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Roche verdiente Milliarden an Tamiflu, hat jedoch die Wirksamkeit nie bewiesen © Flickr/ahisgett/cc

Pharmastudien: Rezept für mehr Transparenz

Chantal Britt /  Die Wirkung von Arzneimitteln muss bewiesen sein. Doch die Studienergebnisse sind oft geschönt, manipuliert oder gar gefälscht.

Red. Klinische Studien haben eine enorme Bedeutung: Ihre Ergebnisse beeinflussen, welche Produkte für den Markt zugelassen werden, welche Medikamente Ärzte verschreiben, und ob und wie viel die Krankenkassen zahlen müssen. Nicht zuletzt sorgen positive Studienresultate auch für blendende Bilanzen der Pharma-Unternehmen und für zufriedene Aktionäre. Allerdings: Der überwiegende Teil der Studien wird von den Herstellern in Auftrag gegeben und finanziert. In jüngster Zeit mehren sich Berichte über fragwürdige Praktiken bei industriefinanzierten Arzneimittelstudien. Unabhängige Untersuchungen zeigen, dass die Pharmaindustrie Studien schönt, manipuliert oder sogar fälscht, um den Nutzen von Arzneimitteln besser darzustellen, als er eigentlich ist.

Um eine potentielle Grippe-Epidemie bekämpfen zu können, lagern Regierungen und Behörden auf der ganzen Welt das Medikament Tamiflu des Roche-Konzerns. Und das in Mengen, die Milliarden Dollar wert sind. Doch selbst Ärzte wissen nicht, ob das Grippemittel eine Epidemie tatsächlich verhindern könnte. Seit Jahren weigert sich das Schweizer Pharma-Unternehmen Roche, die vollständigen Studiendaten im Zusammenhang mit Tamiflu herauszurücken. Erst seit 2013 kann die unabhängige Forschungs-Organisation Cochrane einen Teil der Studienunterlagen überprüfen. Allerdings hat Roche das Material zuvor redigiert, um «die Wahrung der Privatsphäre der Patienten zu sichern und kommerzielle Interessen zu schützen». Noch sind nicht alle Daten offengelegt. (Siehe «Roche wegen Milliarden-Tamiflu am Pranger»).
Dies ist kein Einzelfall. In Japan hat das Gesundheitsministerium im Januar 2014 Strafanzeige gegen Novartis eingereicht. Auslöser waren gefälschte Studienergebnisse für den Blutdrucksenker Diovan. Das Gesundheitsministerium in Tokio wirft Novartis vor, irreführend für das Medikament geworben zu haben, obwohl dem Unternehmen die Manipulation der Studien bekannt gewesen sei.
Resultate justieren und optimieren
Immer wieder kommt es vor, dass Medikamentehersteller Studienergebnisse beschönigen oder unter den Teppich kehren, wenn sie nicht ihren Erwartungen entsprechen. Klinische Forscher können Grenzwerte verändern, damit die Ziele leichter erreicht werden, oder unklare statistische Methoden verwenden, um positive Effekte zu betonen und Nebenwirkungen herunterzuspielen. «Wissenschaftler haben einen Horror vor negativen Resultaten, sie veröffentlichen solche nicht», sagt Jean-François Cuttat, Chirurg in Lausanne. Forscher würden Daten, die sich nicht mit ihren Erwartungen decken, unter dem Deckel behalten, Resultate justieren und optimieren.
Diese Meinung teilt Hermann Amstad, Generalsekretär der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften: «Unternehmen haben kein Interesse, Resultate über Misserfolge gewisser Verkaufsschlager zu publizieren», sagt er. Zudem hätten Berichte über Studien mit positiven Resultaten grössere Chancen, in medizinischen Fachmagazinen publiziert zu werden.
Jede zweite Studie bleibt unter Verschluss
Weltweit sind ständig rund 70’000 klinische Studien in Arbeit, aber nur wenige bringen tatsächlich neue Erkenntnisse. Viele würden nur Werbezwecken dienen, sagt etwa der Onkologe Professor Reto Obrist. Er ist Mitglied im Institutsrat von Swissmedic, der Schweizer Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Heilmittel. Laut Obrist werden nur etwas mehr als die Hälfte der klinischen Studien veröffentlicht. «Viele bleiben unter Verschluss, weil sie den Erwartungen der Pharmaindustrie nicht entsprechen», sagt er. Dies führe zur Verzerrung von Resultaten und erschwere die Medikamentenwahl für Ärzte.

