Gustavo Petro 1. 20.9.22

Gustavo Petro, Präsident Kolumbiens, am 20. September 2022 vor der UN-Generalversammlung in New York © UNO

Eindringlicher Appell für neue Drogenpolitik verhallte ungehört

Red. /  Kolumbiens Präsident kritisierte vor der UNO die Heuchelei reicher Staaten. Das Echo blieb gering. Deshalb berichtet Infosperber.

Was Drogenanbau und Drogenkonsum mit dem Krieg in der Ukraine, der Verletzung der Menschenrechte und der Ausbeutung des Planeten aufgrund der Rohstoffgier zu tun hat, erklärte der kolumbianische Präsident Gustavo Petro am 20. September vor der 77. UN-Generalversammlung in New York. In ungewohnt deutlichen Worten kritisierte er die unsägliche Heuchelei hinsichtlich Drogenbekämpfung, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und Kampf gegen den Klimanotstand. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine meinte Petro: «Wir befinden uns im Krieg, auch mit unserem Planeten. Ohne Frieden mit dem Planeten wird es keinen Frieden zwischen den Nationen geben.»

Koka ist nicht Kokain

Seit rund vierzig Jahren hat jeder Präsident Kolumbiens in Abstimmung mit der US-amerikanischen Anti-Drogen-Behörde DEA auf den gnadenlosen Kampf gegen die Drogen, insbesondere das Kokain gesetzt und dabei auch die Pflanzungen der Kokabauern zu zerstören versucht. Der neu gewählte Gustavo Petro vom Linksbündnis kündigt dagegen eine völlig neue Drogenpolitik an und geht dabei von drei entscheidenden Prämissen aus: Erstens sei nicht die Kokapflanze das Problem, sondern der Drogenhandel. Zweitens müssen nicht die Produktion, sondern der Konsum und die nach wie vor steigende Nachfrage ins Blickfeld kommen. Und drittens hänge der noch immer andauernde «Krieg gegen die Drogen» eng mit der Zerstörung der Lebensgrundlagen insbesondere des Amazonasgebiets zusammen.

«Eine dieser CO2-absorbierenden Pflanzen unter Millionen von Arten ist eine der am meisten verfolgten auf der Erde. Ihre Vernichtung wird um jeden Preis angestrebt: Es handelt sich um eine Pflanze aus dem Amazonasgebiet, die Kokapflanze, die heilige Pflanze der Inkas.» 

Tatsächlich ist die Kokapflanze weit mehr als die Grundlage für die Herstellung von Kokain; sie gilt vielen indigenen Völkern als spirituelle Kraftquelle und Heilmittel und hat im Andenraum einen enormen sozialen und kulturellen Wert. Das Kokablatt versinnbildlicht die Menschheit. Ganz anders sehen dies die Menschen im globalen Norden: «Zerstört die Pflanze, die tötet, schreien sie aus dem Norden, aber die Pflanze ist nur eine weitere von Millionen, die untergehen, wenn sie das Feuer im Regenwald entfachen.»

Es würden keine Anstrengungen gescheut, dieses «Teufelsblatt» auszurotten, auch wenn damit der Regenwald zerstört werde: «Um die Kokapflanze zu vernichten, werden Unmengen von Giften und Glyphosat ins Wasser gekippt, die Kokabauern verhaftet und inhaftiert. Wegen der Zerstörung oder des Besitzes des Kokablattes werden eine Million Lateinamerikanerinnen und Lateinamerikaner umgebracht und zwei Millionen Afroamerikanerinnen und Afroafrikaner in Nordamerika inhaftiert.» Petro insistierte: «Zerstört mit euren Giften nicht die Schönheit meines Landes, helft uns ohne Heuchelei, den Amazonas-Regenwald zu retten, um das Leben der Menschheit auf dem Planeten zu retten.»

Die Ursache der Klimakatastrophe

«Nichts ist heuchlerischer als der Diskurs zur Rettung des Regenwaldes […] Der rettende Wald wird in meinem Land als Feind gesehen, den es zu besiegen gilt, als Unkraut, das es auszurotten gilt. Die Kokapflanze und die Koka-Bauern, die nichts anderes anbauen können, werden verteufelt. Sie [die angesprochenen Machthaber] interessieren sich für mein Land nur, um Gifte in seinen Regenwald zu schütten und seine Männer ins Gefängnis zu stecken.» 

