Kommentar

Der Mörder steht immer draussen vor der Tür

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Jürgmeier /  Ohne Eingangsschleusen und Zutrittskontrollen gelangt man heute nicht mehr in ein Amt. Der Autor macht sich darüber seine Gedanken.

Hätte ich mich, damals, als Wiedergänger derer entworfen, die eine letztlich kleine Welt für wenige Minuten beherrschen und in lebenslängliche Verzweiflung stürzen, ich würde den verpassten Gelegenheiten vergangener Tage nachtrauern. Zehn Jahre nach Leibachers Zugerminuten ist es auch in Zürich endgültig vorbei damit, dass ich einfach in Verwaltungsgebäude hineinmarschieren und mich – nachdem ich das Wirrwarr der Gänge erfolgreich durchstiegen, ein paar unbekannte Angestellte gegrüsst, die mir freundlich zugenickt – an einen dieser Tische setzen kann, an denen ich wegen meiner momentanen Tätigkeiten zuweilen Besprechun-gen und Sitzungen absolviere.

Spätestens seit letztem Jahr, 2012, muss ich mich bei Empfangsschleusen oder Logen melden, wo ich von jemandem aus dem Amt persönlich abgeholt oder, wenn mein Name auf einer beglaubigten Liste gefunden wird, von den privaten Sicherheitsmenschen ins Verwaltungslabyrinth durchgewinkt werde, wo ich mich dann selber zurechtfinden muss. Seit ich in meiner Jugend bei der Nennung meines Namens – «Meier wie Eier» – mehrmals mit einem Das-kann-ja-jeder-Sagen abgespeist oder bei der Reservation eines Tennisplatzes gefragt wurde, ob ich keinen anderen hätte, nenne ich immer meinen ganzen Namen und schiebe, wenn der über Listen flitzende Sicherheitsfinger nicht gleich fündig wird, ein «in einem Wort» nach.

Erfolgreiche Sitzung, Herr Meier

Hilft auch das nicht, weil irgendjemand vergessen hat, eine vollständige Liste der Gruppe, die sich um XX im Raum YY trifft, zu erstellen und den Herren beziehungsweise Damen mit dem argwöhnischen Blick zukommen zu lassen, beginnt ein hektisches Herumtelefonieren, bis mir doch noch mit einem «Erfolgreiche Sitzung, Herr Meier» das Glastüre-Drehkreuz-Gatter geöffnet wird.

Weil es (bisher) noch immer gelungen ist, mich als ungefährliches Subjekt zu identifizieren, obwohl ich – und jetzt bringe ich die Sicherheitsbeauftragten SiBe womöglich auf dumme Gedanken – weder auf Waffen gefilzt noch meine Identität durch Papiere oder Biometrie überprüft wurde. Bin ich der, der ich zu sein behaupte, oder gebe ich mich nur als Jürgmeier aus, von dem ich weiss, dass er im Moment verhindert ist, weil er ein Referat in der Pädagogischen Hochschule Bern hält, sich in alles verdrängenden Leidenschaftlichkeiten verliert oder von mir gefesselt&geknebelt in einem Heizungskeller abgelegt worden ist?

Auch bei uns wird aufgerüstet

Nach jedem Amoklauf oder Attentat in dem Teil der Welt, dem wir uns verbunden fühlen – die Brutalitäten der Schwarzen&Gelben gegenüber ihresgleichen beunruhigen uns nicht -, wird auch bei uns aufgerüstet beziehungsweise beklagt, dass, beispielsweise, in unseren Schulhäusern noch «nicht alle Zimmertüren mit Panikschlössern ausgestattet»(1) sind, das heisst «Schlössern, die von aussen nicht geöffnet werden können». Denn wir gehen generell davon aus, dass der Mörder immer da steht, wo in den letzten Dezembertagen auch Christkind und das neue Jahr warten – draussen vor der Tür. Wenn das nur gut geht.

