aa.Spieler.Synes.2020

Synes Ernst: Der Spieler © zvg

Der Spieler: Statt «reissen» darf man auch «ablegen» sagen

Synes Ernst. Der Spieler /  Schafe und Wölfe reissen – das Kartenspiel «Wolfpack» greift ein Thema auf, das auch am Spieltisch die Gemüter bewegt.

«Wolfpack» – ein Spiel, wie eigens für die Schweiz gemacht! Wir reissen Schafe und Wölfe und tauchen damit ein in ein Thema, das in unserem Land immer wieder hohe Wellen wirft und die emotionale Temperatur in regelmässigen Abständen in die Höhe schnellen lässt. Schlägt sich dies aber auch in der Atmosphäre nieder, wenn das erste Spiel des jungen Schweizer Verlags «Game Division» auf den Tisch kommt? 

Wer nun erwartet, dass «Wolfpack» mit blutrünstigen Cover- und Kartenillustrationen Aufmerksamkeit wecken und themagerecht auf Stimmung machen würde, wird enttäuscht. Das Spiel kommt in einer weissen Verpackung daher, auf der auf allen sichtbaren Seiten je ein Kopf eines Schafs bzw. eines Wolfs stilisiert in Schwarz abgebildet ist. Der Auftritt wirkt nüchtern-distanziert, gepflegt, kein Massenprodukt. Ebenfalls bewusst minimalistisch illustriert sind die aus hochwertigem Karton produzierten Karten. Nein, da kommen noch keine Emotionen auf. Diese müssen, wenn «Wolfpack» seinem Namen gerecht werden will, aus dem Spiel selber heraus kommen.

Sehr beliebte Gattung

«Wolfpack» ist ein Kartensammel und -ablegespiel. Es gehört damit zu einer bei einem grossen Publikum sehr beliebten Gattung. Wer deren berühmtesten Vertreter, «Uno», kennt – wer tut das nicht? –, kann sich jetzt schon vorstellen, wie unser Wolfspiel abläuft. 

Im Spiel führt jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer ein Rudel von zehn Wölfen. Wem es gehört, ist mit unterschiedlichen Farben gekennzeichnet. Diese Wölfe stellen so etwas wie zehn Leben dar. Verliert man sie, ist man erledigt und scheidet für diese Runde aus dem Spiel. Es empfiehlt sich deshalb dringend, sein Rudel gut im Auge zu behalten.

Eine stolze Menge von Karten

Doch das ist leichter gesagt, als getan. Denn alle Wölfe – bei fünf Teilnehmenden sind dies ingesamt 50 – werden zu Beginn unter die Schafe (=Spielkarten) gemischt. Davon sind für alle am Tisch je 28 im Spiel. Bei einer Fünfer-Runde ergibt das 140 Schafe, mit den 50 Wölfen zusammen eine stolze Menge von total 190 Karten, die vor Spielbeginn in sechs Stapel aufgeteilt und dann in einem Kreis angeordnet werden. In die Mitte des Kreises wird schliesslich noch der Stapel mit den 56 Aktionskarten platziert. Wenn dann noch alle Mitspielerinnen und Mitspieler je drei Spielkarten auf die Hand genommen haben, kann es los gehen.

Aktionskarten bringen Pfeffer ins Spiel

Wer an der Reihe ist, hat verschiedene Aktionsmöglichkeiten: 

  • Man wählt eine beliebige Spielkarte vom Tisch und nimmt sie zu sich. Das kann entweder ein Schaf oder aber ein eigener oder fremder Wolf sein.
  • Man nimmt eine Aktionskarte vom Mittelstapel. Diese kann man entweder auf die Hand nehmen oder aber gleich sofort ausspielen.
  • Man spielt von der Hand eine Aktionskarte aus. 
  • Man wirft zwei Aktionskarten aus der Hand ab und tauscht sie gegen eine neue aus. Diese Möglichkeit ist insofern interessant, weil man nur zwei Aktionskarten auf der Hand haben darf.

Wie bei «Uno» sind es auch hier die Aktionskarten, die Pfeffer ins Spiel bringen. Es gibt Karten mit vier verschiedene Optionen:

  • Schafe reissen: Hat man mehr eigene Wölfe als gegnerische auf der Hand, so kann man mit der entsprechenden Aktionskarte alle Schafe reissen, die man ebenfalls in der Hand hält. Wer es nicht so blutrünstig mag, sagt statt «reissen» einfach «ablegen». Das ändert nichts am Spiel. Pro abgelegtes Schaf gibt es einen Siegpunkt.
  • Wölfe reissen: Spielt man eine Aktionskarte aus, auf der ein Wolf abgebildet ist, kann man alle fremden Wölfe, die man auf der Hand hat, reissen. In der Schlussabrechnung zählt ein Wolf drei Punkte, bringt also mehr als ein totes Schaf.
  • Karten stehlen: Diese Aktionskarte erlaubt mir, von allen Mitspielenden je eine Karte zu stehlen und auf die eigene Hand zu nehmen.
  • Karten tauschen: Alle Mitspielenden geben ihre ganze Kartenhand nach rechts oder links weiter. Die Richtung bestimmt der Spieler, der die Aktionskarte gespielt hat.

