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Wie stark strahlen Smartphones und Tablets? Drei Kinder mit einem iPad. © Harrison Haines

Gerätestrahlung: Bundesrat stemmt sich gegen Kontrolle

Pascal Sigg /  Über 40 Mobiltelefone fielen bisher durch französische Sicherheitstests. Die Schweiz schaut weiterhin ganz bewusst weg.

Vor wenigen Monaten machte auch in der Schweiz Schlagzeilen, dass das iPhone 12 von Apple durch die französischen Tests rasselte. Die ANFR reagierte auch darauf mit einem Rückruf. Apple hat seither zwar ein Softwareupdate angeboten, womit das Gerät in Frankreich wieder zugelassen ist.

Belgien, Deutschland und Italien, welche das Update ebenfalls verlangten, erhielten es jedoch nicht. Und auch Schweizer Nutzende haben keines erhalten. Dies bestätigte ein Apple-Sprecher gegenüber Infosperber. Damit wäre das Gerät hierzulande eigentlich nicht marktkonform.

Ein Sprecher des Bundesamts für Kommunikation (BAKOM) schrieb Infosperber: «Die Schweiz hat von Apple kein Update verlangt.» Sie warte, wie andere EU-Staaten auch, auf einen Entscheid der EU-Kommission zur Übernahme der französischen Konformitätsbewertung. Apple sagte, das Resultat sei auf das besondere französische Testprotokoll zurückzuführen.

Insider sind von diesem Argument nicht überzeugt. Frankreich ist das einzige europäische Land, welches systematisch testet (Infosperber berichtete). Der emeritierte ETH-Professor Niels Kuster, welcher mit der Firma SPEAG die Messanlagen entwickelt und vertreibt, sagte Infosperber: «Dass Apple das Update nur auf in Frankreich registrierten Geräten installieren musste, hat viele in Europa überrascht.»

Vor wenigen Tagen fiel mit dem Smartphone Emporia Smart 4 ein weiteres Gerät durch die französischen Tests. Die Agence nationale des fréquences (ANFR) verlangte vom Hersteller Emporia kürzlich, dass er das Smartphone vom Markt nimmt. Die staatliche Agentur verlangt gemäss Mitteilung, dass die Händler die Geräte aus den Regalen nehmen, auch wenn keine entsprechende Anweisung des Herstellers Emporia vorliegt. Gemäss der NGO Phonegate Alert ist dieses Modell das 46. Mobiltelefon, das als gefährlich identifiziert wurde. Die Organisation ist der Meinung, dass es den Grenzwert gar ums Vierfache überschritten habe.

Bund nimmt Risiken seit Jahren in Kauf

Dass die Schweiz irgendwie auf französische Warnungen reagiert, scheint vorerst aber ausgeschlossen. Eigentlich besteht zwischen der Schweiz und EU-Ländern wie Frankreich ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen.

Doch nun ist klar: Bei mobilen Geräten wie Smartphones, Tablets oder Laptops schaut der Bund weg. Ein Sprecher des Bundesamts für Kommunikation (BAKOM) antwortete auf Infosperber-Anfrage: «Es gibt keine Marktüberwachung von Produkten hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Auswirkungen durch nichtionisierende Strahlung.» Der Bundesrat nimmt mögliche Gesundheitsrisiken nämlich bewusst in Kauf. Und zwar seit Jahren.

Nach Bekanntwerden des Phonegate-Skandals (Infosperber berichtete) reichten zuerst die Nationalrätinnen Silva Semadeni (SP/GR) und später Martina Munz (SP/Schaffhausen) Interpellationen zur Strahlung mobiler Endgeräte ein. Auf letztere antwortete der Bundesrat: «Der Bundesrat ist bereit, bis Ende 2020 die Situation bei den Mobiltelefonen und anderer ähnlich strahlenden Geräten neu beurteilen zu lassen und, soweit nötig, den Vollzug zu intensivieren.»

