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Die US-Umweltbehörde geht nicht immer auf toxikologische Fakten ein, sagt ein Whistleblower. © mwooten/pixabay

Wie die EPA gefährliche Chemikalien «übersieht»

Daniela Gschweng /  Bei der Neubewertung von Risiken etablierter Chemikalien ignorierte die US-Umweltagentur Bedenken von Experten.

Im Dezember 2019 prüfte ein Toxikologe des US-Umweltministeriums EPA eine neue Farbe. Ungefähr die Hälfte davon bestand aus einem Lösungsmittel mit dem Kurznamen PCBTF. Dafür, dass PCBTF Krebs verursachen kann, gibt es reichlich Beweise. Der Prüfer nahm einen Hinweis in seinen Bericht auf. Ein leitender Angestellter der «Environmental Protection Agency» entfernte den Hinweis wieder. Die Konsumentinnen und Konsumenten wurden also nicht davor gewarnt, dass die neue Farbe gesundheitsschädlich sein könnte.

EPA-Führungsperson ignoriert Schädlichkeit

Das berichtete der «Intercept», dem die Unterlagen von einem Whistleblower zugespielt wurden. Eine weitere Führungsperson beschrieb die Chemikalie als «nur ein Lösungsmittel, das zur Herstellung gebraucht wird». Arbeiter können bei der Herstellung und Verwendung der Farbe die krebserregende Chemikalie einatmen, da war sich der Prüfer mit anderen bei der Umweltbehörde angestellten Fachpersonen einig.

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Ein Whistleblower stellte dem «Intercept» die toxikologische Bewertung einer Farbe zu. Das Krebsrisiko, das ein Toxikologe detailliert angibt, wurde gelöscht.

Dennoch legte die Führungsperson den Wissenschaftlern ein Memo von 1985 nahe, das die Toxikologen dazu anhält, sich auf neue Risiken zu konzentrieren, statt sich an alten Chemikalien abzuarbeiten. Der Fall löste nach Auskunft der Whistleblower beträchtliche Unstimmigkeiten in der Abteilung aus.

Das Problem mit etablierten Chemikalien

Nicht zuletzt deshalb, weil es viele ähnliche Fälle gibt. PCBTF, mit vollständiger chemischer Bezeichnung Parachlorbenzotrifluorid, 1-Chlor-4-(trifluormethyl)benzol oder 4-Chlorobenzotrifluorid ist ein etabliertes Lösungsmittel. Es wird in Farben und Anstrichen, Klebstoffen, Reinigungsmitteln, zum Entfetten und zur Herstellung anderer Chemikalien verwendet.

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PCBTF wurde noch vor 1976 eingeführt, als der «Toxic Substances Control Act» in Kraft trat. Das heisst, seither wurde die Chemikalie von der EPA nicht auf gesundheitsgefährdende Eigenschaften geprüft –  also wahrscheinlich noch gar nie. Der Bestandsschutz, englisch «Grandfahering», betrifft nicht nur PCBTF, sondern mehr als 60‘000 Chemikalien, die vor dem Erlass dieses Gesetzes auf den Markt kamen.

Von der EPA wird PCBTF als «grüne» Chemikalie eingestuft, weil es «VOC-frei» ist. VOC-freie Lösungsmittel sind organische Verbindungen, die von den Beschränkungen für die meisten flüchtigen organischen Verbindungen (Volatile Organic Compounds, VOC) in den Vereinigten Staaten ausgenommen sind. Zu den VOC-freien Lösungsmitteln gehört neben PCBTF beispielweise auch Azeton.

In 7000 Jahren hätte die EPA alles geprüft

VOC-freie Lösungsmittel werden oft seit langer Zeit gelistet, weil sie die Ozonschicht nicht schädigen, was zur Zeit der Einstufung massgeblich war. Ihre gesundheitlichen Risiken sollten eigentlich neu überprüft werden. Darum müsste sich die EPA spätestens seit 2017 kümmern.

Bisher hat sie das nur bei einem kleinen Teil der alten, ungeprüften Chemikalien getan. Würde die Behörde im selben Tempo weitermachen, bräuchte sie 7000 Jahre, um die mehr als 40‘000 Chemikalien zu prüfen, die derzeit genutzt werden. Dass die US-Umweltagentur unter knappen Finanzen und unter politischem Druck leidet, ist bekannt.

Martin Phillips, ein Chemiker und Sachverständiger für menschliche Gesundheit und der einzige vom «Intercept» namentlich genannte, fasst das Verhalten der EPA so zusammen: «Die Frage ist nicht: Was können wir mit knappen Ressourcen erreichen? Ihre Frage lautet: «Mit wie wenig kommen wir durch? Was können wir schnell abhaken?‘»

Hinweise auf Krebs seit 1983

Die erste Studie über PCBTF war 1983 durchgeführt worden. Sie fand eine erhöhe Anzahl von Magenkrebserkrankungen bei Arbeitern einer chemischen Fabrik. Die Chemikalie kann durch Einatmen, Verschlucken und über die Haut in den Körper gelangen. Eine zusammenfassende Arbeit 2009 zeigte unter anderem auf, dass Mäuse, die der Chemikalie ausgesetzt waren, Leberkrebs bekamen.

Sechs Monate, bevor die EPA die neue Farbe prüfte, hatte Kalifornien PCBTF bereits in eine Liste von Chemikalien aufgenommen, für die das US-Bundesland öffentliche Warnhinweise vorschreibt. Eine Prüfung hatte die Chemikalie als risikobehaftet eingestuft. Einen Monat vor der EPA-Prüfung stufte auch die WHO das Lösungsmittel als möglicherweise krebserregend ein.

Nicht der erste Vorwurf an die EPA

Die Umweltagentur selbst sieht sich im Recht. «Zwar kann man mit Fug und Recht behaupten, dass viele der Chemikalien, die unter das Gesetz von 1976 fielen, Risiken bergen und unter dem TSCA [Toxic Substances Control Act] nicht eingeschränkt sind, doch wurde die PMN-Substanz [premanufacture notification], die Gegenstand dieser Untersuchung ist, nicht unangemessen oder im Widerspruch zum TSCA behandelt», antwortete eine Sprecherin der EPA auf eine E-Mail des «Intercept».

Vorwürfe von Whistleblowern und ehemaligen Angestellten der EPA, dass die Umweltagentur Informationen über die Gefährlichkeit von Chemikalien zurückhält, gab es schon häufiger. «Politico» berichtete 2018 beispielsweise über eine Warnung vor der bekannten Chemikalie Formaldehyd.

Was die EPA tut, wenn sie von der Schädlichkeit eines Stoffes erfährt, ist unklar

David Michaels, der die «Occupational Safety and Health Administration» während der Regierungszeit Obamas leitete, hält den Umgang mit PCBTA laut dem «Intercept» für «ein Versäumnis der EPA, das Gesetz zu befolgen».

Derzeit ist unklar, was die EPA tut, wenn sie Kenntnis von der Schädlichkeit einer etablierten Chemikalie bekommt. Möglicherweise tut sie gar nichts, selbst wenn der Hinweis vom Hersteller kommt. Die Öffentlichkeit wird nicht informiert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 14.01.2022 um 17:59 Uhr
    Permalink

    Wenn ich bedenke, bzw. berücksichtige, dass die meisten dieser Menschen, welche solche Entscheide treffen, meist Väter und/oder Mütter sind, also auch ganz bewusst die Schädigung ihrer eigenen Kinder in Kauf nehmen, so holt mich doch immer wieder ein «Erstaunen» ein. Danke für den wertvollen Beitrag.

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