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Klaus Reinhardt während seiner Rede vom 16. März 2023 am deutschen Ärztetag in Essen. © phoenix

Deutscher Ärztechef liest Karl Lauterbach die Leviten

Red. /  Klaus Reinhardt frotzelte, der Gesundheitsminister soll «mit seinen Visionen zum Arzt gehen». Sein Tun sei demokratiegefährdend.

upg. Die deutsche Bundesregierung habe in den letzten vier Jahren nicht weniger als 264 gesundheitspolitische Verordnungen erlassen, zu denen die Bundesärzteschaft Stellung nehmen konnte. Das erklärte Ärztepräsident Klaus Reinhardt am deutschen Ärztetag. Das Ministerium habe der Ärzteorganisation und anderen Lobbys zusätzlich zahlreiche Positionspapiere ebenfalls zur Stellungnahme unterbreitet.

Die demokratische Ordnung sei dabei manchmal nicht eingehalten worden, ja Karl Lauterbachs Handeln sei «demokratiegefährdend». Der Präsident der Bundesärztekammer nannte beispielhaft die extrem kurzen Fristen, die Lauterbach für eine Stellungnahme gewährte:

  • Eine Verordnung zugestellt am 21.11.2022 um 11.00 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 21.11.2022 bis 19.00 Uhr.
  • Andere Verordnung zugestellt am 24.6.2022 um 13.45 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 24.6.2022 bis 18.00 Uhr.
  • Weitere Verordnung zugestellt am 9.3.2023 um 01.08 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 9.3.2023 bis 10.00 Uhr.

Es gebe noch viele solche Beispiele, sagte Ärztechef Klaus Reinhardt.

Lauterbach habe zwar viele Visionen, meinte Reinhardt. Aber wie schon Helmut Schmidt gesagt habe: «Wer Visionen hat, soll mit seinen Visionen zum Arzt gehen.»

Der Präsident der deutschen Ärzteschaft erntete eine Standing Ovation. Auch der heftig kritisierte Lauterbach applaudierte verhalten.

«Seien Sie nicht eingeschnappt», erwiderte Gesundheitsminister Lauterbach am Schluss seiner anschliessenden Rede: «Wir werden die Baustellen gemeinsam anpacken.» Für seine geplanten grundlegenden Reformen werde er mit allen Kreisen zusammenarbeiten und alle guten Vorschläge aufnehmen.

Bei seiner Problemanalyse nahm es Lauterbach – wie schon öfter in der Vergangenheit – mit den Fakten nicht so genau. So behauptete er, die anderen Länder Europas würden den Pharmafirmen höhere Medikamentenpreise zahlen als Deutschland, und begründete damit die Engpässe bei bestimmten Arzneien in Deutschland. Tatsächlich zahlen die Krankenkassen in praktisch allen Ländern Europas mit Ausnahme der Schweiz den Pharmafirmen tiefere Preise als in Deutschland.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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3 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 28.05.2023 um 08:47 Uhr
    Permalink

    Solche «instant» Vorlagen gab es auch im Gesundheits- und Medikamentenbereich in der Schweiz. So wurde eine wichtige Vorlage einmal gar am späten Freitag zur Ämterkonsultation verschickt mit Antwortfrist bis Montag morgen.

    Der Minister war dann über die nicht besonders freundliche Reaktion der Verwaltung «erstaunt».

  • am 28.05.2023 um 15:51 Uhr
    Permalink

    Die Absurdität der angeführten kurzen Fristen wäre noch weitsaus deutlicher, wenn die Anzahl der zu kommentierenden Seiten angegeben wäre. Wer so agiert, will keine Beteiligung von wem auch immer. Ehrlicher wäre es, dies dann auch deutlich auszusprechen.
    Die Beispiele machen deutlich, mit welch «heißer Nadel» hier operiert wird. Ein Wunder bzw. purer Zufall, wenn dabei keine FEhler passieren.
    Wer befreit uns von diesen Bürokraten?

  • am 30.05.2023 um 10:40 Uhr
    Permalink

    «Seien Sie nicht eingeschnappt…» – der Kommentar Lauterbachs zeigt, wie vielerorts mit Kritik umgegangen wird. Er nimmt sein Gegenüber nicht ernst und würdigt seine Aussage herab. Danach wird gleich am das «gemeinsame Anpacken» verwiesen, die Kritik also mit dem Hinweis auf das gemeinsame Ziel vollends weggewischt. Das sind alles Tricks aus der Politikersprechkiste wie man unangenehmen Kommentaren und Kritik aus dem Weg geht.

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