Sperberauge

20.11.20: Nur leicht höhere Auslastung der Intensivbetten

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Vor zwei Wochen waren noch 23 Prozent aller Intensivbetten frei, am 19. November noch 21 Prozent.

upg. Entscheidend für den Verlauf der Corona-Situation sind weniger die täglich gemeldeten Fallzahlen als die Zahl von Corona-Patientinnen und -Patienten, die in einem Akutspital oder sogar in einer Intensivstation behandelt werden müssen. Aus diesem Grund informieren wir ein- oder zweimal pro Woche über Covid-19-Behandelte in Spitälern.

Panikmache Mitte Woche

Am 17. November verbreitete die «Gesellschaft für Intensivmedizin» SGI, die von ihr zertifizierten 876 Intensivbetten seien «aktuell praktisch vollständig belegt». Vor Medien im Bundeshaus erklärte Andreas Stettbacher, Delegierter des Bundesrates für den Koordinierten Sanitätsdienst (KSD der Armee), die zertifizierten Intensivbetten seien «praktisch alle ausgelastet». In der New York Times führte dies zu einer seltenen Schlagzeile aus der Schweiz: «All of Switzerland’s intensive care beds are now full.» Auch die Genfer Virologin Isabella Eckerle verkürzte die vermeintliche Hiobsbotschaft auf Twitter «Alle zur Verfügung stehenden Intensivbetten für Erwachsene sind nun belegt.»

Diese Schlagzeile war definitiv falsch. Denn die SGI und der KSD bezogen sich lediglich auf die von der SGI 876 «zertifizierten» Intensivbetten. Daneben standen am 19. November jedoch 266 weitere, ausgerüstete und personalbestückte Intensivbetten bereit. Das waren 68 mehr als vor zwei Wochen. Dank dieser Aufstockung waren am 19. November noch 237 oder 21 Prozent sämtlicher Intensivbetten leer, während es zwei Wochen vorher 241 oder 23 Prozent waren.
Damit Spitäler Behandlungen von Patienten, die in zusätzlich bereitgestellten, nicht zertifizierten Intensivbetten liegen, in gleicher Höhe abrechnen dürfen wie Patienten in zertifizierten Betten, müssen die Behandlungen unter Leitung einer zertifizierten Station erfolgen (Quelle: DRG-Klarstellung vom 3.4.2020). Die Ausrüstungen der Intensivbetten müssen gleichwertig sein. Engpässe kann es bei der Qualifikation des Personals geben. Allerdings müss(t)en vermeidbare und unvermeidbare Behandlungsfehler erfasst werden.

Auslastung der Intensivstationen Stand 19. November 2020

Auslastung der Intensivbetten in der Schweiz am 19.11.2020. Etwas grössere Auflösung hier.

Auf dieser SRF-Grafik ist ersichtlich, dass auf Intensivstationen gegenwärtig rund ein Viertel mehr Patienten liegen als noch im Juni (ganze violette Fläche). Der Anteil der Covid-Patienten nimmt weiter zu (dunkel-violette Fläche rechts). Dagegen liegen nur noch halb so viele Nicht-Covid-Patienten auf Intensivstationen wie damals (hell-violette Fläche).

Vergleich: Auslastung der Intensivstationen Stand 5.11.20

Auslastung der Intensivbetten zwei Wochen vorher. Etwas grössere Auflösung hier.

Die NZZ, die wegen Corona-Dramatisierungen an dieser Stelle auch schon kritisiert wurde, beanstandete am 20. November ihrerseits die «ständigen Warnungen von Epidemiologen zu Intensivbetten». Als von «vollen Intensivbetten» die Rede war, seien zur selben Zeit 240 Intensivbetten frei gewesen (21 Prozent). Ohne Einordnung und Berücksichtigung auch der aufgestockten Intensivbetten, versetze man «etliche Leute in Panik», kommentierte NZZ-Bundeshausredaktorin Larissa Rhyn. Zur Zeit herrsche eine «ständige Alarmitis». Alle paar Tage werde verkündet, die Intensivpflegeplätze seien in Kürze ausgelastet, wenn nicht sofort schärfere Massnahmen angeordnet würden. Dabei nehme die Zahl der Hospitalisationen ab. Die «ständige Warnerei» lasse «einen Teil der Bevölkerung in Panik leben, während ein anderer Teil dadurch abgestumpft und je länger, desto skeptischer wird». Es gehe nicht darum, die gegenwärtige Phase zu verharmlosen, sondern darum, «das Mass zu finden zwischen angemessenen Warnungen und Panikmache».

