Treibt die Einwanderung die Prämien in die Höhe: Ja oder nein?

Die Einwanderung sei schuld an den explodierenden Gesundheitskosten, verbreitet die SVP. «Zuwanderer sollen nicht länger von unserem System profitieren», steht in grossen Buchstaben auf der SVP-Webseite. Die «Asylmigranten» würden «erwiesenermassen höhere Kosten verursachen als der Rest der Bevölkerung». Deshalb möchte die SVP die Zuwanderer an den höheren Kosten beteiligen und die «Leistungen für Asylanten» einschränken.
Vorweg eine erste Einordnung: Zum Wachstum der Bevölkerung tragen Asylsuchende nur mit rund 7 Prozent bei. Zusammen mit den Einwanderern aus der Ukraine waren es in den letzten Jahren 12 Prozent. Die allermeisten Zuwanderer kommen als Arbeitskräfte und Familienangehörige aus EU-Ländern.
Prämien stiegen fast sechsmal so schnell wie die Bevölkerung

Bundesamt für Statistik und Winterthurer Gesundheitsökonomen
Die Zuwanderung und das damit verbundene Wachstum der Bevölkerung würden die Krankenkassenprämien nicht erhöhen, behauptete Tamedia-Redaktor Iwan Städler im Juli. Im Gegenteil: «Ausländische Versicherte verursachen 28 Prozent weniger Kosten», lautete seine Schlagzeile.

Das Bundesamt für Statistik (BFS) habe nachgewiesen, dass ausländische Versicherte die Krankenkassen weniger belasten als schweizerische.
Redaktor Fabian Renz doppelte kürzlich nach und titelte in Tamedia-Zeitungen: «Wir brauchen Zuwanderung für unsere Krankenkassen.»

Neben dem BFS erwähnte Renz auch Zürcher Gesundheitsökonomen, die unlängst zum Schluss gekommen seien, dass die Zuwanderung das Prämienwachstum sogar eher dämpfe.
Tatsächlich kamen Zürcher Gesundheitsökonomen um Professor Simon Wieser vom Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie in einem Artikel zum Schluss, dass die Zuwanderung und das damit ausgelöste Wachstum der Bevölkerung die durchschnittlichen Prämien für alle eher senke.
Professor Simon Wieser bezieht sich auf den Zeitraum von 2012 bis 2017. In dieser Zeit sei «das Bevölkerungswachstum mit einem Gewicht von fast einem Drittel ein wichtiger Kostenfaktor» für das Wachstum der Kosten gewesen. Doch die stark gestiegenen Kosten hätten sich dank der Zuwanderung auf viel mehr Köpfe verteilt: «Und die Zugewanderten müssen ja auch Prämien zahlen.» Und weil Ausländerinnen und Ausländer pro Kopf weniger kosten, komme er «eher» zum Schluss, dass «die Zuwanderung das Prämienwachstum bremst».
Auch das Bundesamt für Statistik stellte im Sommer 2025 fest, dass Ausländerinnen und Ausländer im Zeitraum 2019 bis 2022 pro Kopf weniger laufende Gesundheitskosten verursachten als Versicherte mit Schweizer Pass.
Es ist also korrekt und plausibel, dass Zuwanderer und Ausländer während eines Jahres weniger Gesundheitskosten verursachen als der Durchschnitt der Schweizer Bevölkerung. Denn Ausländerinnen und Ausländer sind durchschnittlich jünger und gesünder als der Durchschnitt der Bevölkerung («Healthy Migrant Effect»). Insgesamt leben 27 Prozent Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz, doch bei den über 80-Jährigen liegt ihr Anteil bei nur 10 Prozent. Es sind jeweils das letzte oder die beiden letzten Lebensjahre, welche mit Abstand die höchsten Gesundheitskosten verursachen.
Wenn man allerdings Ausländerinnen und Ausländer mit Schweizerinnen und Schweizern vergleicht, die gleich alt sind und im gleichen Kanton wohnen, kosten sie die Krankenkassen praktisch gleich viel (genauer gesagt: 0,6 Prozent weniger). Das bestätigte das Bundesamt für Statistik gegenüber Infosperber.
Zu kurzsichtige Analyse
Es ist unbestritten, dass die Zugewanderten die Schweizer Bevölkerung verjüngen. Doch daraus zu folgern, dass die Zugewanderten die Gesundheitskosten pro Kopf und damit die Prämien für alle weniger stark steigen lassen, ist eine zu kurzsichtige Analyse.
Grund: Die Zugewanderten verjüngen keine gleich bleibende Bevölkerung, sondern sie führen dazu, dass die Bevölkerung stark wächst. Seit 2000 nahm die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner um ein ganzes Viertel zu. Das hat gewaltige Investitionen ins Gesundheitssystem erfordert. Die Erweiterung der Kapazitäten kostet erheblich mehr als die Erneuerung bestehender Angebote. Deshalb haben diese Kapazitätserweiterungen dazu beigetragen, die Durchschnittskosten pro Kopf für alle zu erhöhen – auch für die Schweizerinnen und Schweizer.
Professor Wieser lässt ausser acht, dass ein Viertel mehr Einwohner auch viel mehr Spitalkapazitäten erfordert. Einen Teil dieser hohen Investitionskosten können Spitäler mit höheren Preisen den Krankenkassen verrechnen – zu Lasten auch der Prämienzahlenden mit Schweizer Pass. Zusätzlich werden alle Steuerzahlenden belastet, weil Kantone und Gemeinden einen Teil dieser Investitionskosten finanzieren.

