Ruanda Bauern Afrika

Frauen und Männer in Ruanda nehmen ihre Kinder zur Arbeit mit. © Depositphotos

Ein Afrika ohne Hunger: Leere Versprechen von Konzernen

Pascal Derungs /  Bis 2022 wollten internationale private Initiativen Afrika aus der Armut befreien. Doch sie sind weitgehend gescheitert.

Die Idee für eine «New Vision for Agriculture» (NVA) entstand 2005 am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Offiziell lanciert wurde sie 2009. «Markt- und innovationsbasierte» Lösungen sollten die landwirtschaftliche Produktion alle zehn Jahre um 20 Prozent erhöhen und gleichzeitig den relativen Treibhausgasausstoss und die ländliche Armut um 20 Prozent reduzieren. Diesen «Transformationsprozess» sollte die Privatwirtschaft vorantreiben. In Vorstand der NVA finden sich 17 Multis aus der Branche, von Agrochemie- und Düngerriesen wie BASF, DuPont oder Yara über Agrarhändler wie Bunge und Cargill bis zu Lebensmittel- und Detailhandelskonzernen wie Nestlé, Coca-Cola und Walmart. Sie formulierten zwei Umsetzungsprogramme: «Grow Asia» und «Grow Africa». Letzteres wurde mit Unterstützung der Afrikanischen Union am WEF 2011 lanciert. 

Das berichtet die Menschenrechtsorganisation Public Eye im Magazin Nr. 39 vom Januar 2023.

10 Milliarden US-Dollar Zusagen für Afrika 

Am G7-Gipfel in Camp David entstand kurz darauf die Initiative «New Alliance for Food Security and Nutrition», kurz «New Alliance». Diese wollte bis 2022 innerhalb von zehn Jahren 50 Millionen Menschen, primär Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, «aus der Armut befreien». Gelingen sollte dies durch die Förderung privater Investitionen in zehn Ländern in Subsahara Afrika, unterstützt durch die G7. Mit dabei: Die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank und die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation. 

«Grow Africa» koordinierte und sammelte die entsprechenden Absichtserklärungen von Unternehmen für solche Investitionen. Laut einem NVA-Bericht entstanden die meisten dieser Erklärungen in einem «intensiven dreimonatigen Prozess», unter anderem auch gesponsert von der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (Usaid). Bald beliefen sich die Zusagen auf mehr als 10 Milliarden US-Dollar. Einige gehen auf afrikanische Firmen zurück. Doch der Grossteil der versprochenen Summen kommt von internationalen Konzernen, allen voran vom norwegischen Düngerkonzern Yara mit 1,5 Milliarden, gefolgt von Syngenta mit einer halben Milliarde. Insgesamt sagten Unternehmen mit Sitz in der Schweiz gegen 900 Millionen US-Dollar zu. Kaum waren die Investitionsversprechen gemacht, regte sich jedoch Widerstand, berichtet Public Eye. 

Nachhaltigkeitsversprechen nur leere Behauptung 

Unzählige afrikanische und internationale Organisationen kritisierten, dass Kleinbäuerinnen und Kleinbauern – also ausgerechnet die Hauptbegünstigten – im Programm keinerlei Stimme haben. Bald wurden in verschiedenen Ländern schwere Vorwürfe von Landaneignung und Menschenrechtsverletzungen erhoben. Der Entwicklungsausschuss des Europäischen Parlaments gab deshalb 2015 einen Bericht in Auftrag, der ein vernichtendes Fazit zog: Die Investitionserklärungen würden «erhebliche Mängel» aufweisen und zudem «fast gar nicht» auf die Notwendigkeit einer nachhaltigeren und von chemischen Inputs unabhängigeren Landwirtschaft eingehen. Sie beruhten insofern auf einem «veralteten Modell der landwirtschaftlichen Entwicklung», zitiert Public Eye. 

Die EU kündigte dem Programm daraufhin die Unterstützung. 2018 zog sich Frankreich daraus zurück, mit der Begründung, die New Alliance sei «zu ideologisch». Es bestehe zudem eine «reale Gefahr von Landaneignung auf Kosten von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern». 

Heute leiden durch die verschiedenen Krisen weltweit so viele Menschen Hunger wie schon lange nicht mehr. 2021 waren es 828 Millionen Kinder, Frauen und Männer. Die Zahl der von akuter Ernährungsunsicherheit Betroffenen ist seit 2019 von 135 auf 345 Millionen Menschen gestiegen. Dies steht in krassem Gegensatz zu den vollmundigen Versprechungen mehrerer internationaler Initiativen mit dem Ziel, eine «nachhaltige Welternährung» zu sichern, sagt Public Eye. 