Besonderheit bei der Wertung

Bemerkt man, dass die zehn Wölfe seiner Farbe gerissen worden sind, scheidet man aus dem Spiel aus, behält aber seine Karten noch auf der Hand. Die übrigen spielen weiter, bis alle Spielkarten (Schafe und Wölfe) von den sechs Stapeln aufgenommen worden sind. Dann endet das Spiel sofort. Bei der Berechnung der Punkte (drei für jeden Wolf, einen für jedes Schaf) wartet «Wolfpack» mit einer Besonderheit auf: Schafe, die man bei Spielende noch übrig hat, gibt man an den Spieler weiter, von dem man noch am meisten Wölfe in der Hand hält. Das ergibt für diesen zusätzliche Wertungspunkte.

Von der Kartenmenge, die im Spiel ist, darf man sich nicht abschrecken lassen. Denn «Wolfpack» ist klar strukturiert, sein Mechanismus eingängig, der Ablauf schnell erlernbar. Das heisst jedoch noch lange nicht, dass man das Geschehen ebenso leicht in den Griff bekommt. Ob das überhaupt möglich ist? Ich bezweifle es. 

Hoher Glücksfaktor

Denn der Glücksfaktor ist enorm hoch. Kaum glaubt man eine Strategie herausgefunden zu haben, wie man sicher und ungestört Schafe und vor allem Wölfe reissen kann, schlägt der Zufall gnadenlos zu: Entweder spielt jemand die Aktionskarte «Tauschen» aus, und schon wandert meine Kartenhand, von der ich mir einiges erhofft habe, zu meiner linken Nachbarin, und ich bekomme stattdessen von meinem Nachbarn zur Rechten eine einzige schäbige Schafkarte, mit der ich im Moment nichts anfangen kann. Verdammte Rotation! Oder ein anderer Mitspieler klaut mir mit Hilfe der entsprechenden «Stehlen»-Karte ausgerechnet die wohlgehütete Aktionskarte von der Hand, die mir erlaubt hätte, vier fremde Wölfe zu reissen. Und schon sind 12 mögliche Siegpunkte futsch, welch ein Pech! 

Die Jagd auf Wölfe und Schafe ist gespickt mit kleinen Fiesheiten, Erfolgserlebnissen, Tiefschlägen, Jubel und Frust, freudigen und bösen Überraschungen noch und noch. Dieses emotionale Wechselbad macht den Reiz des Spiels aus. Damit könnte «Wolfpack» bei Menschen punkten, die es mögen, wenn es am Spieltisch drunter und drüber geht, also in Gruppen mit Kindern ab zehn Jahren oder mit Menschen, die sich beim Spielen mit eher leichterer Kost unterhalten wollen. Für Vielspieler mit einer Vorliebe für Taktik und Strategie ist «Wolfpack» jedoch eher nicht gedacht.

«Wolfpack» hat eine Schwäche: Weil einerseits die Zahl der Aktionsmöglichkeiten sehr begrenzt ist und andererseits die Menge der Karten sehr hoch, verläuft das Spiel über weite Strecken recht monoton und langfädig. Um mehr Spannung reinzubringen, haben wir in unseren Runden die Zahl der Schafkarten pro Mitspielenden von 28 auf 20 reduziert. Mit dieser kleinen Veränderung im Verhältnis von Schaf- zu Aktionskarten gewann «Wolfpack» prompt an Tempo und Dynamik.

Am Markt vorbei kalkuliert

Das Spiel ist zwar aufwändig gestaltet und sorgfältig produziert. Das aber rechtfertigt den hohen Verkaufspreis nicht. «Wolfpack» kostet im Detailhandel 49 Franken. Das ist das Vierfache dessen, was ein Kartenspiel normalerweise kostet. Selbst ein aussergewöhnliches Kartenspiel, wie etwa «Fantastische Reiche», ist für knapp über 20 Franken zu haben. Wenn der Verlag gemeint hat, mit edler Aufmachung und entsprechendem Preis dem Produkt mehr Aufmerksamkeit (sprich: grosse Auflage) zu verschaffen, war er leider schlecht beraten. Denn mit 49 Franken ist «Wolfpack» am Markt und am Zielpublikum vorbei kalkuliert.

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Wolfpack: Kartensammel- und ablegespiel von Tobias Angelo Kaufmann für zwei bis fünf Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren. Verlag Game Division (Gewerbestrasse 6, 6417 Sattel), Fr. 49.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Synes Ernst ist Spielekritiker und beratendes Mitglied der Jury «Spiel des Jahres».
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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