Robert Gober Untitled

Robert Gober, Untitled, 1994-95 © Max Ehrengruber

kontertext: Agonie des Kulturjournalismus

Silvia Henke/Felix Schneider /  Auch im weltberühmten Kunstmuseum Basel entgehen manche Ausstellungen einer kulturjournalistischen Rezeption. Courant normal?

«Leider aber haben Sie sich genau diejenige Ausstellung im Haus ausgesucht, zu der bislang keine Rezensionen erschienen sind», sagte Karen N. Gerig, Leiterin Presse & Kommunikation des Basler Kunstmuseums, als wir sie nach Reaktionen zur Ausstellung «Robert Gober. Sammlungspräsentation» fragten. Wie das, über drei Monate nach Eröffnung der Schau?

Eine klandestine Ausstellung

Das Basler Kunstmuseum gilt wegen seiner grossartigen Sammlung als eines der wichtigsten der Welt. Insofern sollte eine Ausstellung, die sich bescheiden «Sammlungspräsentation» nennt, zumindest auf lokales Interesse stossen. Denn die Präsentation folgt dem Prinzip eines Dialogs mit dem Werk des renommierten amerikanischen Künstler Robert Gober und ist während der Öffnungszeiten des Museums jederzeit gratis zu sehen. Warum hat sie in Basel und Umgebung bisher fast keine Aufmerksamkeit erregt?

Weil – so Gerig, die als Pressefrau des Museums ihre Ressourcen wohlüberlegt einteilen muss – weil bisher keine PR-Arbeit für diese Ausstellung erfolgte. Am 9.Februar wird allerdings ein «Künstlergespräch» mit Robert Gober stattfinden, das dann beworben und wohl auch beachtet werden wird.

Als normal gilt: Resonanz kommt von der PR-Arbeit der Kulturinstitutionen und nicht etwa vom Interesse redaktioneller Fachpersonen, die die Szene überblicken und souverän, das heisst möglichst unabhängig von Reklame, entscheiden, welchen Ereignissen sie in ihrem Medium Aufmerksamkeit schenken. Betrachtet man den Kulturjournalismus, so entsteht ohnehin der Eindruck, Fachpersonen gehörten zu einer aussterbenden Gattung. Der Trend geht zum Allrounder. Und wo es noch Fachpersonen gibt, ist keineswegs garantiert, dass sie die Aufmerksamkeit ihres Mediums und den Stil ihres Journalismus wirklich bestimmen können. Planer:innen, die keine Fachleute sein können und in schnell, manchmal wöchentlich rotierenden Positionen sitzen, entscheiden heute oft für ganze Kultur- oder Newsbereiche, was «gemacht» und was «nicht gemacht» wird. Generell wird immer weniger klar, wer für die öffentliche Wahrnehmung von Kultur zuständig ist. Auch die Herangehensweise an Themen unterliegt fachfremden Vorstellungen davon, was das Interesse eines breiteren Publikums sei. Kurzum: Auswahl und Fragen werden nicht von Fachwissen gesteuert, sondern ganz bewusst von Nichtwissen und Ignoranz. Das gilt dann als publikumsnah. Beliebt sind dabei die scheinbar naiven, grossen, im Rahmen von Medienberichten kaum beantwortbaren Fragen wie: Wozu überhaupt noch Lyrik? Was kann Malerei heute?

Über die Vorstellungen, was ein breiteres Publikum interessieren könnte, existieren in Journalistenkreisen denn auch oftmals bizarre Vorstellungen – auch in der «BZ Basel», die noch einen umfangreicheren Kulturteil hat. Schauen wir, was sie über das Kunstmuseum im Januar dieses Jahres veröffentlicht hat: Sie beteiligt sich am Rätselraten über die Nachfolge von Museumsdirektor Helfenstein und nennt acht Personen, die ausserhalb der Kunstszene unbekannt sind. Das soll für Uneingeweihte interessanter sein als eine Ausstellung, die der Kernaufgabe des Museums verpflichtet ist, nämlich seine Schätze als ästhetische und kulturelle Objekte in einen öffentlichen Dialog zu bringen? Sodann berichtet die «BZ Basel», dass die Planungen für eine Sanierung des Museumsbaus zeitlich im Verzug sind. Wen soll das interessieren? Und dass Corona die «Digitalisierung in den Kunstmuseen» befördert habe… Gähn! Da loben wir uns doch die gute alte Bildbetrachtung von Sabine Altorfer, auch wenn die Abbildungen lächerlich klein und die Texte beleidigend kurz sind.