Ein neues Gesetz, das in der Schweiz Anfang 2014 in Kraft trat, zielt darauf ab, einige dieser Missstände zu beheben. Neu müssen Pharma-Unternehmen alle klinischen Versuche, die in der Schweiz durchgeführt werden, auf einem Portal des Bundesamts für Gesundheit (BAG) registrieren. Das soll Transparenz und Qualität der Forschung verbessern. Über die Veröffentlichung der Resultate macht das Gesetz jedoch keine Vorgaben. Pharma-Unternehmen in der Schweiz werden zudem aufgefordert, Informationen zu ihren Interessenskonflikten ab 2016 auf ihren eigenen Websites zu publizieren. Tun sie es nicht, drohen aber keine Sanktionen, denn diese Offenlegung ist in den Schweizer Erlassen bisher nicht vorgesehen.
Branche setzt auf Selbstregulierung
Die Schweizer Pharmaindustrie hat sich in der Vergangenheit stets gegen das Offenlegen von Studienergebnissen gewehrt. Stattdessen setzte man auf den Verhaltenskodex des Branchenverbands. Doch viele Unternehmen bekennen sich inzwischen zu mehr Transparenz. Roche veröffentlicht mittlerweile wenigstens Zusammenfassungen aller klinischen Studien. Forscher können die Studienberichte (Clinical Study Reports) bei den Gesundheitsbehörden oder direkt beim Unternehmen anfordern. Zudem können Wissenschaftler seit diesem Jahr bei Roche auch Rohdaten auf Patientenebene einsehen.
«Wir verstehen und unterstützen die Forderungen nach mehr Transparenz unserer Industrie bei den Daten klinischer Versuche, um den Interessen der Patienten und der Medizin am besten zu dienen», sagte Roche-Pharma-Chef Daniel O’Day 2013. Gleichzeitig sei Roche fest überzeugt, dass Beurteilung und Zulassung von Medikamenten weiterhin Aufgabe der Gesundheitsbehörden bleiben müssten. Was die Effizienz von Tamiflu angeht, soll eine Gruppe unabhängiger Forscher die Daten überprüfen, deren «Robustheit und Integrität» nach Angaben von Roche die «Wirksamkeit und Sicherheit» des Medikaments belegen.
Einige Arzneimittelhersteller meinen, dass das komplette Offenlegen der Daten auch Nachteile bringen würde. Man mache sich Sorgen über den Schutz der Patientendaten und des geistigen Eigentums, wenn alle Daten allen zugänglich gemacht werden müssten, erklärt Thomas Cueni von Interpharma, dem Verband der forschenden Schweizer Pharmaindustrie. Für Cueni ist die Selbstregulierung der Branche ausreichend. Allerdings sind die meisten Rohdaten der Studien anonymisiert, so dass nicht auf einzelne Patienten geschlossen werden kann.
Ruf der Pharmabranche ist angeschlagen
Das ethische Verhalten von Schweizer Firmen ist in den vergangenen Jahren unter Beschuss geraten. Nicht nur die Finanzbranche, auch die Medikamentenindustrie habe etwas von ihrem Glanz verloren, sagt Professor Reto Obrist vom Institutsrat der Swissmedic. Alle führenden Pharma-Unternehmen hatten ihren Anteil an negativen Schlagzeilen. «Es wird lange dauern, ihr angeschlagenes Image aufzupolieren und Vertrauen zurückzugewinnen», sagt Obrist. Er hofft, dass die jüngsten Skandale um Tamiflu und Diovan, die den Forderungen der Öffentlichkeit nach mehr Transparenz Auftrieb gaben, dazu beitragen werden, längst überfällige Veränderungen voranzutreiben.
«Die generelle Empfehlung ist, dass Unternehmen nur Dinge tun sollten, aus denen keine Probleme entstehen, wenn am nächsten Tag die Medien darüber berichten», sagt Annette Magnin, die Leiterin der Swiss Clinical Trial Organisation (SCTO), der Kooperationsplattform für patientenorientierte, klinische Forschung in der Schweiz. Fehlverhalten sei nicht nur ethisch verwerflich, so Magnin, sondern auch eine finanzielle Belastung und schädlich für den Ruf eines Unternehmens.
Auch die EU will mehr Transparenz
Wenn es um Offenlegung und Transparenz in der Forschung geht, stehen die USA an der Spitze, Europa hinkt hinterher. In den USA müssen Medikamentenversuche seit 1997 registriert werden und Pharma-Unternehmen müssen ihre Interessenkonflikte offenlegen. Die Schweiz hat nun mit der Registrierung von klinischen Studien einen Anfang gemacht, die Europäische Union soll im kommenden Jahr folgen. Ab 2015 sollen Forscher in der EU klinische Studien vor deren Beginn registrieren und eine Zusammenfassung innerhalb eines Jahres nach Abschluss veröffentlichen müssen. Das EU-Parlament und der EU-Ministerrat müssen der neuen Gesetzgebung noch zustimmen.
Für Skeptiker kommt die bestehende und geplante Gesetzgebung in Europa jedoch zu spät und geht nicht weit genug. Organisationen wie «No free lunch» und Unterstützer der Kampagne «AllTrials» fordern volle Transparenz und warnen, wegen «teuren Pseudo-Innovationen» ohne nachgewiesene zusätzliche Nutzen könnten Patienten ihren Ärzten nicht mehr vertrauen. «Medikamentenhersteller behaupten, die Patienten seien ihre Top-Priorität, aber ihre finanziellen Interessen können nicht ignoriert werden», sagt David Klemperer von «No free lunch» (Ärzte, die von Pharmafirmen keine Geschenke annehmen) Deutschland. «Die Industrie bearbeitet Ärzte, Politiker und Medien systematisch, um das Bewusstsein für unerwünschte Daten zu senken und um ihr eigenes Image aufzupolieren.»
Die Zeit wird zeigen, ob die neuen Regelungen Erfolg haben und die Verzerrungen etwas verringert werden können.