Konzernumsätze wichtiger als Investitionen 

Je lauter die Kritik, umso stiller wurde es um die «New Alliance». Gemeinsam mit «Grow Africa» sollte sie jährlich über Fortschritte Bericht erstatten. Doch Public Eye konstatiert, dass der letzte im Netz auffindbare Bericht von 2015 stamme. Bis Ende 2014 seien demnach 7 Prozent oder 684 Millionen US-Dollar investiert und 3 Prozent der Absichtserklärungen vollständig umgesetzt worden. Bei 43 Prozent gebe es «Umsetzungsprobleme». Kleinbäuerinnen und Kleinbauern seien laut Bericht primär über den Verkauf von «modernen» Inputs wie Pestiziden und Dünger erreicht worden. Also Produkte, wie sie mehrheitlich von Syngenta und Co. verkauft werden. Das Schicksal der restlichen Zusagen sei unbekannt, schreibt Public Eye. Offiziell wurde das Programm, das bis 2022, also noch sieben Jahre länger laufen sollte, nie beendet. Doch die einschlägigen Websites seien eingeschlafen oder deaktiviert.

Firmen wollen kaum Rechenschaft ablegen

Auf Nachfrage hin habe Public Eye weder beim WEF noch bei «Grow Africa» und ebenso wenig bei der «New Alliance» Antworten zu den ausstehenden Finanzierungs-Zusagen erhalten. Schweigen herrsche auch bei den involvierten Unternehmen aus der Schweiz. Als einzige Firma berichte Swiss Re über konkrete Resultate in den betroffenen Ländern. Barry Callebaut verweise auf sein 2012 lanciertes Kakaonachhaltigkeitsprogramm in Afrika. Inwiefern dieses mit der «New Alliance» zusammenhänge, bleibe auch auf Nachfrage unklar, berichtet Public Eye. Nestlés Beitrag zur «New Alliance» sei «klar durch die eigenen Programme definiert», so die Firma. Sie nennt als Beispiel den Nestlé Cocoa Plan. Syngenta liess verlauten, dass man «kurz davorsteht, die Verpflichtungen zu erfüllen». Von Intervalle, Bunge, Cargill und LDC erhielt Public Eye bis Anfang Januar 2023 keinerlei Rückmeldung. 

Entwicklungshilfe hilft mehr den Konzernen 

Ganz abgesehen von der berechtigten inhaltlichen Kritik stehe in den Sternen, ob der Grossteil der vollmundigen Versprechen überhaupt je umgesetzt worden sei, bilanziert Public Eye. Viele Investitionsversprechen hätten sich offenbar in Luft aufgelöst. Trotzdem habe das Programm reale Auswirkungen. Im Gegenzug für die Zusagen der Unternehmen wurden von den betroffenen afrikanischen Ländern umfassende politische Reformen erwartet. Bis 2015 hätten diese Länder laut Angaben von «New Alliance» und «Grow Africa» denn auch bereits 46 politische Reformen zur «Schaffung eines günstigen Investitionsumfelds», 26 Reformen der Regulierungen zu «Land- und Ressourcenrechten» sowie 34 Änderungen der Saatgut-, Pestizid- oder Düngergesetzgebungen gemeldet. So verpflichteten sich beispielsweise Äthiopien und Nigeria, Landrechtgesetze zugunsten des Eigentums ausländischer Investoren anzupassen, und Tansania passte die Saatgutgesetze an. 

Das sei eher zum Vorteil von Konzernen als von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern geschehen, stellt Public Eye klar. Solche oder ähnliche Reformen werden seit Jahren auch von anderen Akteuren wie der Weltbank oder Industrieverbänden gefördert. Und von der «Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika» (Agra). 

Agra wurde 2006 von der Bill & Melinda Gates Foundation und der Rockefeller Foundation gegründet und verfolgt in Afrika einen ähnlichen Ansatz wie das WEF und die «New Alliance». Sie wollte bis 2020 die Erträge und die Einkommen von Millionen kleinbäuerlichen Familien in elf afrikanischen Ländern verdoppeln und die Ernährungsunsicherheit halbieren – durch Investitionen des Privatsektors. Der Fokus: Produktivitätssteigerung durch Förderung chemischer Inputs. In einem Bericht von 2020 wiesen afrikanische und internationale NGO Agra nach, dass die Ziele grossmehrheitlich nicht erreicht wurden. Stattdessen habe die Ernährungsunsicherheit während der Präsenz von Agra in den betroffenen Ländern schon vor Covid-19 und dem Ukrainekrieg zugenommen, und der Fokus auf – im Resultat bescheidene – Produktivitätssteigerungen bei wenigen Kulturpflanzen wie Mais habe die Ernährungsvielfalt tendenziell verringert. 

