Hofer_Emmental

Bei «SRF rec.» ist die subjektive Reise die Geschichte – hier Reporter Donat Hofer im Auto. © SRF

Die fordernde Kamera auf Augenhöhe

Pascal Sigg /  SRF muss den eigenen Journalismus erneuern. Bei «SRF rec.» ist er persönlich, transparent, verletzlich und erfolgreich.

Immer wieder dieser Schritt zurück: «Der Schlachtplan ist relativ einfach und auch etwas eigensinnig», sagt SRF-Reporter Donat Hofer beim Autofahren in die Kamera. Er besucht einen Hornusserklub im Emmental, um herauszufinden, wie die Schweizer Landbevölkerung lebt. «Ich will nicht sagen, die sind anders, die sind scheisse. Ich möchte mich mit meinen Vorurteilen auseinandersetzen.»

Der technologische Wandel verändert auch die Medieninhalte öffentlich-rechtlicher Medien. Um ein junges Publikum zu erreichen, orientieren sie sich vermehrt an Social Media-Plattformen. Eine kürzlich erschienene Studie stellte fest, dass alleine ARD und ZDF über 270 journalistische Formate für die Verbreitung auf derartigen Kanälen optimieren und zeigt, inwiefern dies neue Abhängigkeiten von Tech-Giganten schafft.

Auch SRF produziert verschiedene Formate gezielt für Instagram, YouTube, TikTok oder Facebook. Die Konzession verlangt nämlich einerseits, dass die SRF-Inhalte ausdrücklich ein junges Publikum erreichen und dafür auch die entsprechenden Kanäle nutzen.

Andererseits muss die SRG ihr publizistisches Angebot aber auch autonom planen und unabhängig von wirtschaftlichen Gruppierungen handeln.

SRF macht diesen Spagat gerade im Rahmen des Projekts SRF 2024, das die Medienwoche als Total-Umbau bezeichnete. Denn um ein grösseres Publikum zu erreichen, muss sich SRF an der fragmentierten, nicht-linearen Mediennutzung des Publikums orientieren. Gleichzeitig wird ein rein technologiegetriebener Wandel alleine nicht reichen. Ob das Projekt gelinge, schrieb die Medienwoche, sei «eine Frage der Qualität, also eine Frage der Inhalte»

Zum Beispiel SRF rec.

Wie sich Inhalte verändern können, wenn SRF sich an YouTube orientiert, zeigt das erst einjährige Reportageformat «SRF rec.», für welches Donat Hofer ins Emmental fuhr. Das Format wurde spezifisch für die eigene Online-Plattform Play SRF und YouTube konzipiert. Und es richtet sich ausdrücklich an ein junges Publikum zwischen 25 und 35 Jahren. Auf Infosperber-Anfrage sagten Claudia Badertscher, publizistische Leitung «rec.», und Ilona Stämpfli, Teamleiterin «rec.»: «Das Format soll einer jungen Generation inmitten des Rauschens des Internets seriösen Journalismus bieten. In Zeiten von Fake News erachten wir dies als eminent wichtige Aufgabe von SRF.»

Der für die Sendungen gemachte Journalismus ist transparenter, subjektiver und interaktiver als herkömmliches Fernsehen aus der Flimmerkiste. In jedem Fall wollen die rec.-ReporterInnen näher bei ihrem Publikum sein. Dazu gehört, dass sie ihm nach der Sendung in einem kürzeren Q&A-Format Rede und Antwort stehen. Bei vergleichbaren Formaten habe sich gezeigt, dass junge Menschen persönlich erzählte Reportagen sehr schätzten und gesellschaftlich relevante Themen miterleben und Kontroverses mit den Reporterinnen und Reportern direkt diskutieren möchten.

Kritische Fragen erst aus dem Publikum: Die Q&A-Folge zur Reportage über Kryptowährungen

Kritik ist Programm

«Der Austausch mit dem Publikum auf YouTube und auf den sozialen Medien war von Beginn an fester Bestandteil des neuen Formats», schreiben Badertscher und Stämpfli. «Bei «rec.» ist Kritik Teil des Formats: Die Auseinandersetzung mit Kritik, Lob und Fragen des Publikums ist ein integraler Bestandteil.»