Dieser Text ist auf swissinfo.ch erschienen.
Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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11 Meinungen

  • am 22.03.2014 um 16:34 Uhr
    Permalink

    Angaben zur Autorin hielte ich für nützlich.
    hansueli w. moser-ehinger

  • am 22.03.2014 um 18:34 Uhr
    Permalink

    Deshalb Änderung der Preisgestaltung durch Einforderung des Zusatznutzens im Vergleich zur aktuellen Standardthearpie frühestens 4 Jahre nach Markteinführung im jeweiligen Land, um einerseits Patientennutzen und Kosteneffizienz gewährleisten und andererseits überteuerte Scheininnovationen und Mee-Too-Präparate verhindern zu können. Reformvorschlag in der Schweizerischen Ärztezeitung Nr. 37/2009: http://www.saez.ch/docs/saez/archiv/de/2009/2009-37/2009-37-1039.PDF

  • Portrait.Urs.P.Gasche.2
    am 22.03.2014 um 18:50 Uhr
    Permalink

    @Keusch. Ganz richtig, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Bereits für eine Aufnahme in die Kassenpflicht sollte der Zusatznutzen im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie nachgewiesen sein und nach spätestens vier Jahren nochmals überprüft werden. Ohne einen solchen Nachweis dürfte der Preis eines neuen Medikaments nicht höher sein als der Preis des bisherigen Standard-Medikaments, unter Berücksichtigung bereits vorhandener Generika. Ist ein grosser Zusatznutzen nachgewiesen, darf der Preis viel höher sein.