Engpässe in den Kantonen FR, VS, BS, SO

Die Auslastung der Intensivstationen ist gegenwärtig unter den grösseren Kantonen am höchsten in FR (93%), VS (89%), BS (89%), SO (88%) und AG (87%). Einzelne Spitäler verlegten Intensivpatienten in andere Spitäler in der Nähe und vereinzelt auch in Spitäler anderer Sprachregionen.
Am meisten freie Intensivbetten gibt es zurzeit im Tessin 32%, in GE (!) noch 25% , in ZH 28%, in BL 23%, SG 23%, BE 20%.
Siehe die Liste aller Kantone hier.
Die Auslastung wäre insgesamt höher, wenn Spitäler nicht auf einige nicht-dringliche Operationen verzichten würden. Genaue Zahlen darüber sind nicht bekannt.

Auslastung der Akutbetten in der Schweiz am 19.11.2020:

Von insgesamt rund 17’000 Patientinnen und Patienten, die gegenwärtig in einem Akutspital behandelt werden, waren am 19. November 3703 auf Sars-Cov-2 positiv Getestete. Das waren 5% weniger positiv Getestete als in der Vorwoche. Rechts die durchschnittliche Auslastung der Intensivstationen mit 79 Prozent. Bild: Zahlen KSD/BAG, Grafik SRF.

Ungerechtfertigter Vorwurf der Verharmlosung

upg. Damit man die Gefahren und Folgen der Corona-Epidemie einschätzen kann, muss man sie einordnen und Statistiken hinterfragen.
Eine solche Einordnung führt manchmal ungerechtfertigterweise zum Vorwurf, man wolle Covid-19 verharmlosen und alle getroffenen Massnahmen in Frage stellen. Dieser Vorwurf stammt oft ausgerechnet von jenen Personen oder Organisationen, welche andere Gesundheitsrisiken verharmlosen und beispielsweise wirksame Massnahmen gegen vermeidbare Zivilisationskrankheiten ablehnen.

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Coronavirus: Information statt Panik
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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9 Meinungen

  • am 21.11.2020 um 09:41 Uhr
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    21% IPS-Betten leer ist im dunkelorangen Bereich. Wieviel muss man das hier repetieren: in einer exponentiellen Wachstumskurve sind 21% schneller als man denken kann belegt. Ist Triage das, was UPG unbedingt noch ausreizen will?… auch zum Prophylaxeparadox scheint UPG ein seltsames Verhältnis zu haben, kennen sollte er es doch inzwischen? Und zuletzt: IPS ist keine Hotellerie, wo man rasch auch einen ungelernten Room Service aktivieren kann, falls es knapp wird. Come on!

  • am 21.11.2020 um 11:14 Uhr
    Permalink

    @Trachsel. Ich kann weder bei den Einweisungen in Spitäler noch in Intensivstationen eine exponentielle Wachstumskurve erkennen. Das wäre tatsächlich eine andere Ausgangslage.

  • am 21.11.2020 um 18:56 Uhr
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    @Trachsel
    Ein einziger Blick auf die Zahlen des BAG (https://www.covid19.admin.ch/de/overview) würde Sie abschliessend darüber orientieren, ob wir uns im exponentiellen Anstieg befinden oder nicht.

  • am 21.11.2020 um 20:33 Uhr
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    Ich möchte diesen wichtigen und aufschlussreichen Bericht nur noch wie folgt ergänzen: Die meisten sogenannten COVID Patienten wurden aufgrund eines positiven PCR Tests als solche registriert. Wieviele dieser Einlieferung aufgrund dieser Viruserkrankung erfolgten ist offen. Ausserdem sind Lungenentzündungen (Pneumonie) relativ häufige Patienten im Spital. Lungenentzündungen werden oft von Viren mitverursacht, dieses Jahr werden es COVID Viren sein und die offiziellen Lungenentzüdungen werden drastisch schrumpfen. Ausserdem haben ca. 40% (gemäss Sentinell des RKI) der Influenzaerkrankte auch Coronaviren. Also wird es auch dieses Jahr offiziell, wie schon bisher, kaum Grippeerkrankte geben. dasselbe gilt auch für die Todesfälle.
    Man kann also viele Erkrankte auf COVID abschieben und dadurch die Panik noch befeuern, obwohl die Sterblichkeit bezogen auf 100000 Einwohner dieses Jahr tiefer liegt als der Schnitt der letzten 5 Jahre. (Beachten, dass die Einwohnerzahl zB der über 80jährigen um ca 45000 zugenommen hat) Ein Hinweis ist auch das Sinken der nicht Covid-Patienten fast im Gleichschritt zur Zunahme der Covid-Patienten.

  • am 22.11.2020 um 13:01 Uhr
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    Wenn JETZT kein exponentielles Wachstum stattfindet, dann ist das auf Prävention (vor x Tagen/Wochen) zurückzuführen. Falls die Vorkehrungen nachlassen, kann es schnell wieder in eine exp Zunahme kippen. Was das heisst von einem höheren Plateau aus (20% Ressourcen), kann man sich selber ausmalen.

