Grosskonzerne Arztpraxen

Mit ihrer Machtfülle können die Grosshändler Druck ausüben. © studiostoks / Depositphotos

Grosskonzerne kaufen immer mehr Arztpraxen

Martina Frei /  Unabhängige Arztpraxen geraten unter Druck. Grosse Investoren können Medikamenten-Rabatte aushandeln – und selbst einstecken.

Gewinnorientierte Konzerne kaufen Apotheken, Arztpraxen, Reha-Zentren, Physiotherapie-Praxen, Heimpflege-Organisationen und anderes mehr. Einkaufsgemeinschaften gehören ihnen ebenso wie Medikamentenhersteller, Gerätevertriebsfirmen, Daten- und Analyseunternehmen, Firmen, die Infusionen daheim anbieten, sowie Verwaltungen.

In der Medizin passiert derzeit etwas Ähnliches wie im Rohstoffhandel und in der Landwirtschaft: Konzerne weiten ihren Einfluss auf immer grössere Bereiche aus. «Vertikale Integration» lautet der harmlos klingende Begriff. Treffender wäre «vertikale Marktbeherrschung» vom Produzenten bis zum Konsumenten.

Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden seien «alarmiert», berichtete kürzlich das «New England Journal of Medicine» (NEJM). Der Artikel deckt die zunehmende Machtkonzentration auf. Demnach teilen sich in den USA inzwischen nur noch drei Grosshändler den Gesundheitskuchen: McKesson, Cardinal Health und Cencora vereinen 98 Prozent dieses Markts auf sich.

Erst die Krebszentren an sich gerissen …

Die grösste «Management Service Organisation» (MSO) für Arztpraxen, die auf Krebsbehandlungen spezialisiert sind, gehört beispielsweise dem US-Konzern McKesson. Er ist laut «Fortune» das weltweit grösste Unternehmen im Gesundheitsbereich. In den USA belegt es Rang fünf.

Solche MSO erstellen die Rechnungen für die Ärzte, kümmern sich um die elektronische Datenerfassung und IT, ums Personalwesen und um alles Administrative. Seit 2010 hätten die Grosshändler immer mehr ehemals unabhängige onkologische Zentren in ihre Netzwerke eingebunden oder die Aktienmehrheit daran erworben. 

Die onkologischen Zentren sind nicht zuletzt deshalb attraktiv, weil Krebsspezialisten viele extrem teure Arzneimittel verordnen. Die Grosshändler kaufen die Medikamente bei den Fabriken, verhandeln die Preise für grosse Mengen und verkaufen sie an Apotheken, Spitäler und Praxen weiter – mit Gewinnmarge.

… nun schielen sie auf die Augenpraxen

Jetzt expandieren die Grosshandelskonzerne in weitere Fachdisziplinen, berichtet das «NEJM». Cencora etwa habe dieses Jahr 85 Prozent an den «Retina Consultants of America» gekauft. Das ist ein Netzwerk von rund 300 Netzhautspezialisten.

Cardinal Health wiederum erwarb 2024 eine Firma, die für Urologen, Magen-Darm-Spezialisten und Rheumatologen Material und Medikamente einkauft und die Administration erledigt. Wahrscheinlich würden die Grosshändler ihren Einflussbereich in weitere Fachrichtungen ausdehnen, in denen teure Medikamente verordnet werden. 

«Diese zunehmende Integration verändert die Pharmamärkte und schafft sowohl potenzielle Effizienzgewinne als auch potenzielle Schäden», warnen die beiden Autoren des «NEJM»-Artikels.

So könnten die Grosshändler zwar einerseits tiefere Preise bei Medikamenten für ihre Praxen aushandeln und durch effizienteres Management Kosten sparen. 

Andererseits habe sich bisher gezeigt, dass die von ihnen aufgekauften Praxen den Patienten höhere Rechnungen stellten als vorher. «Studien fanden im Allgemeinen keinen Zusammenhang zwischen vertikaler Integration im Gesundheitswesen und Einsparungen auf Seiten der Konsumenten.» Die vertikale Kontrolle des Marktes führe also eher zu höheren Preisen. 

