Schweden: Wie Schüler mit Foodwaste besser essen
An der Mariebergsskolan in Karlstad beginnen Schülerinnen und Schüler ihren Tag seit 2018 mit einem gesunden Frühstück an der «Energy-Bar» der Schulkantine. Es gibt zum Beispiel Ingwer-Shots, frischen Saft, Golden Milk und Overnight-Oats – eine Müesli-Variante, die über Nacht quillt.
Das attraktive Angebot sorgt nicht nur dafür, dass Kinder und Jugendliche gesünder essen, sondern leistet auch einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft. Obst und Gemüse werden von lokalen Supermärkten gespendet, um Lebensmittelverschwendung zu minimieren. Die Jugendlichen bleiben nun häufiger in der Schule, statt zum Kiosk zu gehen. Sie essen gesünder und sind aufgeschlossener gegenüber neuen Geschmäcken.
Schwedens Kinder sollen gesünder essen
Das ansprechende Frühstücksmenü ist Teil einer breiteren Strategie, um Schwedens Schulküchen attraktiver zu machen. Schwedens seit 1946 gesetzlich vorgeschriebene kostenlose Schulmahlzeiten – täglich rund zwei Millionen – sollen gesünder und nachhaltiger werden. Laut dem «Guardian» nehmen zunächst «eine Handvoll» schwedischer Schulen teil.
Finanziert wird das Projekt von der schwedischen Innovationsagentur Vinnova; mehrere andere Regierungsbehörden wie die schwedische Lebensmittelbehörde Livsmedelsverket sind ebenfalls beteiligt. Bis 2030, so das Ziel, sollen alle Kinder in Schweden «nachhaltige und gute» Schulmahlzeiten bekommen.
Die Mensa als Lernort
Dabei geht es nicht nur darum, wie Schulen Lebensmittel beschaffen und zubereiten, sondern auch um die Mitwirkung aller Beteiligten – vom Detailhandel über die Gemeinden bis zum Lehrpersonal. Im Grunde hat Livsmedelsverket damit ein grosses Forschungsprojekt angestossen, das Schwedens Ernährung in kleinen Schritten nachhaltiger und gesünder gestalten soll. In der Vorbereitung gab es mehrere Workshops.
Auch die Kantine selbst veränderte sich. Die Mensa wurde so umgestaltet, dass sich Schülerinnen und Schüler dort wohlfühlen. «Sie forderten Sitzplätze, die zu verschiedenen Stimmungen passen», sagte Linnea Olsson Lee, Food-Strategin aus Karlstad, gegenüber dem «Guardian». Es gibt Barhocker mit Blick zum Fenster für diejenigen, die lieber alleine sitzen möchten, kleinere Tische und Gemeinschaftstische für grosse Gruppen sowie Vorhänge, die Geräusche dämpfen. Essen und Lebensmittel werden im Unterricht thematisiert, um praxisnahes Lernen zu ermöglichen.
Wer beteiligt ist, schätzt das Essen mehr
Echte Einbindung sei einer der Erfolgsfaktoren, führt der 2025 veröffentlichte Zwischenbericht von «Ett nytt recept för skolmåltider» (ein neues Rezept für Schulmahlzeiten) auf. Schülerinnen und Schüler empfänden das Essen als besser, wenn sie in Planung, Gestaltung oder Menüentwicklung eingebunden würden, selbst wenn die Rezepte gleich blieben. Unter dem Strich habe sich die Einstellung zum Essen stärker verändert als das Essen selbst.
Schülerinnen und Schüler zeigten mehr Engagement, mehr Experimentierfreude und mehr Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Essen, Umwelt und Gesundheit. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Küchen sei der Respekt für deren Arbeit gestiegen. Entscheidend sei zudem die Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und staatlichen Behörden gewesen.
Eine weitere Initiative erleichtert es öffentlichen Küchen, regionale Produkte zu beziehen. Zudem belohnt ein neues Programm Schulen finanziell für reduzierte Lebensmittelabfälle – in Karlstad gab es so 1,7 Tonnen weniger Foodwaste.
Besser essen, mehr Chancengleichheit
Die schwedischen Schulmahlzeiten sind nicht nur ein Mittel, um der schwedischen Bevölkerung nahezubringen, gesundheitsbewusster und nachhaltiger zu essen. Sie sind auch eine sozialpolitische Notwendigkeit. Für einige Kinder sei das Schulessen die einzige warme Mahlzeit des Tages, stellt der Zwischenbericht fest.
Wachsende Ungleichheit, steigende Lebensmittelpreise und ungesunde Esskulturen in Sozialen Medien setzten das Schulspeisungssystem unter Druck. Bessere Schulverpflegung hingegen werde mit besserer Gesundheit, höherem Lernvermögen und langfristig sogar mit höherem Einkommen in Verbindung gebracht.
Andere Länder sind interessiert
Das Projekt sorgt auch in anderen Ländern für Interesse. Im Oktober besuchten Köch:innen und anderes Fachpersonal aus Lettland und Estland im Rahmen eines Foodwaste-Projekts die Hultsbergsskolan – eine andere Schule in Karlstad. Sie wollten Erfahrungen austauschen und mehr über die schwedische Herangehensweise und deren praktische Umsetzung erfahren.
«Wir können viel von den Erfahrungen Schwedens lernen», resümierte Dzintra Kokta, Lebensmitteltechnologin und Ernährungsspezialistin an der Universität Daugavpils (Lettland). Sei es dabei, wie Speisen präsentiert würden, bei der Vielfalt der Speisekarte oder bei der Kommunikation mit den Kindern.
Die estnische Ernährungstherapeutin und Köchin Triin Muiste zeigte sich von den Social-Media-Aktivitäten der Schule angetan: «Mir hat es sehr gut gefallen, wie die Schulen kurze Videos darüber drehen, was es heute zum Mittagessen gibt – das schafft Vertrauen und eine Verbindung zu Kindern und Eltern.»
Ungewisse Zukunft
Umfassende und innovative Projekte wie «Ett nytt recept för skolmåltider» sind aufwendig und teuer. Wer es weiterführt, wenn Vinnova sich aus der Finanzierung zurückzieht, ist noch unklar.
Die Herausforderungen sind enorm: Schweden muss nicht nur auf die Klimakrise reagieren, sondern auch lokale Lebensmittelsysteme stärken und der steigenden Fettleibigkeit bei Kindern begegnen. Probleme, die nicht von einem einzigen Akteur oder Projekt gelöst werden können, sagt Alexander Alvsilver von Vinnova gegenüber dem «Guardian». «Die wichtigsten Akteure müssen sich engagieren. Gemeinsam.»
Für Linnea Olsson Lee und viele andere zeigt Karlstad, was möglich ist: «Wir geben so viel Geld für die Schulspeisung aus. Dann sollten wir sie als Ressource nutzen – für Bildung, Gesundheit und Nachhaltigkeit.» Der Erfolg der «Energy-Bar» sei nur ein kleines sichtbares Zeichen für einen viel grösseren Wandel.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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