Gustavo Petro bezichtigt die Machthaber dieser Welt der Scheinheiligkeit.  Man rufe nach dem Schutz der Biodiversität und der Erhaltung des Regenwaldes und zerstöre ebendiese Lebensgrundlagen durch die «Gier» und das Konsumverhalten.

Nicht die Kokabauern und indigenen Völker des Regenwaldes seien die Ursache für den Klimanotstand und den weltweiten Drogenkonsum, sondern die Lebensweise der Menschen in den reichen Industrienationen, die nach wie vor nach Rohstoffen, Soja für die Fleischproduktion und Drogen für die Bewältigung von «Leere und Einsamkeit» rufen. Es sei «die Logik des Wirtschaftens mit dem Ziel, immer mehr zu konsumieren, immer mehr zu produzieren und für einige immer mehr zu verdienen», welche die Klimakatastrophe erzeuge.

Petro vergleicht Kokain, Kohle und Öl

Petro stellt den «Krieg gegen die Drogen», der von den USA angeführt wird und unzählige Länder destabilisiert, Millionen von Menschen vertrieben und ganze Regionen unfruchtbar gemacht hat, in einen Zusammenhang mit der grenzenlosen Gier nach Rohstoffen und den Kriegen, die deswegen geführt werden. 

«Das Diktat der Macht hat angeordnet, dass Kokain das Gift ist und verfolgt werden muss, auch wenn es vergleichsweise wenige Todesfälle durch Überdosen verursacht, […] aber gleichzeitig müssen Kohle und Öl geschützt werden, auch wenn ihre Nutzung die gesamte Menschheit auslöschen kann.» Dabei ist das Kokain nur eine Antwort auf den existentiellen Notstand der Menschen, die unter die Räder eines erbarmungslosen Wettbewerbs gekommen sind. «Die Traurigkeit des Daseins, die durch diesen künstlichen Aufruf zu grösserer Konkurrenz erzeugt wird, ist erfüllt von Lärm und Drogen […] Die Krankheit der Einsamkeit lässt sich nicht durch Glyphosat im Regenwald heilen. […] Nicht der Regenwald ist schuld an der Drogensucht, sondern die Irrationalität eurer Weltmacht.» 

Für den kolumbianischen Präsidenten ist klar, dass der «Krieg gegen die Drogen», der bereits vierzig Jahre andauert, gescheitert ist. «Der Krieg gegen die Drogen hat 40 Jahre gedauert, und wenn wir den Kurs nicht korrigieren, wird er weitere 40 Jahre fortgesetzt […] Ich fordere von hier aus, von meinem verwundeten Lateinamerika her ein Ende des irrationalen Krieges gegen die Drogen. Um den Drogenkonsum zu reduzieren, braucht es keine Kriege, sondern wir alle müssen eine bessere Gesellschaft aufbauen: eine Gesellschaft mit mehr Solidarität, mehr Zuneigung, in der die Intensität des Lebens vor Sucht und neuen Formen der Versklavung bewahrt.»

Eindringlicher Aufruf, den Krieg zu beenden und die Klimakatastrophe zu stoppen

Die Rede von Kolumbiens Präsident Petro vor der UN-Vollversammlung schliesst mit einem eindringlichen Appell an alle Länder Lateinamerikas, aber insbesondere an die versammelten Vertreterinnen und Vertreter der reichen Industrienationen, sowohl den Krieg in der Ukraine als auch den Krieg gegen die Natur zu beenden.

  • «Von Lateinamerika her rufen wir die Ukraine und Russland auf, Frieden zu schliessen.
  • Wir befinden uns im Krieg, auch mit unserem Planeten. Ohne Frieden mit dem Planeten wird es keinen Frieden zwischen den Nationen geben.
  • Nur im Frieden können wir das Leben in diesem unserem Land retten. Es gibt keinen umfassenden Frieden ohne soziale, wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit.
  • Ohne soziale Gerechtigkeit gibt es auch keinen sozialen Frieden.»