Näher an ihr Publikum rücken die Reporter und Reporterinnen auch, indem sie ihre fundamentale Subjektivität nicht verstecken, sondern zum Kern der Sendung machen. Sie sagen, weshalb sie ein bestimmtes Thema interessiert, welche Fragen sie dabei antreiben und wie sie diese beantworten wollen. Die Geschichte, welche sie erzählen ist ein Meta-Narrativ. Sie erzählen die Geschichte der Reise (auffällig oft filmen sie sich selbst beim Autofahren), welche nötig ist, um die Geschichten ihrer Protagonistinnen und Protagonisten erzählen zu können. Dazu gehört auch, dass sie Zweifel, Verwirrung und eigene Vorurteile transparent machen.

Subjektivität und ihre Chancen, Risiken und Nebenwirkungen

In Donat Hofers Sendung zum politisierten Stadt-Land-Graben gelingt dies ziemlich gut. Dank der persönlichen Transparenz des Reporters, der nach seinem Umzug von der Stadt aufs Land etwas unzufrieden ist, erreicht die Reportage eine neue, besonders glaubwürdige Aufrichtigkeit. Sie leuchtet Widersprüche aus und ermöglicht eine differenzierte Auseinandersetzung mit der komplexen Realität.

Passend fürs Format lautet das Fazit in etwa: Statt verständnislosem Urteil aus der Ferne brauchen die Differenzen von Stadt- und Landbevölkerung mehr direkten Kontakt und persönliches Engagement. Der Reporter spart denn auch nicht mit Selbstkritik. «Mir wurde bewusst, dass ich auf dem Land wohne und nicht lebe», sagt er zum Schluss.

Reporter Donat Hofer untersucht den Stadt-Land-Graben persönlich: SRF rec. aus dem Emmental.

Doch derart radikale Subjektivität funktioniert nicht immer gleich gut. Sie ist abhängig von der recherchierenden Person und deren Neugier. Und je nach Thema sind die Anforderungen daran höher und spezifischer. Eine Sendung über Kryptowährungen schloss mit begeisterter Verwirrung des Reporters und nahm kritische Aspekte erst in der Q&A-Folge auf.

Und nach einer vielbeachteten Reportage über die Verbreitung einer Verschwörungstheorie zu ritueller satanistischer Gewalt hagelte es Beschwerden. Die schwerste ausgerechnet: mangelnde Transparenz. In einem ausführlichen Bericht zu 70 Beschwerden entlastete die Ombudsstelle der SRG «SRF rec.» zwar mehrheitlich. Sie fand aber, dass sich «das gewählte Thema nur bedingt für diese Art von Reportage eignet». Für eine bessere Abhandlung des komplexen Themas wäre schlicht noch mehr Aufwand nötig gewesen. «SRF rec.» reagierte mit einer weiteren Folge, in welcher auch die Opfer verschwörungstheoriebedingt falscher Therapierung zu Wort kamen.

Diese Sendung beschäftigte die SRG-Ombudsstelle: SRF rec. über die Verschwörungstheorie satanistischer ritueller Gewalt.

Allgemein zu den Schwächen des Formats befragt, schreiben Badertscher und Stämpfli, sie seien sich bewusst, dass die subjektive Erzählweise für das Schweizer Publikum zum Teil noch gewöhnungsbedürftig sei. Zudem halten sie fest: «In punkto inhaltlicher Qualität soll sich «rec.» stets weiterentwickeln. Wichtig ist: «rec.» darf weiterhin auch ausprobieren und seinen eigenen Weg gehen.» Neben leichteren Themen wie Vanlife – dem Leben im Campingbus – widmet sich das Format weiterhin auch schwieriger Kost: Eine der aktuellsten Folgen handelt von selbsternannten Anorexie-Coaches, welche in Chats jugendliche Magersüchtige ködern.

Von YouTube auf SRF 2

Immerhin zeigt sich nach einem Jahr: Der Wechsel vom Sender aus der Ferne zum Empfänger auf Augenhöhe des Publikums kommt auch bei Teletext-Generationen an. Auf YouTube stammen zwar rund 60% der knapp 3 Millionen Views des ersten Jahres (50 Videos inklusive Q&A-Formate) von unter 35-Jährigen. Doch gemäss SRF ist die Sendung auch auf Play SRF, wo das Publikum tendenziell älter ist, sehr populär. Die Werte, insgesamt 1 Million Views im ersten Jahr, seien ähnlich gut wie bei bekannten Reportageformaten wie «Reporter» oder «Mona mittendrin». Die Zahlen von YouTube und Play SRF liessen sich jedoch nicht vergleichen. Auf Play SRF können zum Beispiel keine demografischen Daten des Publikums erhoben werden.