Journalisten und Journalistinnen wandern heute aus dem Journalismus in die PR-Abteilungen der Kulturinstitutionen ab. Das lässt sich sogar statistisch nachweisen, wie Mark Eisenegger vom «fög» 2021 auf der Tagung «Kulturberichterstattung in der Krise» referiert und in der Studie «Qualität und Stellenwert der Kulturberichterstattung» dargelegt hat. Die Kommunikationsabteilungen der Kulturhäuser konkurrieren sich gegenseitig, streiten sich um das knappe Gut Aufmerksamkeit, werden immer grösser und immer wichtiger, denn ihre Marketinginstrumente müssen den öffentlichen Echoraum zunehmend selbst organisieren. Auch das belegt «fög» mit Zahlen: Der Kulturjournalismus mit dem Anspruch einer unabhängigen Wahrnehmungs- und Reflexionsinstanz wird zunehmend durch Auftragskommunikation ersetzt.

Wer soll das verstehen?

Was vom Kulturjournalismus bleibt, folgt oft den Methoden des News-Journalismus. Rezipiert werden deshalb vor allem Ausstellungen, die sich bereits im Titel an Gesellschaftspolitik anlehnen. Die Ausstellung «Born in Ukraine» des Basler Kunstmuseums schaffte es sogar ins ZDF. Dessen Bericht handelte von der Genugtuung einer ukrainischen Kuratorin, von der Zerstörung der ukrainischen Museen, vom geheimen Transport der Gemälde – diese selbst blieben aussen vor. Die Tagesschau von SRF berichtet entweder am Tage einer Ausstellungseröffnung, oder gar nicht, weil schon am Tage danach der «News-Wert» sich verflüchtigt, auch wenn die Ausstellung für Monate hängt. Das Kunstwerk selbst kommt in der Kulturberichterstattung kaum noch vor.

Nun, die kleine, aber hochkarätige Schau wie jene der aktuell im Zwischengang des Basler Kunstmuseums gezeigten Robert-Gober-Ausstellung setzt die Werke ins Zentrum, konfrontiert sie mit teils vom Künstler, teils vom Kurator Josef Helfenstein ausgewählten Sammlungsstücken und schafft so zuerst einmal einen ästhetischen Denkraum, in welchem sich Themen zeigen können. Nicht auf Ansage, sondern durch die Bereitschaft, zu schauen und den Hinweisen der Beschriftungen nachzugehen. Was gezeigt wird, sind also Bilder, Objekte und kulturelle Zusammenhänge. Sklaverei, Folter, Märtyrertum erscheinen dabei als symbolisches Geflecht, allerdings: erst nach ein paar Minuten der intensiven Betrachtung.

Ein Beispiel: Kommt man in den Zwischengang, der den alten mit dem neuen Gebäudeteil verbindet, läuft man auf ein Cheminée zu. Es ist eine Installation von Robert Gober, die künstlich lodert. Sie zieht sofort an – wie jedes Cheminée.

Im Inneren des Cheminées werden aber nicht Holzscheiter verbrannt, sondern Kunststoff-Kinderbeine. Einige Besucher:innen schütteln leise den Kopf und gehen weiter. Andere schrecken zurück, schauen sich um. Dabei werden sie angezogen – entweder von einem überdimensionierten Ohr, auch ein Körperfragment aus Gobers Werkstatt. Oder aber der Blick fällt auf ein kleines Märtyrerbild aus der Sammlung, auf welchem ebenfalls ein Feuer lodert: der heilige Laurentius liegt auf einem Rost, unter ihm züngeln die Flammen. Auf seinen Tod wartend blickt er den Betrachter in unendlicher Traurigkeit an. Das Bild ist eine atypische Rarität katholischer Ikonografie von anno 1500, die in Basel kaum je gezeigt wurde.

Martyrium des hl. Laurentius
Bernhard Strigel, Martyrium des Hl. Laurentius, um 1500

Die Bilder illustrieren kein Thema, sondern treten in Beziehung und stiften neue Sinnzusammenhänge. Es stellen sich Fragen über die Grausamkeit der Geschichte, von der Inquisition bis zum Holocaust, zuletzt auch Fragen an die Grausamkeit der Kunst, die Gräuel ins Bild nimmt oder künstlich nachbildet. Das passiert auf engstem Raum durch eine präzise Setzung, die nichts vorgibt und unter Rückgriff auf Preziosen der Sammlung beinahe klandestin vor dem Eingang zur Hauptausstellung «Zerrissene Moderne» die Besucher:innen überrascht.