  • am 22.03.2014 um 19:35 Uhr
    Permalink

    @Gasche: Sollte man tatsächlich meinen! Aber leider ist die Gesundheitspolitik keine Nutzenpolitik sondern weltweit entsprechend lobbyierte Interessenspolitik wirtschaftlich einflussreicher Kontrahenten im volkswirtschaftlichen Interesse der einzelnen Länder und dessen damit in Zusammenhang stehenden Mehrwerts. Da wird der Patient mehr oder weniger leider zu einem skrupellos einberechneten Spielball, resp. Kollateralschaden. Leider …..

  • am 22.03.2014 um 22:14 Uhr
    Permalink

    Grosses Lob für diesen Beitrag und die Kommentare!

  • am 24.03.2014 um 15:57 Uhr
    Permalink

    Sign the RxISK Drug Safety Petition
    Dieses ist der Inhalt der Petition:
    “Lassen Sie uns die Pharma-Daten sehen. Nebenwirkungen sind keine Geschaeftsgeheimnisse!
    In 2010 hat die European Medicines Agency begonnen, individuelle Daten aus den klinischen Studien, die die Grundlage fuer die Zulassung neuer Medikamente in Europa bilden, zu veroeffentlichen. Dieser Schritt wurde von Forschern in Europa, Amerika und weltweit als Meilenstein auf dem Weg zur Arzneimittelsicherheit begruesst.
    Diese Entwicklung ist jetzt durch eine Klage von zwei US-amerikanischen Firman gestoppt worden – AbbVie, Hersteller von Humira, dem Medikament mit den hoechsten Verkaufszahlen weltweit (geschaetzte 10 Mrd. US-Dollar in 2013) und InterMune, deren Medikament fuer Lungenfibrose, Esbriet, vor kurzem in Europa die Zulassung erhalten hat, mit jaehrlichen Behandlungskosten von ueber 40.000 US-Dollar pro Patient.
    AbbVie und InterMune haben Klage eingereicht, um die Veroeffentlichung der Studienergebnisse ueber Nutzen und Risiken dieser Arzneimittel zu verhindern, mit dem Argument, dass diese lebenswichtigen Informationen “Geschaeftsgeheimnisse”
    In Kopie an:
    President Barack Obama;
    Margaret Hamburg, M.D., Commissioner, Food & Drug Administration;
    Secretary General Ban Ki Moon, United Nations;
    World Health Organization Director Dr Margaret Chan.
    Unterzeichned Sie hier
    – See more at: http://wp.rxisk.org/rxisk-org-koordiniert-die-petition/#sthash.o1SFspRO.dpuf

  • am 1.04.2014 um 16:12 Uhr
    Permalink

    Und wie wäre es, sich an dieser Petition zu beteiligen???
    Sollen immer nur «die anderen"???
    Und warum versucht man über die «health claims» zu verhindern, dass seriöse Studien veröffentlicht werden. Warum zucken die meisten mit den Achseln, «da kann man nichts machen".

  • am 4.04.2014 um 16:15 Uhr
    Permalink

    Herr Keusch
    Wie steht es mit den hängigen Klagen? und wie steht es dann mit der Verbindung zu codex alimentary? Der codex hat sich doch in der EU durchgesetzt.
    Grüsse

  • am 4.04.2014 um 17:00 Uhr
    Permalink

    @Schmidlin: Fragen Sie doch einen RA, informieren Sie sich unter codexalimentarius.com und senden Sie eine Mail an codex@blv.admim.ch mit für Sie relevanten Fragen. Warum müssen bei Ihnen immer alle Anderen recherchieren nur nicht Sie selber?! Sie Sind ja sonst auch immer sehr schnell punkto Recherchen, wer Ihre bevorzugten Petitionen zu unterzeichnen hat.
    Gruss, AK

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