Das müssen sie auch nicht. Gemäss Badertscher und Stämpfli wird YouTube in erster Linie als Mittel zur Erreichung der jungen Zielgruppe benutzt. «Natürlich ist uns bewusst, dass polarisierende Themen und zugespitzte Aussagen auf YouTube hohe Aufmerksamkeit erhalten. Für uns sind bei der Themenauswahl indes ausschliesslich publizistische Kriterien ausschlaggebend. Ausserdem publizieren wir nie exklusiv für YouTube, alle SRF-Reportagen sind zeitgleich auf Play SRF abspielbar und werden entweder linear ausgestrahlt oder in andere Sendungen eingebettet.»

Mittlerweile läuft die Sendung im samstäglichen Vorabendprogramm auf SRF 2.

SRF andernorts: Diese Formate produziert SRF für Drittplattformen

Die Auflistung stammt von Stefano Semeria, Leiter Distribution bei SRF.

«SRF Kids» und «SRF Kinder News»

Im April 2020 bündelte SRF das Angebot für Kinder auf dem YouTube-Kanal «SRF Kids». Unter dem Motto «Verstehen, entdecken, mitmachen» bietet der Kanal Eltern vielfältige Möglichkeiten, sich mit ihren Kindern über Aktualitäten aus der Schweiz zu informieren oder im Archiv zu stöbern. Im Juni 2020 wurde mit «SRF Kinder News» ein Nachrichtenformat für Kinder lanciert.

«Bleisch & Bossart»  

Seit November 2020 richtet sich «Bleisch & Bossart» an Menschen, die sich kompakt mit philosophischen Fragestellungen befassen und mitdiskutieren wollen. Das YouTube-Format präsentiert sich bereits in der dritten Staffel. Darin diskutieren Barbara Bleisch und Yves Bossart Alltagsfragen aus philosophischer Sicht.  

«We, Myself & Why»

Im März 2021 wurde ein Instagram-Kanal lanciert, der sich primär an junge Frauen richtet, von ihnen produziert wird und zusammen mit der jungen Zielgruppe entwickelt wurde.  

«SRF Volksmusik» 

Seit April 2021 ist «SRF Volksmusik» eine neue Facebook-Seite bzw. ein neuer Kanal für die Schweizer Volksmusik-Szene. Gesicht der neuen Seite ist Arlette Wismer. Neben neuen Formaten, Gefässen und Archiv-Einspielern steht bei «SRF Volksmusik» die Interaktion mit den Fans im Vordergrund. Die digitale Plattform bietet Chancen für neue Volksmusik, Laienmusik und Porträts. Zudem kann der Nachwuchs auf diesem Weg direkter erreicht und seine Förderung noch besser unterstützt werden. Die Facebook-Seite ist der erste Schritt eines ganzheitlichen digitalen Angebots für die Volksmusik bei SRF.  

SRF Kultur auf Instagram

Im August 2021 wurde der Instagram-Kanal von SRF Kultur @srfkultur neu belebt. Die beiden Hosts Melissa Varela und Nino Gadient präsentieren unter anderem die Kultur-Schlagzeile des Tages oder stellen junge Kulturschaffende vor. 

«SRF Wissen» mit «SRF CO2ntrol»

Seit August 2021 bietet SRF neue Anlaufstellen für Wissbegierige: Wie kauft man nachhaltig ein? Was bringt Recycling? Auf der Suche nach Antworten begibt sich Jara Helmi in «SRF CO2ntrol» seit August 2021 alle zwei Wochen auf Recherchereise. Für das Umwelt- und Klimaformat auf YouTube spricht die 28-Jährige mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Forschung. Ausserdem gibt sie Tipps, wie sich Nachhaltigkeit im Alltag umsetzen lässt. Da die Episoden von «SRF CO2ntrol» modular aufgebaut sind, können die Nutzerinnen und Nutzer den Verlauf per Mausklick selbst bestimmen. Das Format, das sich an 25- bis 34-Jährige richtet, ist auf der Website www.srf.ch/wissen und dem YouTube-Hub «SRF Wissen» zu finden. Die Plattformen schaffen in einer komplexen Welt Orientierung. Sie bündeln Inhalte aus den Themenfeldern Wissenschaft, Technik, Natur, Klima und Gesundheit. 

SRF News auf TikTok

Seit Dezember 2021 ist SRF News mit einem Pilotprojekt auf TikTok. Das Angebot wird von zwei jungen Hosts präsentiert – Franny (17) und Leon (19). SRF News zeigt unter anderem politische Zusammenhänge für junge Leute auf. Um das Feld nicht all jenen zu überlassen, die dort auch Schrott und Fake News produzieren, ist es umso wichtiger, dass Journalismus von öffentlichen Medienhäusern auch auf diesen Plattformen stattfindet.

