Sprachlupe: Wo und wie tickt der Kultautomat?

Daniel Goldstein /  Alles und jedes kann heute Kult sein, neuerdings wird sogar ein Kultautomat angepriesen. Spuckt er weitere Kulte aus? Bewahre!

Mit ihrem Kult um die Gottheiten Isis und Osiris haben sich die alten Ägypter, soviel man weiss, mächtig Mühe gegeben, mit Tempeln, Zeremonien und Weltdeutungen. Heute geht Kult viel einfacher, neuerdings sogar mit einem Kultautomaten. So preist ihn die Herstellerfirma an, aber er speit keine Kulte aus, sondern Notportionen für den Magen und andere Körperteile. Er steht an Bahnhöfen und weiteren Profitzentren und bietet demnächst «mit digitalen Screens ein neuartiges Kundenerlebnis». Der Firma scheint nicht bewusst zu sein, dass gerade damit die Kultigkeit gefährdet ist, denn diese mysteriöse Eigenschaft könnte just mit dem Betätigen von Zahlentasten zu tun haben. Noch kultiger wäre eine Wählscheibe wie beim guten alten Wandtelefon.

Kultobjekte ohne Kult

Was in jüngerer Zeit alles als «Kult» gilt, hat mit Gottheiten nur noch gemein, dass darum ein Getue angestellt wird. Das elektronische Archiv SMD zeigt innert weniger Tage in der Schweizer Presse den Zusatz «Kult-» für einen Fussballer, einen Hockeyspieler, zwei Trainer, eine TV-Serie, einen Auswanderer, einen Regisseur, einen Komiker, eine Filmfigur, einen Film, ein Spiel, einen TV-Moderator, eine Maske, eine Fantasiefigur, ein Ausgehlokal und zwei Steinböcke. Das heisst nicht, dass z. B. ein Steinbock-Kult betrieben wird – nein, die beiden Reklametiere und all die anderen «sind Kult». Sie haben (angeblich) viele Fans, aber die dürfen passiv bleiben. Nur für den «Selfie-Kult» und jenen «ums Selbst» muss man mindestens einen Finger rühren.

In Googles gespeicherten deutschen Büchern zeigt der Anteil von «Kult» an allen Wörtern eine erste Spitze um 1890 herum; vermutlich ging es da noch um religiös zumindest angehauchte Kulte. Der jähe Anstieg von 1930 bis 1950 dürfte mit dem Faschismus zusammenhängen; danach wurde es rasch stiller um «Kult». Seit 1990 steigt sein Kurs wieder an, nun wohl wegen der neuen Bedeutung, in der Wikipedia so umschrieben: «…bezeichnet in der Umgangssprache (dem Englischen parallel gebildet) anerkennend eine Qualität, die Kulturphänomene (…) in einem speziellen Anhängerkreis gewinnen können. Der Begriff ist abgeleitet vom religionswissenschaftlichen Begriff Kult», und der kommt wie «Kultur» vom lateinischen «colere», pflegen.

Sekten und Kulte

Dass jemand oder etwas «Kult sein» kann, scheint aus der angelsächsischen Popkultur zu kommen. Man meint das Prädikat meistens anerkennend, aber man kann so einen Kult durchaus auch missbilligen. Über eine heutige (pseudo)religiöse Bewegung gesagt, ist «cult» im Englischen sogar ausgesprochen negativ besetzt. In diesem Sinn nannte Präsident Trump, bevor er mit Diktator Kim Jong-un anbandelte, Nordkoreas Regime «a cult». Der berüchtigtste «cult» war wohl die mörderische Kommune um Charles Manson. Auf Deutsch redet man da eher von einer Sekte, aber das tut man auch bei einer eigenbrötlerischen Gemeinschaft, die (zumindest nach aussen) harmlos ist und auf Englisch ohne Weiteres als «church» durchginge. Dass eine extreme Sekte deutsch Kult genannt wird, ist selten, am ehesten als flüchtige Übersetzung aus dem Englischen zu finden. Ein kurioses sprachliches Eigengewächs ist dagegen «Kult-Sektenführerin Uriella».
Kann man einen Kult, nun wieder bezogen auf ein mehr oder weniger popkulturelles Phänomen, auch herbeischreiben? Die inflationäre Verwendung, die nur schon ein schneller Blick in die Presse aufzeigt, lässt vermuten, dass die Bezeichnung als Kult nicht ausreicht, um einen solchen zu entfachen. Die Person oder Sache muss schon einen besonderen, anziehenden und anhaltenden Reiz verströmen, um so viele Leute in ihren Bann zu schlagen, dass «Kult» mehr ist als ein Reklamegag. Vom «Kultautomaten» ist jedenfalls auch zehn Tage nach der Pressemeldung keine Spur in der SMD zu finden. Nun müsste man nur noch die Kultautomaten in den Köpfen abstellen können, denen Tag für Tag neue «Kulte» um dies oder das entspringen.
© Daniel Goldstein
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

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Portrait_Daniel_Goldstein_2016

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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3 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 23.03.2019 um 10:22 Uhr
    Permalink

    "Kult sein» gab es früher im Sprachgebrauch tatsächlich nicht. Der Theologe Karl Barth und der Autor Reinhold Schneider distanzierten sich, als es noch Mut brauchte, vom «Führerkult». Michael Jackson scheint nicht mehr so stark «Kult» zu sein, eher schon Greta, allerdings klar ein Produkt von Erwachsenen. Blocher andererseits scheint das «Kult"-Verfalldatum schon langsam hinter sich gebracht zu haben, womit man in der Schweiz gut leben kann. Die Meinungsbildung etwa zum Rahmenvertrag mit der Europäischen Union zum Beispiel sollte jenseits des Feindbildes Blocher erfolgen, hat auch nichts mit dem Kult um «Weltoffenheit» zu tun. Wer selber denkt, gilt mit Nachdruck für Junge und zumal Schüler, richtet sich nicht nach dem, was gerade mal «Kult» ist.

  • am 25.03.2019 um 14:42 Uhr
    Permalink

    @ Pirmin Meier: Ich verwahre mich gegen Ihren Seitenhieb auf Kosten von Greta Thunberg ("ein Produkt von Erwachsenen"). Was hat diese Bemerkung unter dem Stichwort «Kult» zu suchen? Wer «auf Greta Thunberg als Person spielt», statt sich mit ihren Anliegen auseinander zu setzen, stellt sich selber ein ziemlich schlechtes Zeugnis bezüglich Lernfähigkeit aus.

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