________________________
Bearbeitung der Rede Gustavo Petros: Josef Estermann
Die Rede original auf Spanisch hier.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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9 Meinungen

  • am 13.10.2022 um 12:19 Uhr
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    Leider sind nur kranke Menschen gute Menschen, mit diesen kann man Geld verdienen. Wenn dem nicht so wäre, dann würde der gleiche Aufwand wie für die «Heilung» in die Prophylaxe gesteckt. In der Schweiz haben wir jährlich 9’500 Rauchertote, aber das ist keine Pandemie – aber gegen Drogen wird alles gemacht, im Wissen dass das organisierte Verbrechen sich dank dem illegalen Markt saniert. Wie viele (tragische) Drogentote gibt es jährlich?
    Wie wahr: «Wir befinden uns im Krieg, auch mit unserem Planeten. Ohne Frieden mit dem Planeten wird es keinen Frieden zwischen den Nationen geben.»

  • am 13.10.2022 um 13:00 Uhr
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    Gustavo Petro scheint mir ein weiser und mutiger Mann zu sein (wenn er das, was er ankündigt auch durchzieht, befürchte ich kein langes Leben für ihn). Er spricht mir aus dem Herzen und hat in vielerlei Hinsicht absolut recht. Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert und es braucht dringend neue Wege. Zudem kann es nicht im Interesse der Weltbevölkerung sein, dass eine unendlich reiche Schattenwirtschaft entsteht, immer mehr Einfluss hat und nichts der Allgemeinheit zurückgibt… nur, ist es evtl. schon zu spät? Hat diese Schattenwirtschaft die Politik bereits im Würgegriff, so dass eben solche Voten ungehört verhallen und sich wider besseres Wissen nichts ändern wird? Der Dollar rollt jedenfalls vorderhand ungehindert weiter in diesem unsäglichen System und diejenigen, in derer Tasche das Geld fliesst, werden mit aller Macht versuchen, das so aufrecht zu erhalten!

  • am 13.10.2022 um 15:18 Uhr
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    Danke Infosperber, dass Sie uns daran teilhaben lassen!
    Natürlich verwundert es nicht, dass unsere MSM, welche uns tagtäglich suggerieren, dass Europ. und US-Amerik. «Werte» die personifizierte Moral und Menschlichkeit seien, solche Botschaften ungern weiterverbreiten: Natürlich auch wegen der klaren Kritik an «unserer» Politik und Lebensweise oder wegen der Entlarvung hiesiger Heuchelei – aber alleine schon die natürliche Menschlichkeit etlicher linker lateinamerikanischer Spitzenpolitiker , ihre Verbundenheit mit unserer Erde, ihre Achtung gegenüber der Weisheit indigener Völker steht in krassem Kontrast zur Kriegslust, sozialen Kälte, Kapitalismus-Hörigkeit und Blutleere einer Mehrheit der hiesigen, heutigen Politgenerationen.
    Sollte es noch zu einer Wende ins Positive kommen in unserer gemeinsamen Menschheitsgeschichte, wird diese imho wohl von Lateinamerika (+ Afrika?) ausgehen, von so wunderbaren Menschen wie Pepe Mujica und Lucía Topolansky, David Choquehuanca und weiteren …

  • am 13.10.2022 um 16:23 Uhr
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    Bravo, wie recht er hat!
    Aber leider wird die Rede noch folgenlos bleiben. Es bleibt die Hoffnung das weitere Menschen den Argumentationen folgen können und derer wächst. Aber ob das ausreicht noch rechtzeitig die Kurve zu bekommen?
    Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man, was bleibt einem anderes….