«SRF Impact»

«SRF Impact» ist ein neues YouTube-Reportageformat, das Mitte Februar 2022 neu lanciert wurde. Die drei Hosts Amila Redzic, Michelle Feer und Livio Carlin gehen für das junge Publikum auf Recherchereise.  

«SRF 3 Best Talent» / «Talkabout»

Ende März 2022 hat der SRF 3-YouTube-Kanal eine Auffrischung erhalten. Es ist ein Musik-Kanal mit verschiedenen Formaten entstanden, die zudem auf Social Media, im Radio sowie teilweise im linearen TV ausgespielt werden. Dazu gehören neue Formate der Nachwuchsförderungsmarke «SRF 3 Best Talent» sowie die wöchentliche Serie «Talkabout», in der Schweizer Musikschaffende über Lebensfragen diskutieren.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

4 Meinungen

  • am 17.09.2022 um 16:36 Uhr
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    Wozu dann eigentlich noch Journalismus? Anstatt sich an eine behauptete Jugendkultur anzubiedern, könnte man sich doch gleich ein paar YouTube-Teenies holen; die haben den Slang und die Machart sicher besser drauf, kosten weniger, sind tootaaal subjektiv, verwenden vom Sprachschatz garantiert nicht mehr als 500 Wörter (YouTube-Deutsch) und sind auch keinen journalistischen Standards verpflichtet. Ein öffentlich-rechtlicher Sender der solche Formate lanciert, muss sich fragen, wozu es ihn eigentlich noch gibt, denn den ganzen nach unten nivellierten Schmonzes haben wir ohnehin schon haufenweise auf YouTube. Zum Glück gibt es dort auch alte öffentlich-rechtliche Qualität aus den 90igern und 2000ern.

  • am 17.09.2022 um 17:09 Uhr
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    Herzlichen Dank für diesen Artikel. Bis anfang 2020 war srf.ch eine meiner wichtigsten Informations- und Unterhaltungsquellen. Die unkritische und, nach meiner Ansicht als Ingenieur, unwissenschaftliche Berichterstattung zu Covid hat mir diesen Kanal gründlich vergällt. Jetzt habe ich Lust, wieder einmal vorbei zu schauen. Vielleicht kann ich mein Urteil anschliessend revidieren. Ich gebe gern zweite und dritte Chancen.

  • am 17.09.2022 um 17:11 Uhr
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    Es lohnt sich, vor allem den Beitrag Stadt-Land anzusehen – echt berührend und cool gemacht. Wenn Donat Hofer (aber auch der Bitcoin-Interviewer) zugeben, nicht alles zu wissen, und man an ihrer Neugier teilnehmen kann, ist das spannend. Jeder Journalismus ist subjektiv. Das kommt hier gut zum Ausdruck. Alle Themensetzungen gehen von Personen aus, die einen Standpunkt haben, von dem die Fragen ausgehen. Auch bei Infosperber. Wenn beipsielsweise das Kürzel Red. durchscheinen lässt, dass es zuviele Menschen gibt auf der Welt, dann steht dahinter (hoffentlich) die Sorge um die Umwelt. Die gleiche Meinung vertritt aber auch Opus Dei aus anderen Gründen: Die Organisation spricht von Bevölkerungsexplosion und sieht die weisse Rasse gefährdet. Und um nun zurückzukommen auf den subjektiven Journalismus: Es wäre auch für die Rezeption von Infosperber manchmal hilfreich, wenn klarer deklariert würde (als nur in den Schlusszeilen), was der Standpunkt seiner Journalist innen ist.

  • am 18.09.2022 um 23:42 Uhr
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    Ich habe zwei Videos angeschaut: dasjenige über den Stadt-Land-Graben: zugegeben, subjektiv und vom Stil her auf Junge ausgerichtet. Dennoch fand ich das Video informativ, angenehm zum zuschauen und «Graben» zuschüttend, weil es eine Lebenswelt aufzeigt, die mir nicht nahe liegt. Das zweite Video war SRF-Kinder News, ein Beitrag über die Massentierhaltungsinitiative. Diesen Beitrag fand ich – ich versuch mich da ja in ein Zielpublikum reinzudenken, dass ich meinen Enkeln entspricht – kindgerecht, informativ, ziemlich herausfordernd (je nach Kindesalter). Beide Beiträge können z.B. gut im Unterricht, sei Sekundar (erstes Video) oder Primar (zweites Video) eingesetzt werden.
    Kurz: bin froh, durch diesen Artikel auf diese Formate aufmerksam gemacht worden zu sein.

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