Insulinspritze Diabetes

Etwa eine von sechs Personen mit Diabetes hat in den USA schon einmal die Insulindosis reduziert oder weggelassen, um Geld zu sparen. Einige Menschen bezahlten das mit dem Tod. © Syda_Productions / Depositphotos

Kalifornien produziert Insulin jetzt selbst

Martina Frei /  Innert 30 Jahren erhöhten Hersteller die Insulinpreise in den USA um über 1000 Prozent. Viele Kranke geraten finanziell ans Limit.

Obwohl sie krankenversichert ist, kann sich die US-Amerikanerin Laura Marston das Medikament, dem sie ihr Leben verdankt, nur noch leisten, wenn sie anderes streicht. 1996 erkrankte Marston an Typ 1-Diabetes. Ihr Körper produziert seither das lebenswichtige Hormon Insulin nicht mehr. Sie muss es sich spritzen. 

Doch seit 1996 ist der Preis für eine Ampulle des Insulins, das Marston benötigt, von 21 Dollar um über 1000 Prozent auf 275 Dollar oder mehr gestiegen. Mindestens drei Ampullen brauche sie pro Monat, um zu überleben, berichtete Marston letzten Sommer im «British Medical Journal» (BMJ). Das kostet derzeit knapp 10’000 Dollar pro Jahr. Bis zu ihrem 70. Geburtstag – so sie ihn erlebe – werde ihr Bedarf an Insulin Millionen von Dollar verschlungen haben, falls die Preissteigerungen so weitergingen wie bis anhin. Seit 2014 lobbyiert die Anwältin darum für tiefere Insulinpreise. 

Um das Insulin bezahlen zu können, verkaufte Marston bereits Hab und Gut sowie ihr Auto, sie liess sich Rentengelder vorzeitig auszahlen, zog an einen anderen Ort, lieh sich Geld von ihren berenteten Eltern und gab schliesslich ihren Hund auf, weil ihr nicht mehr genügend Geld geblieben sei, um sich selbst und das Tier gesund durchzubringen. 

Krankenversichert zu sein, bedeutet in den USA nicht automatisch, dass die Versicherung alle Kosten übernimmt. Je nach Versicherungsmodell müssen die Versicherten einen mehr oder minder grossen Teil der Behandlung selbst bezahlen, so dass die Insulinkosten trotzdem bis zu 1000 Dollar im Monat betragen können, berichtete das «BMJ». 

Rund 31 Millionen Menschen in den USA sind gar nicht krankenversichert. Würde sie ihren Job verlieren oder könnte sie die Krankenversicherung nicht mehr bezahlen, hätte sie kein Sicherheitsnetz, das sie vor den steigenden Kosten für das lebensrettende Arzneimittel schützen würde, gab Marston zu bedenken.

Riskant: Menschen mit Diabetes rationieren ihr Insulin

In Umfragen gab etwa ein Viertel der antwortenden Diabetes-Patienten an, dass sie ihre Insulindosis aus Kostengründen schon reduzierten oder ausliessen. Hochgerechnet auf die USA hätten das im Jahr 2020 etwa 1,3 Millionen von 7,4 Millionen Menschen, die Insulin brauchen, mindestens einmal gemacht. Oder sie schoben den Insulinkauf hinaus, um Geld zu sparen, schreibt «Der Arzneimittelbrief». In Einzelfällen endete diese Rationierung tödlich.

US-Präsident Biden appellierte im Februar 2023 an die Insulinhersteller. Nur drei Pharmafirmen kontrollieren diesen US-Markt: Eli Lilly, Novo Nordisk und Sanofi. Gemäss US-Recht dürfen sie den Preis für ihre Medikamente selbst festlegen und auch erhöhen, wie es ihnen beliebt. Davon machen sie Gebrauch – trotz jahrelanger Proteste. Würde der Markt spielen, dann könnte der Jahresbedarf an Insulin für einen Menschen mit Diabetes nur 72 bis 133 Dollar kosten, schätzte eine Studie 2018. Doch die Marktmacht der Pharmakonzerne ist zu gross.

Drei Konzerne beherrschen den Markt

«Da die drei Grosskonzerne 96 Prozent des Insulinmarktes kontrollieren, ist die Hürde für den Markteintritt eines weiteren Anbieters hoch. […] Die hohen Insulinpreise haben dazu beigetragen, dass die erwähnten drei Konzerne von 2009 bis 2018 ihren Aktionär:innen insgesamt 122 Milliarden US-Dollar ausschütten konnten», schreibt der Buchautor Beat Ringger in seinem Buch «Pharma fürs Volk». Die Preise fürs Insulin seien in den USA rund achtmal so hoch wie im benachbarten Kanada.