Ebenfalls lässt Wieser unberücksichtigt, dass 30-Jährige, die in der Schweiz geboren sind, ihr ganzes Leben lang Prämien zahlten – meistens viel mehr, als sie der Grundversicherung kosteten. Zugewanderte dagegen zahlen erst nach der Einwanderung Prämien, profiteren jedoch sofort von allen Leistungen der Grundversicherung.
Was das Bundesamt für Statistik alles nicht berücksichtigt hat
Das Bundesamt für Statistik, laut dem Zugewanderte während eines Jahres durchschnittlich weniger Gesundheitsausgaben verursachen als der Durchschnitt der Bevölkerung, hat Infosperber folgendes bestätigt:
- Unsere Statistik stellt eine Momentaufnahme der jährlichen Nettokosten über den Zeitraum 2019 bis 2022 dar.
- Die Altersunterschiede sind nicht berücksichtigt.
- Zur Differenz zwischen kumulierten Prämien und kumulierten Kosten können wir uns nicht äussern, da uns die dafür erforderlichen Informationen nicht vorliegen.
- Auf den Verlauf der Migrationsbiografien (Eintritt in das Schweizer Gesundheitssystem, möglicher Austritt bei Pensionierung) sind wir nicht eingegangen.
[Zuwanderer zahlen keine Prämien, bis sie in die Schweiz kommen. Andererseits wandert jeder dritte Zugewanderte laut AHV-Rentenregister und BFS wieder aus, so dass die hohen Gesundheitskosten am Lebensende die Schweizer Prämienzahlenden nicht belasten.] - Nicht berücksichtigt sind allenfalls überdurchschnittlich viele Prämienverbilligungen an Zugewanderte.
- Nicht berücksichtigt sind allenfalls überdurchschnittlich viele Zahlungen der Sozialhilfe an Prämien, Franchisen und Selbstbehalte von Zugewanderten.
- Nicht berücksichtigt sind Folgekosten wie Investitionen für mehr Spitalbetten, Ärzte, Pflegepersonal.
Die Prämien-Momentaufnahme des BFS berücksichtigt auch die Folgen nicht, welche die Zuwanderung auf die Steuerausgaben hat, die für das nötige erweiterte Gesundheitsangebot nötig wurden.
Kosten für Steuerzahlende und für Infrastrukturkosten ausgeblendet
Obwohl sein Beitrag übertitelt ist mit «Steigende Gesundheitskosten – ist die Zuwanderung schuld?», äussert sich auch Professor Wieser vom Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie lediglich dazu, wie die Zuwanderung die Prämien der Krankenkassen beeinflusst. Ebenso wenig wie die Momentaufnahme des BFS berücksichtigt Wieser die Folgen der Zuwanderung auf die Steuerausgaben und auf das Gesamtniveau der Krankenkassenprämien.

Um diese Folgen abzuschätzen, müssten das BFS und das Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie analysieren, wie viel die Zunahme der Bevölkerung um einen Viertel seit 2020 die Steuerzahlenden zusätzlich gekostet hat:
- Ein Teil der Investitionskosten für Spitäler tragen Kantone und einzelne Gemeinden im Rahmen des «Spitalwettbewerbs» selber. Der Spitalverband H+ teilte Infosperber mit: «Wir verfügen als Verband über keine Zahlen und Daten zu den finanziellen Beiträgen von Kantonen und Gemeinden an die einzelnen Spitäler und können auch keine Schätzungen dazu abgeben.»
- Die Zuwanderung erforderte entsprechend mehr Ärztinnen und Ärzte. Seit 2000 hat sich die Zahl der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte laut FMH um 17’386 oder um 69 Prozent auf 42’602 (2024) erhöht. Falls sich die Zahl der Ärzte lediglich im Gleichschritt mit dem Bevölkerungszuwachs erhöht hätte, wären wegen der Zuwanderung 6000 mehr Ärzte nötig gewesen.
Zwei Drittel der neuen Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz haben ihre Ausbildung im Ausland gemacht. Die sechsjährige Ausbildung in der Schweiz kostet die Steuerzahlenden laut Bundesrat rund 640’000 Franken (106’000 Franken pro Jahr). Da bei der Rechnung des Bundesrates auch Forschungskosten dabei seien, beziffert der Verband der Schweizer Medizinstudierenden die Ausbildungskosten von sechs Jahren auf immerhin noch 180’000 Franken.
Die Ausbildung kostet heute etwa fünfmal so viel wie vor 25 Jahren: Einsatz digitaler Lehrmittel, Simulationen, komplexe medizinische Geräte und überproportional gestiegene Infrastrukturkosten. Diese Mehrkosten erhöhen die Kosten und Prämienlast für alle. - Nur 1,9 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer beziehen Sozialhilfe. Diese bezahlt Prämien der Grundversicherung, Franchisen und Selbstbehalte. Bei den Einwohnern mit ausländischem Pass sind es 4,8 Prozent. Die Zugewanderten belasten die Steuerzahlenden erheblich mehr mit diesen Kosten als der Teil der Bevölkerung mit Schweizer Pass.
Fazit:
- Die Aussagen, dass die Zuwanderung das Prämienwachstum pro Kopf eher senkt und die Krankenkassen die Zuwanderung sogar brauchen, halten einem Faktencheck nicht stand.
- Die Aussage, dass die Zuwanderung die Gesundheitskosten pro Kopf in der Schweiz senkt, hält einem Faktencheck ebenfalls nicht stand.
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Tamedia-Redaktor Fabian Renz («Wir brauchen Zuwanderer für die Krankenkassen») und Professor Simon Wieser («Die meisten Argumente sprechen eher dafür, dass die Zuwanderung das Prämienwachstum bremst») haben auf eine Stellungnahme verzichtet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.










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