Kommentar

Gesundheitsschutz oberste Priorität? Das war mal bei Corona

Bernd Hontschik © ute schendel

Bernd Hontschik /  Wenn es um gesundheitsschädigende Stoffe wie Glyphosat oder PCB geht, stehen Industrieinteressen über dem Gesundheitsschutz.

Red. Der Autor dieses Gastbeitrags ist Chirurg und Publizist in Frankfurt.

Selbst wer die Zeitung nicht täglich und aufmerksam liest, wird wissen, was Glyphosat ist. Es ist ein Pflanzenschutzmittel. Menschen schützt es nicht, im Gegenteil. In den USA jagt ein Prozess den anderen, wo die Tochterfirma des Bayer-Konzerns namens Monsanto für Krebserkrankungen, die Glyphosat verursachte, haftbar gemacht wird und Entschädigungen in astronomischer Millionenhöhe zahlen muss. 

In Europa ist der Kampf zwischen Menschen- und Umweltschützern auf der einen Seite gegen mächtige Konzern-Lobbyisten auf der anderen Seite aber nach wie vor unentschieden. Immer wieder fällt die Europäische Kommission durch befristete Verlängerungen der Zulassung von Glyphosat auf und bestreitet schlicht, dass diese Chemikalie Krebs verursacht. Zuletzt Ende 2023 wurde die Zulassung von Glyphosat um weitere zehn Jahre verlängert. 

Der Gefahr von Krebserkrankungen, die man im Prinzip zunächst bestreitet, wird durch die Vorschrift eines fünf Meter breiten Pufferstreifens am Rand eines mit Glyphosat behandelten Feldes Rechnung getragen: ein Witz! So kann Monsanto diesen Giftstoff munter weiter produzieren. 

Bayer und Monsanto haben aber noch ganz andere Giftpfeile im Köcher. Seit 1929 haben sie einen Giftstoff namens PCB hergestellt. Diese polychlorieren Biphenyle gehören zu dem «dreckigen Dutzend» hochgiftiger Chlorverbindungen, deren Produktion und Verwendung mit einem UN-Abkommen 2001 weltweit verboten wurde. Sie sind krebserregend, erbgutschädigend, verursachen hormonelle Veränderungen und embryonale Fehlbildungen. Über siebzig Jahre lang haben Bayer und Monsanto viele Milliarden mit PCB verdient. Hunderttausende von Tonnen wurden besonders im Baugewerbe verwendet. Jetzt ist es zum Glück schon seit über zwanzig Jahren verboten. Wir können aufatmen! Zwar spät, aber eben doch sind wir jetzt vor diesem katastrophalen Giftstoff endlich geschützt. 

Aber sind wir das wirklich? PCB im Club der dreckigen Dutzend gehört nämlich ausserdem auch zum exklusiven Kreis der sogenannten «Ewigkeitschemikalien». Das sind Stoffe, die einmal angewandt, nie mehr aus der Welt verschwinden; nicht aus den Böden, nicht aus Gebäuden, nicht aus der Atemluft und nicht aus der Nahrung. Und so verursacht PCB auch über zwanzig Jahre nach seinem Verbot noch immer Hautreizungen, Atemerkrankungen und steht nach wie vor im Verdacht, krebserregend zu sein. 

PCB wurde auch in Schulen und Kindergärten verbaut. Ein beunruhigter Vater liess in der Kindertagesstätte seiner Tochter die PCB-Belastung untersuchen. Die erlaubten Grenzwerte wurden pro Kubikmeter Raumluft um mehr als dreihundert Prozent überschritten. Man weiss von etwa 1500 solcher Schulen in Deutschland, die dringend PCB-saniert werden müssten – wahrscheinlich sind es aber viel mehr. 

In einer Schule in Villingen konnte nach Entfernung der toxischen Primärquellen wie Deckenplatten und Fugenmassen eine Verminderung der PCB-Belastung der Raumluft in den Klassenräumen um den Faktor 3 erreicht werden: zu wenig. Danach wurden die noch verbliebenen sekundären Giftquellen gereinigt und mit Beschichtungen und Verplattungen abgedeckt, wodurch eine weitere Verminderung, aber keine Beseitigung des Problems erreicht werden konnte; zumindest wurden nun die Grenzwerte unterschritten. 

Im Unterschied zu Asbest und zu Glyphosat ist der PCB-Skandal bislang leider weitgehend unbeachtet geblieben. Aber auch in diesem Fall muss man eine Entschädigung der Opfer und die Sanierung der verseuchten Gebäude fordern. In Deutschland gilt das Produkthaftungsgesetz von 1989: «Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.» 

Wer oder was schützt trotz eindeutiger Gesetzeslage Konzerne immer wieder davor, für Schäden, die ihre Produkte angerichtet haben, die Verantwortung zu übernehmen? Warum werden sie nicht für die immensen Kosten der Sanierung in Haftung genommen? 

Der Gesundheitsschutz hat oberste Priorität, hiess es während der Corona-Pandemie landauf landab. 

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Dieser Beitrag erschien am 13. April 2024 in der «Frankfurter Rundschau».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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3 Meinungen

  • am 20.04.2024 um 11:46 Uhr
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    wenn Politiker behaupten, sich um unsere Gesundheit zu kümmern, sollte uns das stutzig machen. Der Homo capitalisticus ist käuflich. Das fängt ja schon beim einfachen Angestellten an, der gegen Bezahlung, auch wider besseren Wissens und gegen seine Überzeugung, sinnlose oder gar destruktive Aufträge erfüllt.
    Mit Gesunden macht niemand ein Geschäft. Weder die Pharma, noch die Krankenkassen, noch die Ärzte. Kapitalismus kennt keine Empathie und ignoriert die grundlegenden Werte für ein funktionierendes, langfristig angelegtes Zusammenleben. Man kann nicht alles mit Geld bewerten.

  • am 20.04.2024 um 12:34 Uhr
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    Glyphosat wird verteufelt. Monsanto für viele ein rotes Tuch. Das Patent abgelaufen, produziereunzählige Hersteller Glyphosat. Das Problem ist das Netzmittel – dieses ist aber in den meisten Reinigungsmitteln, insbesondere in Spülmittel für Geschirr, ein Hauptbestandteil. Dass Monsanto patentgeschütztes Saatgut glyphosatresistenter Nutzpflanzen teuer verkauft treibt vorab in Indien viele Bauern in Ruin und Suizid. Das ist aber kein Glyphosatproblem, sondern ein Armuts- und Gerechtigkeitsproblem. In den USA urteilen Geschworenengerichte, die Genugtuungssummen sind im Vergleich zur Schweiz astronomisch. Viele Krebspatienten verorten in Glyphosat die Ursache, das ist lukrativ. Grösster Verbraucher von Glyphosat in der Schweiz sind die SBB, welche es flächendeckend auf befestigten Trassen kraft Sonderbewilligung mehrmals pro Jahr versprühen. Glyphosat ist kein Gift, sondern ein Hormon, das nach 2 – 3 Wochen vollständig abgebaut ist, es ist das ungiftigste Herbizid, das es gibt.

    • am 22.04.2024 um 19:10 Uhr
      Permalink

      Können sie uns noch die Qiellen für ihre Behauptungen mitteilen?

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