Twitter

Twitter sollte seine Spielregeln für die Medien verbessern. © Dieter_G

Heikel: Twitter kennzeichnet Staatsmedien

Rainer Stadler /  Von Regierungen gesteuerte Medien erhalten von Twitter ein Kennzeichen. Was der Transparenz dienen soll, hat seine Tücken.

In der vergangenen Woche hat Twitter bekanntgegeben, seine im August 2020 begonnene Initiative zur Beflaggung von Staatsmedien auszuweiten. Bisher hat es erst Informationsplattformen der Uno-Sicherheitsratsmitglieder China, Russland, USA, Grossbritannien und Frankreich ins Visier genommen. Nun weitet das soziale Netzwerk die Beschriftung auf weitere Staaten aus, unter ihnen Deutschland, Italien, Kanada, Cuba, die Türkei und Japan. Gleichzeitig setzt Twitter auch einen Vermerk bei den Vertretern und Chefs der jeweiligen Länder.

Der Vorstoss von Twitter ist in zweierlei Hinsicht interessant. Einerseits greift das Netzwerk einen Trend auf: Die Angst vor der Undurchdringlichkeit des digitalen Informationsdschungels gibt Organisationen Auftrieb, welche die Medienanbieter mit Etiketten oder Wegweisern versehen wollen. Anderseits verschafft sich ein Plattformbetreiber mehr Definitionsmacht, wenn er selbst solche Kennzeichnungen vornimmt. Nicht zuletzt wirft das die Frage auf, ob dereinst weitere Kennzeichnungen folgen werden. Damit gerieten soziale Netzwerke noch mehr in die Rolle von Schleusenwärtern, welche die Sichtbarkeit der einzelnen Medien erheblich beeinflussen.

Weniger sichtbar

In diesem Sinn handelt auch Twitter. Wenn das Netzwerk gewisse Medien als staatsnah kennzeichnet, wird es deren Accounts und Tweets nicht mehr «empfehlen oder fördern». Das heisst, dass die entsprechenden Medientitel in dem auch von Algorithmen gesteuerten Kampf um Aufmerksamkeit schlechter gestellt werden.

Verbannen will Twitter die Staatsmedien keineswegs. Konkret bezieht sich das Unternehmen in einer Medienmitteilung auf China, das dem allgemeinen Publikum keinen Zugang zum Netzwerk gewährt. Nach Ansicht der amerikanischen Plattform kann die Twitter-Gemeinde bei der «Interaktion» mit der chinesischen Regierung und mit staatsnahen Akteuren «von zusätzlichem Kontext» profitieren, wenn die jeweiligen Accounts mit einem Kennzeichen versehen sind. So steht beim Konto und bei jedem einzelnen Beitrag des chinesischen Mediums CGTN: «state affiliated media». Unter einem mit einem Staat verbundenen Medium versteht Twitter Folgendes: «Kanäle, bei denen der Staat durch finanzielle Ressourcen, direkten oder indirekten politischen Druck und/oder Kontrolle über Produktion und Vertrieb die Kontrolle über redaktionelle Inhalte ausübt». Die Konti der Chefs dieser Medien bekommen ebenfalls ein Kennzeichen.

Öffentliche Sender

Was heisst das für die öffentlich finanzierten Sender, die von Kritikern und Gegnern auch hierzulande gerne als Staatsmedien tituliert werden? Twitter verschont sie vom Warnzeichen. Denn bei Anbietern wie der BBC in Grossbritannien oder dem National Public Radio (NPR) in den USA handle es sich um Organisationen mit redaktioneller Unabhängigkeit. Diese Betriebe bekommen direkt oder indirekt finanzielle Unterstützung durch den Staat, aber sie geniessen auf institutioneller und organisatorischer Ebene eine Autonomie gegenüber staatlichen Akteuren. Das trifft gewiss zu.

Ungenügende Definition

Ganz so strikt sind die Unterschiede zu staatlich gegängelten Organen jedoch nicht immer. Auch in etlichen westlichen Ländern reden Regierungsvertreter mit bei der Besetzung von Chefpositionen im öffentlichen Rundfunk. Zudem sind die indirekten Einflüsse auf diese Betriebe, deren institutionelle Basis letztlich auch vom Wohlwollen der Politik abhängig ist, nicht zu unterschätzen. Doch zweifellos geniessen öffentliche Sender in demokratischen Staaten viel mehr Unabhängigkeit als Medienbetriebe, welche direkt von autoritären Regimes gesteuert werden.