Er suggerierte auch, dass es eigentlich eine zuständige Stelle gäbe, indem er schrieb: «Die zuständigen Vollzugsbehörden können bereits heute bei Produkten, die die Sicherheit oder Gesundheit der Verwenderinnen und Verwender oder Dritter gefährden, das weitere Inverkehrbringen verbieten.»

Starkstrominspektorat ist zuständig – und doch nicht

Doch nach dem iPhone 12-Aufschrei wollte Marionna Schlatter erneut vom Bundesrat wissen: Wer ist denn nun hierzulande für die Marktüberwachung bei strahlenden Geräten zuständig?

Die Antwort tönte diesmal etwas anders. Der Bundesrat schrieb Ende November 2023: Eigentlich wäre das Eidgenössische Starkstrominspektorat (ESTI) dafür eingesetzt. Dieses könne seine Aufgabe aber nicht wahrnehmen. Als Gründe nennt er eine fehlende gesetzliche Grundlage im Bundesgesetz betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen sowie fehlendes nötiges Fachwissen hinsichtlich der Messung von Expositionen durch nicht-ionisierende Strahlung.

Auf Infosperber-Anfrage heisst es vom ESTI eindeutig: «Mobiltelefone fallen nicht in den Kompetenzbereich des ESTI.» Das Starkstrominspektorat – übrigens im Fachverband Electrosuisse angesiedelt – kümmert sich schlicht nicht um elektromagnetische Strahlung, sondern eher um brennende Akkus. Medienanfragen an die Bundesverwaltung beantwortet das BAKOM.

Geräte sind grössere Strahlungsquellen als Antennen

Für mögliche Gesundheitsrisiken von Antennenstrahlung ist in der Bundesverwaltung das Bundesamt für Umwelt zuständig; für Risiken von Gerätestrahlung das Bundesamt für Gesundheit. Dessen Aufgabe beschränkt sich allerdings auf das Publizieren von Faktenblättern.

Experten weisen immer wieder darauf hin, dass die elektromagnetische Strahlung, welche von Endgeräten ausgeht, stärker sei als diejenige von Antennen. Auf der 5G-Info-Plattform des Bundes beispielsweise steht: «Die Strahlung während eines Gesprächs mit dem eigenen Mobiltelefon führt im Vergleich zu allen anderen Strahlungsquellen zur höchsten Belastung.»

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Der Grossteil der Strahlung kommt aus eigenen Quellen. Grafik: BAFU

Deshalb wird Antennenstrahlung immer wieder der Gerätestrahlung gegenübergestellt. Für erstere sind die Mobilfunkanbieter zuständig, sie unterliegt gewissen Grenzwerten und Kontrollen. Letztere ist hauptsächlich durch die individuelle Nutzung bestimmt. Auch hier existieren Grenzwerte, für deren Einhaltung die Hersteller zuständig sind. Regelmässige unabhängige Kontrollen führt mit Ausnahme Frankreichs kein Land durch. So ist die Strahlenbelastung vor allem durch die individuelle Nutzung beeinflusst: Legt man den Laptop in den Schoss? Hält man das Handy ans Ohr?

Deshalb argumentieren die Mobilfunkanbieter immer wieder, dass die Hauptverantwortung für die Strahlenbelastung nicht etwa bei ihnen, sondern vor allem bei den Nutzerinnen und Nutzern selbst liege. Messungen in Zügen oder Trams zeigen jedoch auch, dass ein beachtlicher Teil der gemessenen Strahlung von Geräten anderer Reisender stammt.

Bundesrat will trotz «Vollzugslücke» nichts tun

Doch klar ist nun: Den Bundesrat interessiert diese Strahlung noch weniger als die Antennenstrahlung, obschon es auch hier Grenzwerte gibt, die auch bei Einhaltung nur ungenügend schützen dürften. Im aktuellsten BAG-Faktenblatt steht nämlich: «Bezüglich gesundheitlicher Auswirkungen bei langfristiger Belastung durch hochfrequente Strahlung von Mobiltelefonen bestehen noch Unsicherheiten». Das BAG empfiehlt deshalb, mit Kopfhörern oder einer drahtlosen Freisprecheinrichtung zu telefonieren.

