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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Diese Gerechtigkeit hat seinen Preis

Daniel Goldstein /  Mit der Endung «-innen» Frauen zu zeigen, ist leicht. Aber wo nötig ein anderes Femininum zu finden, scheint schwieriger.

Wer hätte das gedacht: Das generische Maskulinum breitet sich aus. Also der Sprachgebrauch, grammatikalisch männliche Formen zu verwenden, wenn Personen beliebigen Geschlechts gemeint sind. Da weibeln Verfechter einer sprachlichen Geschlechtergerechtigkeit seit Jahrzehnten und mit zunehmendem Erfolg dafür, immer auch die weibliche Form zu nennen, wenn weibliche Wesen ebenfalls betroffen sind. Und nun das: Sie müssen einen Rückschlag verzeichnen, wenn sie genau hinschauen. Nicht etwa wegen einer Gegenkampagne von Sprachmachos legt das Maskulinum zu, sondern wahrscheinlich aus Gedankenlosigkeit.

Die Erscheinung betrifft nicht die ganze «Front» der als ungerecht empfundenen Maskulina: All die Personenbezeichnungen, die von einer Tätigkeit abgeleitet auf «-er» enden, werden emsig mit «-innen» ergänzt, um dem damit markierten Geschlecht Sichtbarkeit zu verschaffen. Aber ausgerechnet dort, wo die weiblichen Formen eigenständig sind, also nicht mittels Anhängsel geschaffen, ausgerechnet dort geschieht ihnen Unrecht: beim Pronomen sein/ihr. Einige neuere Beispiele aus der Presse: Wo ein Mikrofon ist, macht Michael Fehr Kunst, die seinesgleichen sucht. – Eine möglichst artgerechte Haltung hat seinen Preis. – Im Dienste seiner Majestät, der britischen Königin … – Seinen Anfang nimmt die Geschichte im Herbst 2021. – Seinen Weg an die Öffentlichkeit findet diese Information aber erst letzte Woche. Überall sollte «ihr» statt «sein» stehen, und fast überall hatten, nebenbei gesagt, Autorinnen geschrieben.

Versehen oder Sprachwandel?

Was geht hier vor? Vielleicht hat man sich beim Schreiben einfach nicht überlegt, worauf sich «sein» jeweils bezieht, also: Kunst, Haltung, Geschichte, Information, Königin. Vielleicht aber ist in einigen Fällen eine durchaus gängige Sprachentwicklung am Werk: Ein Ausdruck erstarrt zur festen Wendung, hier etwa: seinen Preis haben, seinen Anfang nehmen, seinen Weg finden. Dass man in solchen Fällen zuweilen «sein» schreibt, ohne aufs Geschlecht des jeweiligen Worts Rücksicht zu nehmen, fiel schon vor Jahren einer aufmerksamen Korrektorin auf. Sie war es, die mich darauf hinwies und auch bereits vermutete, die Ausdrücke seien am Erstarren.

Aus sprachfeministischer Sicht wäre es also höchste Zeit, sich in diesem Fall für grammatikalische Korrektheit zu wehren und darauf zu beharren, dass auch von einem Mann gemachte Kunst nicht seinesgleichen sucht, sondern ihresgleichen, und dass man der Königin gibt, was ihrer Majestät gebührt. Das wäre jedenfalls sinnvoller, als mit weiblichen Wortformen ein Eigentor zu schiessen wie in folgendem Fall.

Eigentore mit und ohne Sport

Da wurde der spanischen Wirtschaftsministerin die Befürchtung in den Mund gelegt, «ein Anspruch auf zusätzliche Krankentage könnte Frauen bei der Jobsuche benachteiligen, weil Chefinnen eher einen Mann einstellen könnten, in der Hoffnung, dass bei ihm das Risiko für mögliche Fehltage geringer ist». Wahrscheinlich ist hier «jefes» übereifrig feminin übersetzt worden: Die Ministerin wird ja den Chefinnen kaum unterstellt haben, Frauen schlechter zu behandeln, als es Chefs tun.

A propos Eigentor: Zu Recht ist ausgiebig über die Fussball-Europameisterschaft der Frauen berichtet worden, und zu Recht stiess dabei die Etikette «Frauenfussball» auf Kritik. Meines Laienwissens gelten dort genau dieselben Regeln, wie wenn Männerfüsse den Ball treten, es gibt also nur die eine Sportart «Fussball». Schon eher könnte man von «Fraueneishockey» reden, nur geschieht dies weniger. Dabei sieht dort das Sportgeschehen ganz anders aus als bei den Männern, denn die Spielerinnen knallen einander nicht in die Bande, und so kann man auch als Laie einem flüssigen Spiel folgen, ohne sich über Knochen- und Unterbrüche zu ärgern.

Weiterführende Informationen

  • Indexeintrag «Geschlechter» in den «Sprachlupen»-Sammlungen, Abruf bei der Nationalbibliothek: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2.
  • Stichwortsuche und Links funktionieren nur im heruntergeladenen PDF (linke Spalte, ganz unten) oder in der Online-Anzeige bei Issuu (issuu.com/sprachlust).

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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7 Meinungen

  • am 13.08.2022 um 12:26 Uhr
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    Apropos «Frauen»-Fussball:
    Schmunzeln musste ich auch, weil sowohl Kommentator*innen als auch Spielerinnen u. Training-Personen fleissig von ihrer oder der gegnerischen «Mannschaft» sprachen…..

