Kommentar

kontertext: Ein Medienkiosk für zuhause und unterwegs

Beat Mazenauer © zvg

Beat Mazenauer /  Das Schweizer Mediensystem braucht zu seiner Weiterentwicklung neue Ideen – hier ist eine.

Das Modell des gebührenfinanzierten öffentlichen Rundfunks gerät immer stärker unter Beschuss. Im März haben SVP und Gewerbeverband ihre Halbierungsinitiative lanciert, wonach die Serafe-Gebühr auf 200 Franken gesenkt werden soll. In Frankreich denkt Präsident Macron über eine vollständige Abschaffung der Rundfunkgebühr nach, wie der Infosperber berichtet hat; und in Grossbritannien geistert Boris Johnsons Idee, der BBC die Gebühren zu entziehen, auch nach dessen Abgang weiter herum. Woher auch immer dieser Trend rührt, die ihm zugrunde liegende populistische Note ist ernst zu nehmen.

Den Unmut ernst nehmen

Mit Blick auf die Schweizer «Halbierungsinitiative» bringt es jedoch nichts, einfach nur den Status Quo zu verteidigen. Zu stark ist zurzeit der Unmut über die SRG, die mit digitalen Massnahmen einem Publikum hinterherrennt, das von ihr nichts wissen will, und dabei ihr Stammpublikum vergrault. Deshalb bedarf es neuer Ideen, um die Rundfunkgebühr zu rechtfertigen.

Ein erster Schritt dazu ist die Einsicht, dass die Abstimmung über die Billag-Gebühren 2018, trotz des Erfolgs für die SRG, die falschen Weichen stellte. Denen, die ja zu den Gebühren sagten, steht damals wie heute eine grosse Gruppe von Menschen entgegen, die mit dem Abstimmungserfolg wenig zu gewinnen haben, weil sie die SRG im Grunde kaum etwas angeht. Ihre Programme laufen auf anderen Kanälen, online und im Ausland. Das Schweizer Mediensystem benötigt aber zwingend mehr Rückhalt bei allen Bevölkerungsschichten.

Ein Weg dahin könnte sein, den Umfang des medialen, durch die Grundgebühr versicherten Angebots zu verbreitern. Nur wer einen Nutzen davon hat, sieht deren Sinn auch ein. In den letzten Monaten sind etliche Vorschläge vorgetragen worden, wie etwa die Ausgabe von Gutscheinen für Pressetitel.

Bezahlen für die Vielfalt

Mein Vorschlag geht etwas weiter: ein digitaler Medienkiosk für zuhause und unterwegs. Mit der Entrichtung einer Grundgebühr von 365 Franken erhalte ich nicht nur die Berechtigung, ein Radio- und ein TV-Gerät zu benutzen (inklusive dem gesamten Angebot an Kanälen weltweit). Hinzu kommen weitere Angebote, beispielsweise solche wie:

  • ein online-Zeitungskiosk, in dem Schweizer Informationstitel aufliegen, also die Webseiten der Schweizer Presse, dazu aber auch eine Fülle von kleineren online-Medien (wie dem Infosperber), die vorab in den Regionen wichtige Informationsarbeit leisten;
  • eine Streamingplattform für Schweizer Musik, Spoken Word und Podcast, mit fairer Abgeltung für die Produzent:innen;
  • ein Filmarchiv mit Schweizer Filmen, von der SRG koproduzierten, ebenso wie unabhängigen Produktionen;
  • ein limitierter Zugang zu online-Bibliotheksverbünden wie dibiost;
  • und anderes mehr.

Es ginge also darum, die Angebotspalette zu verbreitern und zu demokratisieren. Damit nicht einfach alles gratis zur Verfügung steht, erhalten die Gebührenzahler:innen, also die Nutzer:innen, ein Punktekonto, das sie nach eigenem Gutdünken einsetzen können. Wer sein Konto aufgebraucht hat, aktiviert es neu mit einer moderaten Nachzahlung.

Neue Nutzung fördern

Selbstredend bringt eine solche Ausweitung auch Mehrkosten, zumal die neuen Anbieter für ihre journalistischen Leistungen, ihren Content, fair abgegolten werden sollen. Der zusätzliche finanzielle Aufwand würde durch die öffentliche Hand aufgebracht, vergleichbar dem am 13. Februar abgelehnten Mediengesetz, aber mit zwei grundlegenden Änderungen. Die Serafe-Gebühr geht wie bisher an die SRG für einen Service public in allen Sparten und Sprachen, während die Subvention durch Bund und Kantone an eine Stiftung geht, die die neuen Nutzungen alimentiert, also die Zählalgorithmen (mit Unterstützung durch die Urheberrechtsverbände) überwacht und die Zulassung zur Förderung nach festzulegenden Regeln vornimmt.

Zu beachten ist dabei, dass mit diesem Modell

1. nicht alte Strukturen zementiert, sondern neue Nutzungsformen gefördert werden. Die öffentliche Unterstützung kommt so in allererster Linie den Nutzer:innen zu Gute, ist also eine Nutzer- und Konsumförderung. In ihrem Namen wird sekundär auch die Erstellung von Content unterstützt.

2. die Abgeltung nach einem doppelten Standard vorgenommen wird: a. nach Zugriffen / Besuchen durch die Nutzer:innen, sowie b. für das Anbieten von Content. Der quantitative Erfolg wird also belohnt, dessen Abgeltung aber nach oben gedeckelt. Wenn daneben auch die Anbieter von qualitativem Content in den Genuss einer Unterstützung kommen, dann dafür, dass sie im Sinn der Vielfalt ein weites Feld von Meinungen und Themen abdecken.