In einer Übersichtsstudie forderten prominente US-amerikanische Forschende kürzlich, dass Kinder vor jeglicher elektromagnetischer Strahlung, die ihnen nicht direkt nützt, geschützt werden sollen. Es sei nachgewiesen, dass die vielerorts benutzten Strahlengrenzwerte insbesondere Kinder nicht genügend vor Gesundheitsrisiken schützten (Infosperber berichtete).

Die NGO «Phonegate Alert» übt in Frankreich laufend Druck auf die Behörden aus, damit diese die Messungen seriös durchführen (Infosperber berichtete). Sie ist deshalb auch jene Organisation, welche sich am wirkungsvollsten für Schweizer SmartphonenutzerInnen einsetzt. Ihr Gründer, der Arzt Marc Arazi, sagte über die Haltung des Bundesrates vor wenigen Tagen: «Wir fordern die Schweizer Behörden zu schnellstmöglichem Handeln auf. Es ist ihre Pflicht, sicherzustellen, dass alles getan wird, dass Mobiltelefon-Hersteller die Sicherheitsstandards einhalten, was schon zu viele Jahre nicht der Fall ist.»

Nationalrätin Marionna Schlatter verlangt in ihrer Motion, dass der Bundesrat eine Marktüberwachungsbehörde bestimmt, welche Endgeräte, die nicht-ionisierende Strahlung abgeben, auf die Einhaltung der Grenzwerte prüft.

Der Bundesrat anerkennt zwar eine «Vollzugslücke» bei der Gerätestrahlung. Aber: «Aus Kosten-/Nutzenüberlegungen und aufgrund der Bundesfinanzlage können die notwendigen Ressourcen momentan nicht bereitgestellt werden. Es soll daher aktuell auf eine Marktüberwachung verzichtet werden.»

Erstaunen über Inkonsequenz

Schlatter ist über die Antwort des Bundesrats erstaunt. «Offensichtlich ist der Bundesrat davon ausgegangen, dass er mit der jahrelangen Suche nach einer zuständigen Behörde die Sache einfach unter dem Tisch verschwinden lassen kann. Dass er ausgerechnet jetzt sagt, er verzichte auf Kontrollen, halte ich für – sagen wir mal – mutig.»

Sie schreibt Infosperber auch, dass sie die Kosten/Nutzen-Argumentation «absurd» finde. «Die Haltung des Bundesrates ist nicht mit dem Vorsorgeprinzip vereinbar. Grenzwerte funktionieren nur, wenn sie kontrolliert werden. Sonst könnte man ja gleich auf die Abgaskontrollen bei Autos verzichten. Der Bundesrat sagt mit seiner Antwort klar: Er hält die Grenzwerte für unnötig. Dies ist umso erstaunlicher, weil bei der Diskussion um die Strahlungsgrenzwerte von Mobilfunkantennen regelmässig argumentiert wird, die grösste Strahlung komme vom Endgerät. Weshalb also genau hier auf die Kontrolle verzichtet werden soll, ist für mich nicht nachvollziehbar.»

Auch ExpertInnen sind dieser Ansicht. Der Umweltepidemiologe Martin Röösli, Professor am Basler Tropen- und Public Health-Institut und Leiter der bundeseigenen ExpertInnengruppe BERENIS sagt gegenüber Infosperber: «Dass bei der Gerätestrahlung kein Vorsorgeprinzip existiert, ist nicht konsequent.»

Wann der Nationalrat Schlatters Motion behandeln wird, ist noch unklar.