Ärzte unter dem Diktat der Gewinnmaximierung

Beunruhigend sei zudem, dass die Autonomie der Ärzte untergraben werden könnte, wenn diese – etwa mit Vergütungsmodellen – dazu gedrängt werden, Medikamente abzugeben, bei denen besonders viel Profit herausspringt. 

«Wettbewerbswidriges Verhalten, Interessenkonflikte und Einmischung von Unternehmen in die medizinische Praxis» sind nur drei der Probleme, wenn Konzerne überall beteiligt sind.

Die verbleibenden unabhängigen Arztpraxen geraten in diesem Umfeld immer stärker in Bedrängnis. Denn es bestehe ein Anreiz für die Grosshändler, unabhängige Arztpraxen, die beim Kauf von Medikamenten auf den Grosshändler angewiesen seien, «auszupressen».

Durch die Preisdiskriminierung von Seiten der Grosshändler und der Krankenversicherungen würden die (noch) unabhängigen Praxen systematisch ins Hintertreffen geraten. Verwaltungsvorschriften begünstigten die Entwicklung zusätzlich.

Doch die Alternativen – von einer Versicherung, einer Private-Equity-Firma oder einem lokalen Spitalsystem aufgekauft zu werden – seien für die Praxisinhaber möglicherweise auch nicht besser, meinen die Autoren des Artikels im «NEJM».

Die von ihnen beschriebene Entwicklung zeichnet sich in Europa ebenfalls ab. Investitionen in die «zukunftsweisende», «sektorenübergreifende Behandlung» bzw. «vertikale Integration» werden auch für die Schweiz beworben.

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2 Meinungen

  • am 3.11.2025 um 18:37 Uhr
    Permalink

    Handelszeitung Michael Heim, Otto Hostettler und Simon Huwiler 23.10.2025 – 09:20:: «262 Millionen Franken flossen vergangenes Jahr von der Pharmaindustrie ins Schweizer Gesundheitswesen»

    Zur Aussage der Hauptzeile des Artikels: «Grosskonzerne kaufen immer mehr Arztpraxen» Eine Antwort könnte sein, dass die Finanzspezialisten der Grosskonzerne erkannt haben könnten: je mehr Arztpraxen ein Grosskonzern besitzt, desto höher werden die Zahlungen der Pharmagiganten sein, damit die Medikamente verschrieben werden, die hohe Gewinne bringen. Scheint ein lukratives Geschäft zu sein, so lange der Staat und die Krankenversicherten Kohle haben die Gesundheitskosten bezahlen zu können.
    Gunther Kropp, Basel

  • am 3.11.2025 um 21:13 Uhr
    Permalink

    Gemäss HMG & KVG Revision 2016, gültig seit 1.1.2020, müssen die weltweit einzigartig legalisierten Retrozessionen (Rabatte, Kickbacks, Bonifikationen etc.) von den Leistungserbringern, je nach Absprache mit den Kassen zu welchen Anteilen Leistungserbringer & KKs, für die Verbesserung der Behandlungsqualität eingesetzt werden, ansonsten den Kassen vollständig zu überweisen. Diese Rabatte an Leistungserbringer müssen in der Buchhaltung vermerkt, auf Anfrage BAG offen ausgewiesen werden.

    Problematik ist nun die Definition der Behandlungsqualität, weswegen diese Retrozessionen nach wie vor eigenbereichernd eingesackt werden können, ohne tatsächl. einen Patientennutzen – z.B. Q-Sicherung von Indikation & Outcome – zu generieren!

    Zusätzliche Frage: Kontrolliert das BAG die korrekte Verwendung dieser Retrozessionen?!

    Eine Bankrotterklärung Politik/Ärzteschaft, Patienten/Prämienzahler die Betrogenen!

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