  • am 13.10.2022 um 19:07 Uhr
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    Unter dem Deckmantel einer internationalen «Anti-Drogen-Politik» wird leider oft eine sehr missbräuchliche Strategie verfolgt, die weit von den offiziellen Zwecken und Zielen entfernt ist. Tief verwickelt, um nicht zu sagen federführend, sind die alles andere als gesellschaftspolitischen Interessen der USA. Deren Interventionen sind in hohem Maße opportunistisch und selektiv, unabhängig davon, um welche Milieus und Ideologien es sich jeweils handelt. Wenn der Drogenhandel von rechtsgerichteten Organisationen ausgeht, die mit linksgerichteten Kartellen in Konflikt stehen, drücken sie nicht selten ein Auge zu und tolerieren sogar wissentlich die Einfuhr von Drogen in die USA. Beispiel, die Praktiken, die bereits in Nicaragua im Rahmen der Iran-Contra-Affäre angewandt wurden. Oder «Plan Colombia», der sich schon bald als Aktion entpuppte, die sich als Umweltschutz und humanitäre Aktion tarnte, jedoch faktisch einseitig politisch-wirtschaftliche Interessen der USA verfolgte.

  • am 14.10.2022 um 08:47 Uhr
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    Die Rede des kolumbianischen Präsidenten scheint mir ein kleiner Hoffnungsschimmer in dieser Lage zu sein.
    Merci für die Übersetzung und Publikation.
    Vielleicht können viele solche Stimmen doch noch etwas bewirken!!

  • am 15.10.2022 um 10:16 Uhr
    Permalink

    Danke IS! Ich habe die komplette Rede des kolumbianischen Präsidenten schon vor drei Wochen auf gefunden und versendet. Sie geht inhaltlich weit über die Drogenproblematik hinaus und zeigt auf, dass wir Menschen mit der Vernichtung der Natur unseren Planeten unwiderruflich zerstören und nicht bereit sind, unsere Lebensweise auf das Lebensnotwendige zu reduzieren. Damit stellt Petro auch die Systemfrage, denn wenn wir uns nicht von der mantramäßig beschworenen Wachstumsideologie und dem Bruttosozialprodukt als Gradmesser des Fortschritts verabschieden, gehen wir geradewegs in die Hölle. Nur eine Systemänderung und eine globale Ökodiktatur können .m E. noch das Schlimmste verhüten. Beides sind Illusionen, Gesellschaften und Menschen sind träge. Und dass die Menschheit zur «Lösung von Problemen» nach fast einer Million Jahre Dasein noch immer Kriege führt, ist eines der für mich unverständlichen Mysterien der Evolution. Vom Höheren zum Niederen ist wohl die Richtung.

  • am 15.10.2022 um 23:25 Uhr
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    Hier auf Amerika21 (https://amerika21.de/dokument/260152/petro-kolumbien-uno-rede) ist die vollständige Rede Gustavo Petros auf Deutsch.
    Wirklich lesenswert. Eine weise Rede, eine wütende Rede, vielleicht auch eine verzweifelte Rede, und dennoch eine Botschaft von Herzen und mit wichtigen, ernsten Anliegen.
    Und «wir» ignorieren sie …
    Ich möchte hier auch noch einmal auf die Amtsantrittsrede des bolivianischen Vizepräsidenten David Choquehanca im bolivianischen Parlament hinweisen, die imho für ein Parlament einzigartig ist. Sie ist zB hier in Deutscher Übersetzung verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=PmroJFXH3G8
    Ich habe zunehmend den Eindruck, dass etliche Staaten Lateinamerikas uns sozial, aber auch ökologisch und spirituell um Lichtjahre voraus sind. Und auch, als ob sie gerade, wenn auch mit fortwährenden Widerständen, – hoffentlich! – Kolonialismus, Neokolonialismus und rechte Regime mehr und mehr überwinden können.
    Alles Gute auf diesem Weg!

  • am 16.10.2022 um 21:04 Uhr
    Permalink

    Braunschweig, den 16. Oktober 29022
    Bolivien-Reden
    Bei dem Lesen der drei Texte der bolivianischen Politiker kommen auch mir einige Gedanken. Ich frage mich, inzwischen 74 Jahre alt, was hast du in deinem Leben getan, um einen Schritt auf dem Weg in eine menschlichere Zukunft zu gehen.
    Ich werde an Rio 1992 erinnert:
    »Bitte lassen Sie Ihren Worten Taten folgen!«

    Dokumentiert: Die bewegende Rede der damals zwölfjährigen Severn Suzuki beim Erdgipfel in Rio“
    Das sind alles Texte, die in Kinderbücher, in Lehr- und in Schulbücher gehören.

    Viele Grüße

    Kurt Wolfgang Ringel

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