Sperberauge

Long Covid: Eingliederungserfolg übertrieben dargestellt

Sperber © Bénédicte Sambo

Andres Eberhard /  Die meisten Long Covid-Fälle würden durch die IV wieder eingegliedert, meldete die NZZ am Sonntag. Das ist nicht korrekt.

«Wenige Renten wegen Long Covid», titelte die NZZ am Sonntag in ihrer letzten Ausgabe. Sie berief sich auf Zahlen, welche die IV-Stellen-Konferenz (Dachverband aller IV-Stellen) der Zeitung gegeben hatte. 1777 Personen hätten sich im vergangenen Jahr insgesamt im Zusammenhang mit einer Covid-Erkrankung bei der IV angemeldet. So weit, so korrekt.

Danach hiess es aber: «Rund 80 Prozent dieser 1777 Personen konnten bereits wieder in den Erwerbsprozess eingegliedert werden.» Das klingt nach einem tollen Integrationserfolg. Ist aber gleich doppelt falsch.

Erstens wurde von den 1777 Anmeldungen erst rund ein Drittel bearbeitet, wie die IVSK auf Anfrage präzisiert. Die Aussage, wonach 80 Prozent wieder eingegliedert wurden, bezieht sich lediglich auf diese knapp 600 Fälle. Der Rest wartet noch auf einen Entscheid der IV. In Einzelfällen wurde der Antrag womöglich auch bereits abgelehnt.

Zweiter Fehler: Der Ausdruck «in den Erwerbsprozess eingegliedert» suggeriert, dass es sich um Menschen handelt, die wieder einen Job haben. Das dürfte kaum so sein. Für die IV gilt nämlich bereits als «eingegliedert», wer eine Eingliederungsleistung erhalten hat – das heisst, wer theoretisch aus Sicht der Versicherung in der Lage wäre zu arbeiten. Was nach dem Coaching durch die IV mit den Menschen passiert, wird nicht eruiert – der Fall gilt bei der IV als abgeschlossen.

Ob diese Menschen den Sprung zurück in den ersten Arbeitsmarkt über kurz oder lang tatsächlich schaffen, ist fraglich. Möglich ist auch, dass manche von ihnen mittel- bis langfristig in der Sozialhilfe landen. In solchen Fällen von einem Eingliederungserfolg zu sprechen, wäre natürlich vermessen.

Kein Long-Covid-Tsunami

Richtig ist: Noch weiss niemand, wie viele Long-Covid-Patienten die Rückkehr in den Arbeitsmarkt schaffen. Korrekt scheint ausserdem auch die zweite Botschaft aus dem Bericht der NZZ am Sonntag: Einen Long-Covid-Tsunami wie befürchtet wird die IV wohl nicht erfahren. Die Anmeldungen wegen Long Covid halten sich einigermassen im Rahmen, machen lediglich rund 2 bis 3 Prozent aller Anmeldungen bei der Sozialversicherung aus. Kommt hinzu, dass manche von ihnen sich nicht wegen Long Covid, sondern primär aufgrund anderer Gebrechen angemeldet haben, zusätzlich aber eine Covid-Infektion geltend machten. Da die Statistik unscharf ist, sind die angeblichen Long Covid-Anmeldungen also eher zu hoch. Gleichwohl dürfte sich die IV in nächster Zeit mit Hunderten von Fällen konfrontiert sehen. Wie mit ihnen umzugehen ist, prüft derzeit eine Expertengruppe. Sie erarbeitet Richtlinien für die medizinischen Gutachterinnen und Gutachter, die im Auftrag der IV Versicherte abklären.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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