Assoziativ sei die Methode der Gober-Ausstellung, sagt der Saaltext. Und wirklich tritt die Schau den Beweis an, dass Assoziationen nichts Unverbindliches sind, sondern das, was unser Bewusstsein am meisten beschäftigt und wofür es die Sprache der Kunst braucht.

Man könnte der Meinung sein, Kunstjournalismus sei dazu da, dem Publikum den Weg zur Einsicht in eine solche Aktualität von Kunstausstellungen zu öffnen. Speziell für Sammlungsausstellungen, denn diese sind nachhaltig, beanspruchen keine riesigen Budgets und enthalten alles, was es braucht, um mit Kunst in Berührung zu kommen. Groteskerweise aber produzieren die Werbeanstrengungen der Häuser den Widerspruch, dass die öffentliche Wahrnehmung sich verengt auf wenige Blockbuster-Ereignisse, die meistens sehr teuer sind.

Was bleibt, was kommt?

Das leise Sterben einer kritischen Kulturberichterstattung wurde hier im Kontertext schon mehrfach kommentiert. Für den Raum Basel bleibt, nachdem die «BaZ» ihr Feuilleton praktisch eingestellt hat, neben der «BZ Basel» und der erweiterten kulturellen Agenda der «Programmzeitung» das Onlinemagazin «Bajour». Es berichtet zwar über das Eingehen der Feuilletons, die Suche nach einer Kulturjournalistin gestalte sich aber schwierig, hört man von dort. Es würden indes auch andere Möglichkeiten mit freien Mitarbeiter:innen diskutiert, hört man ebenfalls. Nun denn: Es bleibt zu hoffen. Denn reflektiertes Fachwissen, kritisches Engagement und intellektuelle Neugier sind rar geworden, seit die Medien das Feuilleton als Gattung und Denkraum aufgegeben haben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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4 Meinungen

  • am 2.02.2023 um 13:40 Uhr
    Permalink

    Bedenklich, dass der Text im Wesentlichen wahr bleibt, wenn man aus dem «Kulturjournalismus» die «Kultur» streicht.

  • am 3.02.2023 um 16:04 Uhr
    Permalink

    Bravo, sorgfältiger Text mit vielen Bezügen. Es geht wohl vorab um das Vermitteln von Fachwissen im basler Feuilleton; aber auch um Bildbetrachtung in schönster Ausformung: danke! hier: Bernhard Strigel, Martyrium des Hl. Laurentius und Robert Gober’s Untitled.

    ich lese gerade Piet Meyer „Franz Meyer, der Museumsmann, ein Vaterbuch“ mit grimmiger Wonne.
    der Junior Meyer entdeckt grad eine Schrift von Georg Schmidt, KLEINE GESCHICHTE DER MODERNEN MALEREI, sein Pa meint kaltschnäuzig: „… das ist ein ganz und gar unbrauchbares Werk!…“. 50 Jahre später erkennt der Filius, dass „ Wissen Macht ist, Beides wollte dieser Mann, dieser Vater, der keiner war, nicht teilen…“
    diese machtgeile Haltung finde ich in Ihrem Text hier:
    „Auswahl und Fragen werden nicht von Fachwissen gesteuert, sondern ganz bewusst von Nichtwissen und Ignoranz.

    Mein Fazit: auch ich wurde gebildet mit Schmidt (Basel 1955), den ich etwas brav fand, aber auch mit J-C Ammann / H Szeemann: VON HODLER ZUR ANTIFORM, Bern 1970

    • am 3.02.2023 um 16:04 Uhr
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      Bern 1970 und anderen Hinführungstexten in Buchform.
      Heute erfreue ich mich der digitalen Lese und fasse gerne nach, wenn mir z.B. DADA retour (Dijon 2022) angezeigt wird: wer sammelt denn all die Bbaslerzeitungsberichterstattungen? Ich pflege eine Bibliothek!

      Bitte liebe Kunstwissenschaftler und Journalistenfachleute: schreibt, schreibt an tausend Orten und fasst s thematisch in nem z.B. kostenpflichtigen Blog oder in einem Buch: Ich bin gewiss, bin nicht der einzige Bücherfreund. – Hinführungstexte, in Zeiten sich wandelnder Presselandschaft.
      .
      infosperber, ein ebenso spannender Exkurs gebührt dem Sponsoring (hier durch cs).
      bei Besucherzahlen – gemäss Jahresbericht – 2021 202’162 und Gesamteinnahmen rund 8,4 Mio.

  • am 4.02.2023 um 01:25 Uhr
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    Die Analyse ist klug und leider wahr.
    Was mir besonders bei Robert Gobers Werk wehtut.

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