Alter Wein in neuen Schläuchen 

Trotz vernichtender Bilanz hat Agra diesen Herbst eine neue Fünfjahresstrategie unter neuem Namen präsentiert: Die «Grüne Revolution» wurde durch «ein nachhaltiges Wachstum für Afrikas Nahrungsmittelsysteme» ersetzt. Vielleicht, so mutmasst Public Eye, um der inzwischen breit anerkannten Tatsache Rechnung zu tragen, dass die sogenannte «Grüne Revolution» – also die seit Mitte des letzten Jahrhunderts proklamierte Produktivitätssteigerung durch die simple Kombination von Hochleistungssaatgut, Pestiziden und Dünger – den heutigen Herausforderungen der Landwirtschaft nicht gewachsen sei. 

Doch auch das neue Programm setze weitgehend auf die alten Rezepte. Das gelte ebenso für das vom WEF 2019 lancierte Programm «Food Action Alliance» (FAA). Dort sind unter anderem mit dabei: Bayer, Syngenta und andere Unternehmen, diverse UN-Organisationen, die Weltbauernorganisation, der WWF International sowie das Schweizer Bundesamt für Landwirtschaft. Die FAA will «Partnerschaften und Investitionen» für nachhaltigere Ernährungssysteme «mobilisieren» und beteiligt sich laut eigenen Angaben an «Agenda-Setting-Prozessen» wie der COP27 und anderen «hochrangigen UN-Treffen».

Nur alter Wein in neuen Schläuchen, vermutet Public Eye. Schon die Erwartung der «New Alliance» von 2012, dass das blosse Mobilisieren privater Investitionen automatisch massgeblich zur Problemlösung beitragen werde, habe sich mit dem offensichtlichen Scheitern des Programms als völlig unberechtigt erwiesen. 

Aus Fehlern nichts gelernt 

Doch das Scheitern habe kaum Folgen gehabt, moniert Public Eye. Viele neue Programme beruhten auf sehr ähnlichen Erwartungen. Auch die Schweizer Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (Deza) setze verstärkt auf Kooperationen mit der Privatwirtschaft, zum Beispiel im Jahr 2021 mit der «Sustainable Development Goal Impact Finance Initiative», bei der auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sowie die Stiftungen der Credit Suisse und der UBS beteiligt sind. Geld und Ideen des «Privatsektors» seien zunehmend gefragt, wenn es um die Bekämpfung von Hunger und Armut oder des Klimawandels gehe – und zwar primär diejenigen von grossen internationalen Unternehmen. So seien UN-Organisationen in den letzten Jahren umfassende strategische Partnerschaften mit dem WEF und Lobbyverbänden der globalen Agrarindustrie eingegangen, die ihre Interessen unter anderem auch am UN-Welternährungsgipfel 2021 prominent eingebracht hätten. 

Die Akteure der «Grünen Revolution» in Afrika: Internationale Verflechtungen 

Verschiedene Programme, die sich in Afrika mehrheitlich für eine agroindustrielle Entwicklung im Sinne einer Grünen Revolution stark machen, sind von einer Reihe internationaler Unternehmen und philanthropischer Stiftungen geprägt. Viele engagieren sich in mehreren Programmen zugleich, und diese arbeiten zum Teil auch untereinander wiederum eng zusammen. In den meisten Programmen sind auch mehrere UN- und andere internationale Organisationen, Bauernverbände sowie vereinzelt lokale Organisationen oder internationale Nichtregierungsorganisationen vertreten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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2 Meinungen

  • am 26.02.2023 um 01:28 Uhr
    Permalink

    Es kommt die Zeit, da fliegt uns dieser Kontinent um die Ohren, ich hoffe nur, dass es dann die richtigen trifft.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 26.02.2023 um 14:29 Uhr
    Permalink

    Afrika ist ein «grosses Land». Die Probleme der «subsistance agriculture» und die Notwendigkeit die ausufernde Verstädterung mit handelbaren Nahrungsmitteln zu versorgen, sind Problemkreise, die kaum vereinbar sind.

    Industrielle Landwirtschaft, welche pro Arbeitskraft, bzw. pro investierten Dollar, maximale Resultate sucht, hat mit traditioneller Landwirtschaft, welche Resultate pro Parzelle, bzw. pro Familie optimieren will, und durch Mischkulturen auch Ernährungsqualität in variablen klimatischen Umständen sichern kann, nichts zu tun.

    Industrielle «inputs» bringen der «subsistence agriculture» wenig oder nur unnötige Schulden. Das ist seit Jahrzehnten bekannt. Verbesserungen lokalen Saatgutes würden hier sehr viel mehr bringen. In der Schweiz wird das seit Jahrzehnten praktiziert. Aber lokal wird das in Afrika kaum gefördert, da es weder Konzerngewinne noch Steuern abwirft…

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