So können Sie sich schützen

Die französische NGO «Phonegate Alert» gibt folgende Empfehlungen zum Schutz vor Gerätestrahlung ab:

  1. Vermeiden Sie direkten Körperkontakt mit dem Gerät: nicht in Hosen- oder Hemdentaschen, Büstenhaltern oder dergleichen tragen, nicht mit dem Gerät am Ohr telefonieren (Kopfhörer oder Freisprechfunktion benutzen).
  2. Nutzen Sie das Gerät nur wenn nötig: über Nacht ausschalten, in grossem Abstand vom Körper halten (tagsüber auf dem Schreibtisch oder in einer Handtasche oder Rucksack), wenn möglich nicht unterwegs und bei schlechtem Empfang nutzen.
  3. Schützen Sie sensible Menschen: Kinder so lange wie möglich von mobilen Geräten fernhalten, so wenig Nutzung wie möglich durch Schwangere, Herzpatienten sollten besonders vorsichtig sein.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Langzeitwirkungen bleiben unerforscht. Offene Fragen öffnen Raum für Mutmassungen und Angstmacherei.

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

6 Meinungen

  • am 19.01.2024 um 12:01 Uhr
    Permalink

    Info Sperber könnte eine Liste der Handys veröffentlichen mit den Strahlenwerten. Oder geht das nicht? Eine Liste der unschädlicheren Handys und den schädlichen?

  • am 19.01.2024 um 12:15 Uhr
    Permalink

    Traurig wie unsere Regierung (seien es National-, Ständer- und Bundesrat) an unseren Bedürfnissen vorbeiregiert.
    Ich kann nachvollziehen, dass wes Brot ich ess, des Lied ich sing und genau da ist das Übel zu finden.
    Der Bundesrat hat die Konzessionen für 5G teuer verscherbelt, jetzt muss er sein versprechen erfüllen und die Mobilfunkanbieter machen lassen – an wen wende ich mich denn mit einem Hirntumor. Dann heisst’s dann wohl «beweise zuerst, dass dies vom Handy kommt» bzw. «das konnten wir damals nicht wissen* oder mein Favorit von Herrn Berset «isch abe su sehr vertraut die Wissenschaft».
    Und so läuft’s wo man hinschaut – die Glyphosat-Prüfkommission besteht mehrheitlich aus Bayer-Mitarbeitern – allfällige CoVid-Impfprobleme sollen die Hersteller prüfen – der Rückbau der Atomkraftwerke dürfen wir berappen, etc.
    Alles ein mieser, dichter Filzteppich mit null Integrität und Loyalität zum Arbeitgeber, die übrigens wir wären, das Stimmvolk.
    Dranbleiben infosperber & Frau Schlatter

  • am 19.01.2024 um 13:15 Uhr
    Permalink

    Einmal mehr muss man feststellen, wie der Bundesrat das Finanzkartell (hier insb. die Apple-Investoren, darunter bestimmt einige PK) sowie die Händler schützt. Die Risiken für die Benutzer eines problematischen Geräts kommen da an letzter Stelle.

  • am 19.01.2024 um 15:56 Uhr
    Permalink

    Interessanter Artikel. Allerdings sind die meisten der bei PhoneGateAlert aufgeführten Geräte zwischen 3 und 5 Jahre alt und/oder in der Schweiz gar nicht erhältlich.

  • am 22.01.2024 um 07:44 Uhr
    Permalink

    Warum weigert sich die Mehrheit der Menschen nicht, diese Geräte zu benützen?
    Im Gegenteil, jetzt braucht man sie sogar noch zum Bezahlen. Dabei wäre Bargeld anonym und billiger.
    Warum setzen wir uns solcher Unbill aus? Ist es die Bequemlichkeit? Warum muss der Bund uns schützen?
    Es gibt eine Möglichkeit ein wenig Freiheit zu behalten und uns vor dem Elektrosmog und anderen negativen Auswirkungen der neuen Technologien zu bewahren.
    Wir könnten eigenverantwortlich entsprechend entscheiden.

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