Wider jede Vernunft und Erfahrung glauben wir, dass wir in den eigenen vier Wänden sicher, in dunklen (Märchen-) Wäldern aber in Gefahr sind; dass wir bei unseresgleichen, Wahl- sowie anderen Verwandten und SchweizerInnen geborgen sind, dass die Bedrohung immer von Fremden ausgeht. Bereits nach fünf Minuten bitten wir den Zugpassagier – der sich als erster in unser Abteil gedrängt hat und uns aufgrund eines kurzen Gesprächs über das Wetter beziehungsweise den neusten Anzug von Karl Lagerfeld schon richtig vertraut geworden scheint – den Koffer mit all unseren Wertsachen zu beaufsichtigen.

Die Illusion einer sicheren Welt

So wie die unbekannte Frau, die mich am Greifensee fragt, ob ich auf ihre Kleider aufpassen würde, so lange wie ich schwimme sie nicht, sie sei in fünf Minuten zurück. Weil sie verhindern will, dass sie, mit nassen Haaren aus dem Wasser steigend, im Bikini nach Hause laufen und darauf hoffen muss, dass der Nachbar mit ihrem Drittschlüssel in den Skischuhen zu Hause ist. Dass ich mir ihren karierten Rock als Geburtstagsgeschenk für meine Cousine väterlicherseits schnappe und abhaue, während sie im sommerwarmen Wasser plantscht, befürchtet sie offensichtlich keinen Moment. Wir brauchen die Illusion einer sicheren Welt, den (wie lange auch immer) Bekannten unterstellen und wollen wir nichts Böses, wir sind die, denen mann&frau einen Koffer voller UBS-Aktien anvertrauen kann.

Wollte ich künftig dem kränkenden Generalverdacht beim Eingang zu öffentlichen Gebäuden – die ja irgendwie auch mir als Steuerzahler gehören – entgehen, ich müsste mich einem kommunen Bewerbungsverfahren unterziehen, um vom Bürger zum Staatsangestellten B&B (2) befördert zu werden. Mit einem funktionierenden Badge wird an der Schleuse jede&jeder in den Status des integren Menschen erhoben, dem das Sesam-öffne-Dich freien Zutritt zu den Korridoren verschafft, an die sich vertrauensselig auch die Büros von RegierungsrätInnen und AmtsdirektorInnen schmiegen. Denn der Amokläufer steht immer draussen vor der Tür. Da, wo sich PolitikerInnen gerne unters Volk mischen.

Fragen über Fragen

Aber was, wenn der Mörder (oder die Mörderin) schon im Haus, als unbescholtener Staatsangestellter unbehelligt, mit der Pistole im Rucksäckli, ins Amt marschiert ist, wo er diese für den unangekündigten Tag zwischen Radiergummi und Computermäusen deponiert hat? Haben die vertrauten Angestellten nicht mindestens so viele Wutgründe gegenüber RegierungsrätInnen und anderen ChefInnen wie die unbekannten BürgerInnen? Wie viele Menschen wurden in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten bei einem Amoklauf getötet? Wie viele von Unbekannten? Wie viele bei einem so genannten Beziehungs- oder Familiendrama? Wie viele von Vertrauten und Geliebten? Müssten also auch vor unseren Wohnhäusern Eingangskontrollen eingerichtet werden? Und wer wäre am Ende drinnen, wer draussen?

–––

(1) «Tages-Anzeiger» 18. Dezember 2012
(2) Beamtenversicherungskasse BVK und Badge


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Eine Meinung zu

  • am 13.01.2013 um 13:30 Uhr
    Permalink

    Ja, wer ist drinnen und wer draussen?
    Wer gehört – hätten wir denn entsprechende Kriterien – wohin?

    Wenn man selber schon mal bedroht wurde, werden die Fragen akut: drücke ich einfach auf, wenns klingelt? Gegensprechanlage? Videoüberwachung. Meine Firma wurde einmal bedroht (ich komme mit einer Kalaschnikov und knalle Euch ab) – seit dann ist es vorbei mit der souveränen Gelassenheit.
    Dasselbe Problem haben die Politiker: Wenn sie nichts tun, wenn sie die Kontrollen nicht verschärfen, und es passiert etwas – wer trägt die Verantwortung?
    Ich habe keine Lösung, aber Sicherheitschleusen werden nicht verhindern können, dass Wahnsinnige zuschlagen, wenn sie sich das in den Kopf gesetzt haben.
    Es ist dann wohl einfach Schicksal, Teil des Risikos, dass wir leben und wie wir leben.

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