Mehr Akzeptanz ist nötig

Selbstredend ist das nicht mehr als eine Ideenskizze. Ich höre schon das «nicht machbar» der Kritiker:innen. Gleichwohl peilt diese Skizze ein Kernproblem an, das die Abstimmung vom 13. Februar neu aufgeworfen hat. Das Angebot im Namen der demokratischen Meinungsbildung und der kulturellen Kohäsion in der Schweiz benötigt eine breite Akzeptanz. Auf Seiten der Nutzung muss eine Grundgebühr allen Menschen etwas bringen, auf der Angebotsseite sollen mehr Produzent:innen von kulturellen und informativen Gütern für ihre Arbeit honoriert werden. Gerade jüngst wurde gemeldet, dass das Musik-Streaming zwar boome, dass von den Erlösen aber kaum etwas bei den Schweizer Musikschaffenden ankomme.

Ein Medienkiosk für zuhause und unterwegs kann hier ein Korrektiv schaffen. Informationen werden in grosser Breite verfügbar, gegen Entgelt, und kulturelle Güter werden sichtbar. Eine demokratisch legitimierte Grundgebühr bringt den Nutzer:innen wie den Anbieter:innen einen Mehrwert. Die demokratische Diskussion wird ebenso gestärkt wie das Vergnügen an kulturellen Gütern. Eine solche Idee scheint mir auf jeden Fall mehr Fantasie zu entwickeln als die Verteidigung des Status Quo respektive die Privatisierung der Medien als Ergänzung zu einem abgespeckten Nationalsender SRG.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Beat Mazenauer ist freier Autor, Literaturkritiker und Netzwerker und leitender Redaktor der Buchreihe essais agités. Er lebt in Luzern und Zürich.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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5 Meinungen

  • am 25.11.2022 um 11:45 Uhr
    Permalink

    Was die «demokratische Meinungsbildung» betrifft, die ich wie der Autor befürworte, hätte ich betreffend SRG einen einfachen Vorschlag: Konzentration auf qualitativ hochstehende Information und Kultur, Verzicht auf Unterhaltung und Sport. Ich sehe nicht ein, was die beiden letzteren mit «Service public» bzw. demokratischer Meinungsbildung zu tun haben. Unterhaltung und Sport kann man den privaten Stationen überlassen. Ja, ich weiss, im RTVG steht auch Unterhaltung, aber ein Gesetz kann man ja ändern.

    • Favorit Daumen X
      am 25.11.2022 um 12:07 Uhr
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      Als Besitzer einer PR-Agentur und Berater von Unternehmen haben Sie sicher einen Vorschlag, wer nach einer Gebührenhalbierung und nach Weglassen von Sport und Unterhaltung mit entsprechendem Zuschauerschwund das Westschweizer und Tessiner Fernsehen und Radio finanzieren soll. Etwa der Staat?

      • am 25.11.2022 um 15:59 Uhr
        Permalink

        2021 hat die SRG 1427 Millionen Franken ausgegeben. Davon entfielen auf Information und Kultur 57%, auf Sport und Unterhaltung 36%. Heisst erstens, dass ohne Sport und Unterhaltung rund ein Drittel eingespart werden könnte (ich habe in meinem Kommentar nie von einer Halbierung gesprochen). Zweitens haben die Romandie und das Tessin schon bisher einen im Vergleich zur Bevölkerungszahl überproportionalen Anteil des SRG-Kuchens erhalten; ist für mich auch OK und soll so bleiben (wegen Fixkosten). Drittens spielt der von Ihnen erwartete Zuschauerschwund keine Rolle, da wir ja alle eine Zwangsmediensteuer bezahlen, unabhängig von Zuschauerquoten. Viertens antworten Sie nicht auf meine These, dass U+S nicht Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Senders sind.

      • Favorit Daumen X
        am 25.11.2022 um 16:22 Uhr
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        Ihrer Antwort entnehme ich, dass Sie wenigstens die Halbierungsinitiative ablehnen. Als PR-Mann könnten Sie wissen, dass es ohne Sport und ohne Unterhaltung zu einem drastischen Einbruch der Zuschauerzahlen käme – und das führte wiederum zu wesentlich weniger Werbe- und Sponsoringeinnahmen. Diese machen heute 14 Prozent des SRG-Budgets aus.
        Laut Gesetz gehören Sport und Unterhaltung zum Auftrag der SRG, wie Sie selber schrieben. Nennen Sie mir einen öffentlich-rechtlichen TV-Sender in Europa, der weder über Sport informiert noch Unterhaltungssendungen ausstrahlt.
        Auf meine Frage, wie sich die Westschweizer und Tessiner Sender finanzieren sollen, gebe Sie keine klare Antwort. Oder schlage Sie vor, dass die Welschen und Tessiner mit deutlich weniger Mitteln dann auf je einen ihrer beiden Kanäle verzichten sollen? Ich finde, Sie sollten gegenüber den Welschen und Tessinern Klartext reden.

    • Portrait Beat Mazenauer
      am 25.11.2022 um 16:13 Uhr
      Permalink

      Der Verzicht auf Unterhaltung und Sport ist aus meiner Sicht problematisch, weil diese Sparten mit beitragen dazu, dass der Sender ein breites Angebot anbietet. Eine Vernegung auf ein Angebot, dass allein der demokratischen Willensbildung verpflichtet ist, und zu dem die Benutzer:innen jeweils extra umschalten müssen, droht seine demokratische Wirkung zu verlieren. Unterhaltung und Sport ist ja grundsätzlich nichts Schlechtes, die Frage ist höchstens, welchen Sport zu welchem Preis (Stichwort Fussball-Katarrh oder -Kater) und welche Unterhaltung den Nutzer:innen zugetraut wird. Ich denke, ein Angebot für viele muss das Ziel sein, das können wir schon (h)aushalten.

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