  • am 22.11.2020 um 13:24 Uhr
    Permalink

    Übersterblichkeit (excess death, http://www.euromomo.eu/graphs-and-maps) Woche 44: Schweden z=0, Frankreich z= 10, Schweiz z=13; Vgl Spanien im Frühling z=40. Z-score ist Standardisierung mit Einbezung Mittelwert und Standarbeitung je Land. Z>ca 4 ist signifikant Übersterblichkeit, notabene egal welche Todesursache.

  • am 22.11.2020 um 22:50 Uhr
    Permalink

    Herr Gasche stellt einleitend klar: «Entscheidend für den Verlauf der Corona-Situation sind weniger die täglich gemeldeten Fallzahlen als die Zahl von Corona-Patientinnen und -Patienten, die in einem Akutspital oder sogar in einer Intensivstation behandelt werden müssen."

    Sehr wichtige Erkenntnis! Aber warum so spät?! Warum geschlagene 6 Monate genau auf diesen Fallzahlen herumreiten, wenn sie doch nicht das Entscheidende sind?

    Wer beständig die Aufmerksamkeit der Leser über 6 Monate auf die Fallzahlen resp. ihre Berechnung gelenkt, suggeriert, dass sie wichtig sind. Wer möchte, dass die Aufmerksamkeit (der Leser) von etwas weg geht, das man als (ohnehin) unwesentlich erachtet, dann gelingt das doch nicht, indem dieses Unwesentliche bis ins Detail «analysiert» wird. Das korrekte Vorgehen ist doch, dass die Aufmerksamkeit des Lesers immer und immer wieder auf das gelenkt wird, was man als das Entscheidende ausgemacht hat. Auf diesem kann und soll «herumgeritten» werden, und zwar bis es auch dem letzten bläut, dass die Fallzahlen-Erbsenzähl- und -sortiererei eine ziemlich irrelevante Beschäftigung ist und einzig dazu führt, das Entscheidende aus den Augen zu verlieren.

  • am 22.11.2020 um 23:32 Uhr
    Permalink

    Herr Gasche sieht keinen «exponentiellen Anstieg». Richtig beobachtet. Wie relevant ist diese Feststellung, respektive: Was sagt sie uns?

    Wer die Feststellung «nichts von ‹exponentiell›, nichts von ‹Auslastung der Intensivstationen bis an die Kapazitätsgrenzen’» ins Zentrum stellt, löst bei (zu) vielen Menschen diesen Gedankengang aus: «Hab’s doch gewusst: Kein Problem. Riesen-G’schiss um nichts. Alles Panikmacherei! Ende der Diskussion.» Schon fast folgerichtig: Diese Personen, denen zu diesem Gedankengang verholfen wurde, werden keinen Sinn darin sehen, die vorgeschriebenen Massnahmen einzuhalten. Damit wird, wiederum folgerichtig, die (rasche) Zielerreichung erschwert, möglicherweise sogar erwirkt, dass noch drastischere/einschränkendere Massnahmen beschlossen werden.

    Dass bei den Intensivbetten nicht an der Kapazitätsgrenze operiert wird, hat kein Grund zum Jubeln, sondern unser Ziel zu sein. Also etwas, das wir – permanent – aus den Grafiken entnehmen sollten. Desgleichen: Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir nie einen «exponentiellen» Anstieg zu Gesicht bekommen (müssen). Alles andere zeigt nur eines an: Wir haben versagt! Denn soweit, dass diese beiden Szenarien nicht eintreten, haben wir im Grunde genommen das Virus «im Griff».

    Ins Zentrum unserer Gedankengänge gehört: Ich darf folgendes (gar) nie in einer Grafik zu sehen bekommen: «exponentieller Anstieg», «komplett ausgelastete Intensivstationen». Was haben wir hierzu zu veranlassen bzw. zu tun?

  • am 23.11.2020 um 09:37 Uhr
    Permalink

    @ Trachsel, Kühne & Co
    Jede Grippewelle steigt und fällt exponentiell – ist jedes Jahr dasselbe!

    Auch wenn es vehement bestritten wird: Es gibt in der Schweiz jedes Jahr eine Grippewelle (inkl. grippale Infekte), deswegen werden jedes Jahr Leute in Spitäler eingeliefert, einige Landen auf der Intensivstation und einige hundert auf dem Fredhof.
    Dazu werden jedes Jahr Spitalbetten abgebaut.
    https://www.swissinfo.ch/ger/corona-krise_wie-viele-spitalbetten-hat-die-schweiz-im-internationalen-vergleich-/45658756

    Kann mir jemand erkären, warum man dauernd Spitalbetten abbaut und jetzt ein derart hysterisches Geschrei loslöst?

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