Die Gewinnmargen der drei Hersteller sind gross: Eine Ampulle Insulin herzustellen, kostet laut einer Berechnung in «BMJ Global Health» zwischen 3,5 und zehn US-Dollar, beim teuersten Insulin um die 22 Dollar. Vermarktet wird es für ein Vielfaches davon. Gegen die Bemühungen verschiedener US-Bundesstaaten, den Preis zu senken, hätten sich die Hersteller juristisch gewehrt. Immerhin: Medicare, die staatliche US-Krankenversicherung für Menschen ab 65 Jahre und für jüngere mit bestimmten Erkrankungen, deckelte den Insulinpreis letztes Jahr auf 35 Dollar pro Monat.

«Insulin gehört nicht mir, es gehört der Welt»

Der Entdecker des Insulins, der spätere Nobelpreisträger Frederick Banting, verkaufte die Herstellungspatente im Jahr 1923 für den symbolischen Preis von einem Dollar an die Universität Toronto mit den Worten «Insulin gehört nicht mir, es gehört der Welt.» Zwei Cent kostete laut dem «Arzneimittelbrief» im November 1923 eine Einheit Insulin. Eli Lilly stellte es her, weil die Firma damals von der Universität Toronto in die grosstechnische Produktion einbezogen wurde. 

Fast 100 Jahre später, im März 2023, kündigte Eli Lilly auf ganzseitigen Inseraten in grossen US-Zeitungen an, den Insulinpreis für nicht-krankenversicherte Menschen nun auf 35 Dollar pro Monat zu begrenzen. Das am häufigsten verschriebene Insulin der Firma werde ab nächstem Jahr 78 Prozent günstiger. Die Fertigspritzen sollen dann nicht mehr 438 US-Dollar kosten, sondern 96, das 10-Milliliter Fläschchen Insulin anstelle von 292 bloss noch 64 Dollar. Novo Nordisk und Sanofi zogen nach. Sie offerieren bereits jetzt Hilfen für Härtefälle.

Trotz dieser Ankündigung ergriff der US-Bundesstaat Kalifornien die Initiative und bezahlt dem gemeinnützigen Generikahersteller «Civica Rx» nun 100 Millionen Dollar, damit dieser im Auftrag des Staates drei Insuline herstelle und für «höchstens 30 Dollar pro 10-Milliliter Fläschchen» verkaufe. Auch andere, dringend benötigte Medikamente will Kalifornien künftig selbst herstellen lassen. Dazu zählt beispielsweise Naloxon, das als Gegenmittel bei einer Opioidüberdosierung oft lebensrettend ist. Wegen eines Naloxon-Lieferunterbruchs starben einer Schätzung zufolge in den USA im Jahr 2021 etwa 12’000 bis 18’000 Menschen.

Gegründet wurde «Civica Rx» von mehreren Universitäten, Spitälern und weiteren Institutionen um gegen die Versorgungslücken bei Arzneimitteln und hohe Medikamentenpreise anzugehen. «Ein Modell auch für Europa?», fragt «Der Arzneimittelbrief». 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

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Menschenrechte

Genügend zu essen. Gut schlafen. Gesundheit. Grundschule. Keine Diskriminierung. Bewegungsfreiheit. Bürgerrechte

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3 Meinungen

  • am 25.05.2023 um 10:27 Uhr
    Permalink

    So fragwürdig die Vorgehensweisen der Pharma auch ist, wir sprechen hier trotzdem über Symptom- anstatt Ursachenbekämpfung. Wie viel Leid könnte in der Welt verhindert werden, wenn wir die Millionen und Milliarden anstelle von in Behandlung in die Prävention investieren würden. Gesunde Ernährung, Bewegung und Körperbewusstsein. Und ich bin überzeugt, die Menschen wären viel gesünder. Aber es gibt da gewisse Kreise in der Politik und Pharma, die das gerne verhindern.

  • am 25.05.2023 um 21:52 Uhr
    Permalink

    Ich halte diesen Artikel nur bedingt für nützlich, weil die m.E. interessanteste Frage nicht beantwortet wird: wie ist diese Marktbeherrschung möglich? Das funktioniert doch üblicherweise nur über Patente und auf Insulin gibt es keins. Oder habe ich das missverstanden?

    • Portrait Martina Frei 2023
      am 26.05.2023 um 01:00 Uhr
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      @ Hrn. Wacek: Seit Banting das Patent für das Insulin verkauft hat, hat sich einiges getan. Inzwischen gibt es verschiedene Insuline, kurz- und langwirksame, gentechnisch hergestellte Insulinanaloga … hier und hier finden Sie zB eine Übersicht.

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