  • am 13.08.2022 um 13:34 Uhr
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    Ich finde diese ganze -er / -innen / * Diskussion bringt am Schluss nur mehr Unterscheidung statt Gleichberechtigung. Denn solange es spezifische Formen für spezifische Gruppen gibt, schliesst das immer andere davon aus. Dadurch wird meiner Meinung nach eher zementiert, dass Unterschiede bestehen (könnten). Denn wenn es keine Unterschiede gibt, muss man das sprachlich ja auch nicht auseinanderhalten.

    Angela Merkel wäre ein gutes Beispiel gewesen. 16 Jahre lang war sie Bundeskanzlerin in Deutschland. All die 4-jährigen als Angela Merkel Kanzlerin wurde und alle, die danach geboren sind, würden, wenn man nur den Begriff «Bundeskanzler» nehmen würden, darunter eine Frau verstehen. Weil sie nichts anderes kenne. Mit der Zeit wird der Begriff somit «geschlechtslos».

    Gleiches haben wir ja erlebt mit «Fräulein» und «Frau». Ein «Fräulein» war eine unverheiratete Frau. Eine Frau war verheiratet. Wir haben aufgehört den Begriff «Fräulein» zu verwenden und nun kann eine Frau un/verheiratet sein

  • am 13.08.2022 um 14:55 Uhr
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    Als ex-Korrektor machte ich mir schon (fast schwerste) Gedanken:
    «Was ist los mit dem Goldstein? Fängt der jetzt auch an mit der Gender-Seuche?»
    Klar, dass es «… ihren Preis» heissen sollte. Alles andere geht mir «uf ’s Gäder».
    Ich bleibe bis und mit Testament bei «… er» und «… innen»!
    Oder muss man in 5 Jahren «Liebe Frau(er)innen» schreiben?
    «Gott grüss› die Kunst!», hats mal geheissen …

    • am 14.08.2022 um 21:01 Uhr
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      Ich hab‘s so schon mal irgendwo geschrieben, dass ich vor zwei/drei Jahrzehnten froh war, kein Fräulein und kein Bürger mehr zu sein, sondern eine Frau und eine Bürgerin. Aber die ganze Gendererei nervt total. In Stadtzürcher Schulhäusern soll es geschlechtsneutrale Toiletten geben, und die Zürcher Regierung spricht „von einem Geschlecht, das einem bei der Geburt zugeordnet worden sei“! Wie kommen die Geschlechtsneutralen denn zur Welt, frage ich mich.
      Ich fühlte mich als Mädchen und Frau nie benachteiligt, ich hatte drei Brüder und eine Schwester. Wir Mädchen waren die älteren und geben bis heute ein wenig den Ton vor, die Brüder nahmen und nehmen das scherzend zur Kenntnis. Ich finde es schön, Kinder haben zu dürfen. Natürlich ist es für Kinder auch schön, gute Väter zu haben. Ich kenne auch Frauen meiner Generation, die keine Kinder haben und sich nie als Mädchen und als Frau benachteiligt fühlten.
      Hoffentlich geht das Gendervirus wieder mal vorbei!

  • am 13.08.2022 um 21:46 Uhr
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    „artgerechte Haltung hat seinen Preis“, resp. ihren Preis! Deutsche Sprache, schwere Sprache. Die französische Sprache hat auch so ihre Tücken.

  • am 15.08.2022 um 00:53 Uhr
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    Sehr schön. Ich hatte Ihnen schon 2010 geschrieben deswegen. Wir taten es damals als Schlamperei ab, nicht als Sprachwandel… Stimmt wohl noch immer. Denn die Seuche grassiert nicht nur bei Redewendungen. Und auch gesprochen am Radio und TV, nicht nur geschrieben. Z.B. sieht oer hört man Monströses wie
    «Die Schweiz hat noch nie etwas ähnliches in seiner Geschichte gesehen»
    «Kann die Branche Einfluss auf seine Konsumenten nehmen?»
    «Laut ersten Umfragen liegt die Regierungspartei von Herrn X vor seinem
    Konkurrenten Herr Y.»
    «Die Verbindung stösst an seine Kapazitätsgrenze.»

  • am 15.08.2022 um 19:51 Uhr
    Permalink

    Dass Daniel Goldstein, ein guter Kenner der deutschen Sprache, diese Diskussion auf diesem Niveau anzettelt, wundert mich. Die angeführten Beispiele haben mit einer Ausnahme nichts mit einem «generischen Maskulinum» zu tun, sondern missachten schlicht die deutschen Korrespondenzregeln zwischen Pronomen und zugehörigen Substantiven. Insofern sind sie zu beanstanden, aber mit «gendern» oder «nicht gendern» hat das nichts zu tun. Die Ausnahme zuerst: «Im Dienste IHRER Majestät» muss es heissen, weil das Pronomen sich hier auf eine Frau bezieht. Bei den andern beziehen sich die Pronomen nicht auf konkrete Personen, sondern auf abstrakte, darum im Deutschen feminine Substantive: Kunst, Haltung, Geschichte, Öffentlichkeit. Ein Blick in Eisenbergs «Grundriss der deutschen Grammatik» könnte helfen. Nicht die Sichtbarmachung der Geschlechter ist die Aufgabe der deutschen Genera, sondern die Ermöglichung leider zu wenig bekannter syntaktischer Funktionen: hier jedes Mal der Nominalklammer.

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