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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: So kann auch ein schlechter Titel lehrreich sein

Daniel Goldstein /  Wer das Buch «Wie man schlecht schreibt» gelesen hat, hat Chancen, fortan «nicht schlecht» zu schreiben, vielleicht sogar gut.

Über guten Stil beim Schreiben sind viele schlanke Fibeln und dicke Bücher geschrieben worden. Dabei kann es den guten Stil gar nicht geben, denn wie man sich am besten ausdrückt, kommt immer auf die Botschaft und die Kundschaft an. Aber es gibt etliche Merkmale, die weniger geglückte Texte gemeinsam haben. Daher gehört auch das neue Buch «Wie man schlecht schreibt» aufs Regal der Ratgeber für guten Stil. Der Autor Stefan aus dem Siepen, ein höchst belesener deutscher Jurist und Diplomat, schöpft seine Beispiele aus literarischen und philosophischen Werken. Er findet auch bei den renommiertesten Autoren gelegentliche Untugenden. Diese zu vermeiden, lohnt sich gleichermassen, wenn man keine Literatur verfassen will, sondern Gebrauchsprosa vom Vereinsbericht bis zum Ratgeberbuch.

Siebzehn Sünden breitet der Autor aus. Ungeduldig überspringe ich den schlechten Titel und komme gleich zum schlechten Anfang. Gewiss soll man Schlechtes einflechten, wenn man schlecht schreiben will. Für sechs der Schlechtigkeiten ist aus der Siepen nichts Besseres eingefallen, als «schlecht» im Kapiteltitel anzuführen, auch noch bei diesen: Name (wenn für eine Figur erfunden), Relativsatz, Sexschilderung, Vergleich. Und schon bin ich dem schlechten Vorbild aus dem «Grünen Heinrich» gefolgt: «Keller schweift ab, noch ehe es etwas gibt, wovon er abschweifen könnte.» Im Journalismus nennt man so einen Anfang einen Rausschmeisser.

Wo Goethe das Nachsehen hat

Bei den Kapiteln Fremdwort und Unverständlichkeit habe ich mich schon für eine frühere Glosse bedient: «Rätselhafte Kunst im ‹performativen Setting›». Mit diesem Hinweis mache ich mich möglicherweise der Prahlerei schuldig – und darf mich so in der Nachfolge Goethes und Thomas Manns wähnen, die in jenem Kapitel als Paradebeispiele dienen. Freilich: Den beiden ist die Mehrung des eigenen Rufs durchaus gelungen. Bei der Schilderung eines Feuerwerks allerdings fällt Goethe etwas ab. Er lässt sich zwar nicht gerade bei Abstraktheit ertappen, aber aus der Siepen zieht dem nüchtern beschriebenen Feuerwerk im «Werther» eines aus «Seenacht» vor: Hesse zünde dort «das schönste Feuerwerk der deutschen Literatur». Allerdings so ausschweifend, dass es – samt dem Urteil des Schiedsrichters – für meinen Geschmack ins Kapitel Übertreibung oder auch Füllwörter gehört.

Sogar Nachlässigkeit findet der Autor bei Goethe, dort allerdings als löbliche Untugend, denn der Meister «liess gern ein paar Ecken und Kanten stehen, die er mit Leichtigkeit hätte abfeilen können». Da gelte Schopenhauers Regel: «Wer nie einen stilistischen Verstoss begeht, begeht einen stilistischen Verstoss.» Welche Nachlässigkeiten, etwa auch Wiederholungen, der Autor seinen Exempel-Lieferanten durchgehen lässt und welche er anprangert, mutet bisweilen etwas willkürlich an: Der Geschmack des Lesers spielt eben auch eine Rolle, vielleicht gar die Laune des Moments. Da müsste man wissen, ob aus der Siepen seinen Fundus schon im Lauf seines Leselebens notiert hatte oder beim Schreiben aus dem Gedächtnis schöpfen konnte. Bewundernswert wäre beides, zumal das Resultat nur bei pingeliger Lektüre weitere Müsterchen hergibt, die man dem «schlechten Schreiben» zuordnen könnte.

Hebels goldener Mittelweg

Das war nun umständlich gesagt, aber wenigstens ohne Vulgärwörter, negative Ausdrucksweisen oder Überfrachtung. Der Buchautor mahnt: «Ein Satz sollte so geschrieben sein, dass ein intelligenter Mensch ihn bei einmaligem Lesen ohne Mühe verstehen kann.» Zudem sollte man den Text «dem ungebildeten Leser interessant und dem gebildeten nicht uninteressant machen». Aus der Siepen zitiert damit im Kapitel Erklärungen und Belehrungen Johann Peter Hebel.

Es gilt also das rechte Mass zu finden, denn: «Für Schilderungen, die auch das Selbstverständliche aussprechen, prägte Ludwig Reiners den Ausdruck ‹Blindenstil›.» Die Verächtlichkeit, die aus dieser Bezeichnung spricht, lässt aus der Siepen unerwähnt. Ebenso den Umstand, dass Reiners sich hier – wie im Grossteil seiner Stiltipps – bei Eduard Engel bedient, ohne es zu sagen, dafür mit Vergröberungen wie eben «Blindenstil». Merke: Noch schlechter als schlecht geschrieben ist schlecht abgeschrieben.

Weiterführende Informationen


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Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • am 9.09.2023 um 23:33 Uhr
    Permalink

    Herr Goldstein, Ihren Text verstehe ich nicht. Sie hinweisen zwar: Der Buchautor mahnt: «Ein Satz sollte so geschrieben sein, dass ein intelligenter Mensch ihn bei einmaligem Lesen ohne Mühe verstehen kann.» Aber entweder bin ich nicht intelligent oder (…).
    Verständlicher, wenn auch nicht sinnvoller finde ich:
    https://grammatik-rechtschreibung.de/r_klassiker.htm

  • am 10.09.2023 um 13:10 Uhr
    Permalink

    Sehr geehrter Herr Goldstein
    Herzlichen Dank für diesen wirklich hilfreichen und Trost spendenden Beitrag. Sprache und Sprachlosigkeit bestimmen unsere Leben. Reden und Schreiben dürfen, wie einem der Schnabel gewachsen ist, ohne schlechtes Gewissen. Es gibt eben schlecht und gut geschriebene Weisheit wie Unsinn. «Jeder Versuch, sich mitzuteilen, ist auf das Wohlwollen des Hörers oder Lesers angewiesen.» (Frei nach Max Frisch)

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