und der Einweisung der Zuschauerinnen und Hörer in manipulierbare Marketing-Kohorten. Das zweite Argument: man könne damit beim Schauen «nahtlos» zwischen TV, PC und Handy wechseln, zeugt nicht gerade für die Sorge um einen achtsamen Medienkonsum.

Eine Einrichtung wie die SRG müsste bei ihren Web-Aktivitäten eigentlich im Interesse des zahlenden Publikums engagiert für saubere Praktiken kämpfen, sollte ein Vorbild sein für ein unverwanztes Internet.

Doch wer das neue Portal ohne lokales JavaScript aufruft, weil er sich vor unerwünschten Meldungen z. B. an Google, Facebook und Tracker zu schützen pflegt, dem meldet die Seite barsch «Fehler auf der Seite Play Suisse – Wir konnten Ihre Anfrage nicht bearbeiten». Das stimmt ja in gewisser Hinsicht: Das Portal mit dem Zwitternamen ist, trotz jährlich investierten 5 Millionen Franken, nicht in der Lage, eine brimboriumfreie, ehrliche Html-Seite auszuliefern. Der ungeschützt Verkehrende wird von einer Amazon-Cloud bedient; die Seite zwingt einen zur Anmeldung, erstattet sogleich Meldung bei drei ausländischen Trackerdiensten (Scorecardresearch in den USA, Hotjar in Malta, Webtrekk in Berlin) und holt sich bei Google typografische Ressourcen. Ein einzelner typischer Seitenaufruf ruft so manchmal 30 Skripte von fremden Servern auf.

Solche Praktiken finden sich natürlich – und zwar in oft weit exzessiverem Masse – bei Medien wie der NZZ oder Tamedia: auch dort wird Abonnenten statt der reinen und optimierten Übertragung der anzuzeigenden Stoffe massenhaft versteckter Code zur Überwachung des Leser-Verhaltens und von Daten auf ihrem Computer aufgedrängt. Nur wenige Anbieter lassen einen wählen zwischen einer verwanzten und einer für Abonnenten ganz werbefreien Version, so etwa die österreichische Tageszeitung Der Standard – eine Publikation übrigens mit einer vorbildlich präzisen Datenschutzerklärung (ausgedruckt gegen 50 Seiten), derweil die Datenschutzseiten der SRG wie jene der NZZ auf all die hier diskutierten fremden Tracking-Dienste nur summarisch eingehen und praxisfremde Ratschläge geben, wie man die Tracker durch intensive Handarbeit loswerden könne.

Der Service Public im «Kampf um die Jugend»

Solange sich die online besonders aktive Jugend nicht dagegen auflehnt, kann unser Service-public-Rundfunk mit dieser Praxis unbehelligt fortfahren – nachhaltig indessen ist solcher Einsatz von Tracking-Techniken so wenig wie im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus die millionenteure, missbrauchsanfällige Spionagesoftware.

Das unablässige Geschwätz vom Schlage, man müsse eben «die Zuschauer abholen, wo sie sind», man dürfe die Jungen nicht verlieren pp., zeugt von einer fatalen Fehlentwicklung. Statt mit Qualitätsangeboten die wenigen, die heute überhaupt noch mit ernstzunehmenden Fernsehwerken oder Features und ernstzunehmenden Kompositionen zu erreichen sind, fürs Medium mit starken – somit später öfter wiederholbaren – Arbeiten zu beliefern  und sie zu begeistern, rennt diese Winkelphilosophie unserer(?) SRG-Medienstrategen dem kurzfristigen Erfolg mit Plattitüden und Blödeleien nach. Man muss den bis hierher Lesenden zur Autopsie schon ein Bild davon zeigen, um nicht in den Verdacht polemischer Übertreibung zu geraten: Sendungen des Radios SRF2, das als Kulturprogramm gelten möchte, wurden dieser Tage unter Titeln wie «Podcasts, die schlauer machen» oder «Podcasts, die nicht viel Zeit brauchen» angepriesen.

Fatale Fehlentwicklung des neuen SRF-Angebots. Grössere Auflösung des Bildes hier. (pd)

Mit solchem Anbiedern kann kein Vertrauen in Werke geschaffen und keine Medienkompetenz entwickelt werden.