Besondere Differenzierungen sind diesbezüglich bei Twitter nicht zu erkennen. Wie wird das amerikanische Netzwerk beispielsweise die Lage in Staaten wie Polen oder Ungarn bewerten, deren Regierungen die Medien zunehmend kontrollieren? Bis jetzt kennzeichnet Twitter nur die Medienanbieter aus offensichtlich autoritären Staaten mit einem Warnzeichen, also die Organe aus China (CGTN, CCTV) oder Russland (Russia Today bzw. RT, Sputnik).

Bitte besser erläutern

Kein Kennzeichen findet man jedoch bei der Voice of America (VOA). Gewiss gibt es keinen Grund, die Unterschiede zwischen den demokratisch organisierten USA und den autoritären Regimes im Osten zu nivellieren. Dennoch handelt es sich bei der VOA um das US-Auslandorgan, das durch den Staatshaushalt finanziert und von Vertretern des amerikanischen Kongresses kontrolliert wird. Gemäss der Twitter-Definition würde sich eine Kennzeichnung aufdrängen. Wenn das amerikanische Netzwerk seine Rolle als unabhängiger Vermittler bewahren will, wird es gezwungen sein, seine Politik der Beflaggung von Medien genauer zu definieren und besser zu erläutern.  


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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3 Meinungen

  • am 15.02.2021 um 20:32 Uhr
    Permalink

    Herr Stadler, Ihr Bericht vom 19. Januar 2021, also vorgestern, mit der Überschrift: «Ein bisschen Fox News für Grossbritannien» finde ich wesentlich heikler als das, was Sie heute als «heikel» bezüglich Twitter bezeichnen, weil es dort im Gegensatz zu hier, keine Möglichkeit gibt zu kommentieren. Ist das Beabsichtigt? Aus Angst davor, dass es jemandem wie Julian Assange ergehen könnte?
    Ist etwa der Herr Rupert Murdoch hier in der Schweiz auch schon irgendwo Aktionär geworden mit dem Ziel, unser Land in Zukunft etwas «mitgestalten» zu helfen wie damals in UK und USA/Trump? Gar wieder Königsmacher zu werden mithilfe von Journalisten, welche damals gezielt Leute ausgeschaltet haben?
    Nur so, nebenbei, als Trost: Auch den Herrn Rupert Murdoch und seinesgleichen wird Gott richten. Er ist unbestechlich. Ihm reicht es nicht, wenn jemand mit der Bibel in der Hand geschworen hat…

    Auf arte TV gibt es eine objektive, informative 3-teilige Fernsehserie: «Der Aufstieg der Murdoch-Dynastie».
    So etwas ähnliches hätte ich hier gerne von Infosperber gelesen bezüglich dem «bisschen Fox News».

  • am 16.02.2021 um 10:33 Uhr
    Permalink

    In der zvilisierten Welt gilt der kritische Bürger als Ideal – in unserer Welt aka ‹Brave New World› ist es der unmündige Bürger welcher ‹betreutes denken› benötigt.

  • am 16.02.2021 um 17:28 Uhr
    Permalink

    Bitte herzlich um Entschuldigung wegen meiner grossartigen Behauptung, der 19. Januar sei vorgestern gewesen. Nüt für Uguet :).
    Vorgestern fand ich die Sendungen von BBC auf arte und gestern den Artikel über Fox News samt fehlender Kommentarfunktion unter diesem Artikel per Zufall.
    Diese neuen, ungeheuren Tatsachen, in Gedanken mit Herrn Julian Assanges «Schicksal» in Verbindung gebracht, verhinderten wirkungsvoll meine Rückkehr in den gewohnt – gemütlichen Alltagstrott. Dafür grosses Dankeschön an Sie Herr Stadler:)!
    Bin deswegen damit einverstanden, dass Twitter weiterhin siebt.

    https://www.arte.tv/de/videos/098155-000-A/der-aufstieg-der-murdoch-dynastie-2-3/

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