Verhältnisse, die nicht ausgehandelt wurden

Wer das Online-Abonnement einer Zeitung bezahlt, steht in einem Vertragsverhältnis zu seinem Medium und hat das Recht zu wissen, welche Pflichten und Rechte die beiden Partner besitzen. Für die Online-Verbreitung der SRG-Programme, die das Gemeinwesen per Mediengebühr finanziert, muss das gleiche ganz besonders gelten. Die Tracking-Praktiken etablieren Verhältnisse zwischen Programmveranstaltern und zahlenden Konsumenten, die hier aber nicht individuell ausgehandelt werden können. Dies muss daher zum öffentlichen Thema werden, sofern die SRG-Trägerschaften versagen, deren Aufgabe es eigentlich wäre, die Unternehmer Mores zu lehren, wenn sie sich auf zwielichtige Abwege begeben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Mathias Knauer ist Musikwissenschaftler, Publizist und Filmemacher. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er war Mitbegründer der Filmcooperative und des Filmkollektivs Zürich. Als Mitglied des Verbands Filmregie und Drehbuch Schweiz war er an der Ausarbeitung des «Pacte de l’audiovisuel» und anderer filmpolitischer Instrumente beteiligt. Er ist
Vizepräsident von Suisseculture und Mitbegründer der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorständen er u. a. das Dossier Medienpolitik betreut.

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder. Die Redaktion betreuen wechselnd Mitglieder der Gruppe.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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4 Meinungen

  • am 24.08.2021 um 12:49 Uhr
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    Stimmt. SRF ist simpel und fahl glänzend geworden. Die Tagesschau ist eine Modepräsentation für Moderatorinnen oder ein Zeitfenster fürs Sprechen in gelockten Sätzen und die 15 Minuten der fröhlichen Gesichter umrahmen Krieg, Erdbeben, Wahlschlachten, Klimakatastrophen, ein bisschen Pandemie und einen schönen Bericht aus dem verregneten Film-Locarno. 10 vor 10 tönt oft nach Pflicht und Expertenkür mit Betonung der Kür. Sonst im Programm wird vor allem gekocht, gewohnt, geplaudert, gereist, reisend geplaudert, gewandert, plaudernd gegessen und unter farbigen Scheinwerfern geraten oder gejasst. Ein Politiker lobt sich über seinen grünen Klee, die Politikerin daneben tut dasselbe, der Journalist nickt. Dann kommt Werbung. Und zur Physik des Wetters werden Fragen gestellt.

  • am 24.08.2021 um 12:54 Uhr
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    Weite Bevölkerungskreise, auch Jugendliche, verhalten sich im Umgang mit privaten Daten absolut naiv. Die Meinung „ich habe doch nichts zu verbergen“ öffnet manipulativen Vorhaben Tür und Tor und untergräbt letztendlich unser demokratisches System. Denn die Vorstellung, dass wir nicht manipulierbar seien, wird z.B. durch die Erfolge von Cambridge Analytica (https://www.youtube.com/watch?v=n8Dd5aVXLCc) klar widerlegt.
    Was wir liken, welche Kontakte wir pflegen, unser Konsumverhalten, Gesundheit, Stimmungen und Charakter sind in unserm „digitalen Doppelgänger“ bestens gespeichert und dank unsern oft freiwillig preisgegebenen Daten sehr umfassend. Einkaufslisten und Kontodaten dank kontaktlosem Bezahlen und Kundenkarten, Smartphone Daten (kontaktierte Personen und Beiträge in Sozialnetzwerken, Bewegung und Aufenthaltsorte, Puls- und Schrittzähler, bevorzugte Filme, Musik, Mode und Konsumverhalten, Besuchte Webseiten, Google Suchbefehle und, und, und). Was dann Post, Banken, Versicherungen, aber auch Justiz- und Steuerbehörde etc. noch beitragen, rundet die Sache ab.
    Entsprechend sind dann die erwähnten SRF- und NZZ Informationen an Tracking-Dienste zwar nicht unbedeutend, aber doch eher ein Tropfen auf einen sehr heissen Stein!

  • am 24.08.2021 um 14:05 Uhr
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    Vielen Dank für den Artikel. Er steht allerdings auf einer Seite, wo Ghostery einen Tracker zu Doubleclick (von Google), Facebook Connect und den Twitter Button meldet. Hmm…

  • am 24.08.2021 um 15:52 Uhr
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    In der Schweiz massen wir uns an, 6 hochstehende Fernsehprogramme und 9 Radios plus etliche Lokalangebote und Spartenkanäle produzieren zu können, das alles begleitet von Internet-Streaming – mit 1/3 soviel Geld wie das ZDF zu Verfügung hat. Das reicht dann halt nur für Schlafsendungen.
    Da wo sich der ZDF einen Dirk Steffens oder den Jan Haft hält, da tut es der Zoo Zürich. Ein Wissenschafts-Format wie dasjenige von Harald Lesch fehlt komplett. Gut recherchierte, bitterböse Satire gegen den Staat gerichtet sucht man in Schweizer Staatsmedien vergebens. Gerade Satire hätte aber die Aufgabe Finger in Wunden zu stecken. Stattdessen sendet man eine «Arena», in der sich B- & C-Promis auf Streit herablassen: Fail.

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