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Video Still aus «As if I am not there» © Juanita Wilson/sui-generis/cc

Aufklären, aufgeilen, aufhetzen – Paradoxe Bilder

Jürgmeier /  Gewalt-Darstellungen können aufrütteln und aufwiegeln. Das Recht muss zwischen dem Für und Wider ihrer Publikation entscheiden.

«Ist es legitim, in einem Spielfilm die Vergewaltigung einer Frau darzustellen, um das Publikum über Menschenrechtsverletzungen aufzuklären?», fragt Vanessa Rüegger in ihrem Artikel «Menschenrechtsfilm oder Kriegsporno: Was legitimiert Gewaltdarstellungen?» Dieser ist in der neuen, am 31. August 2014 online geschalteten juristischen Open-Access-Zeitschrift sui-generis.ch nachzulesen.

Ausgehend von Juanita Wilsons Film «As if I am not there» – nach dem Roman «Als gäbe es mich nicht» über das Leben internierter Frauen während des Jugoslawienkriegs (1992-1995) von Slavenka Drakulić – beschreibt sie die Paradoxien, welche durch «die Darstellung von Krieg und Gewalt in sogenannten Menschenrechtsfilmen» hervorgebracht werden. Dies am Beispiel der Visualisierung sexueller Gewalt, aber immer mit Blick auf Kriegs- und Gewaltbilder im Allgemeinen.

Das Dilemma mit den Bildern und ihrer Wirkung
Wer davon ausgeht, dass Bilder Wirkung haben, gerät, so Vanessa Rüegger, in ein unauflösbares Dilemma. Einerseits informieren Filme und Bilder über Gewalttaten, sensibilisieren ZuschauerInnen für Menschenrechtsverletzungen und machen sie bestenfalls zu «aktiven Befürwortern der Menschenrechte». Andrerseits sind dieselben Bilder «auch Kommunikationsträger unerwünschter Kommunikationsinhalte, indem sie beispielsweise zu weiteren Gewalthandlungen motivieren, sexuelle Bedürfnisse bedienen, oder für die abgebildeten Opfer oder ihre Familien ein schmerzhafter Anblick sind».

Das Recht aber kennt kein Einerseits und Andrerseits. In der Rechtsprechung ist kein Platz für zögerliche Ambivalenzen, da muss «Unentscheidbares» entschieden, zwischen Recht und Unrecht eine klare Linie gezogen werden. Das Recht muss, so Vannessa Rüegger, «jeden ihm vorgelegten Fall über die Rechtmässigkeit einer Gewaltdarstellung mit einem Urteil abschliessen und sich damit unweigerlich der einen oder anderen Seite des Paradoxes zuordnen.»

So ganz lassen sich Dilemmata und Paradoxien allerdings auch von juristischem Gelände nicht vertreiben. Zwar werden Gewaltdarstellungen grundsätzlich verboten, aber eine Ausnahmeklausel öffnet ein Hintertürchen, und schon sind die skizzierten Dilemmata wieder da. Womöglich ambivalente RichterInnen müssen im Einzelfall entscheiden, ob für ein Bild eine Ausnahme gemacht und es zur Veröffentlichung frei gegeben werden darf oder nicht.

«Kunst legitimiert Bilder sexueller Gewalt»
Das Recht, so Vanessa Rüegger, unterscheide «zwischen Bildern, die sich in der Darstellung sexueller Gewalt erschöpfen, und solchen, die einem schutzwürdigen wissenschaftlichen oder kulturellen Wert entsprechen.» Im Klartext: «Kunst legitimiert Bilder sexueller Gewalt.» Aber was ist Kunst? Was Pornographie? Und gilt die Ausnahmeregel nur für «hohe» Kunst oder auch für Populärkultur, inklusive Videogames, Comics und Boulevard? Wer definiert, was Kunst ist? KünstlerInnen, KunstwissenschaftlerInnen, PolitikerInnen, RichterInnen?

Zumindest die letzte Frage ist juristisch geklärt. «Das Recht räumt mit der Ausnahmeklausel der Kunst einen gewissen Freiraum im Umgang mit Bildmaterial ein. Indem es aber zugleich den Richter als Wächter vor das Eingangstor zur Freiheit setzt, behauptet das Recht seine Souveränität über die Kunst und bewahrt die Illusion seiner Einheit gegenüber einer unkontrollierbaren Vielfalt.» Schreibt die assoziierte Professorin für öffentliches und internationales Recht.

Womöglich ist es auch eine Illusion, dass die solchen Regelungen zugrunde liegende Vorstellung in Zeiten der Globalisierung sowie der digitalen Kommunikation (noch) eingelöst werden und der Staat die BürgerInnen vor den Bildern des Grauens schützen kann.

«Regulierung von medialer Bildverbreitung = knallharte Zensur»
Die Juristin und, was bekannter ist, Schriftstellerin Juli Zeh verwirft im Stern vom 25. September 2014 jeden «Versuch einer Regulierung von medialer Bildverbreitung» als «knallharte Zensur. Und die wirkt auf Demokratien wie ein tödliches Gift.». Dies, obwohl sie mit Bezug auf die von IS-Mitgliedern verbreiteten Enthauptungsvideos schreibt: «Hier wird nicht nur die Ausübung, sondern auch die Inszenierung von Gewalt zum Terrorakt. Indem wir hingucken, unterstützen wir die Terroristen. Denn sie wollen, dass wir das sehen.» Aber es sei undenkbar, dass irgendeine Instanz offiziell die Macht erhielte, «darüber zu befinden, was im Internet erscheinen darf und was nicht». Aus demokratischen und technischen Gründen.

Juli Zeh mutet dem Individuum die Freiheit sowie die damit verbundene «moralische Last» zu und verlangt dem beziehungsweise der einzelnen «ethische Aufrüstung» ab. Konkret: «Wir dürfen uns beim Flanieren durch die grosse Verfügbarkeit nicht wie Kleinkinder von spontanen Reizen leiten lassen. Dem Skandal, der Faszination des Grauens, der natürlichen Neigung zum Voyeurismus müssen wir einen Akt souveräner Vernunft entgegensetzen. Jedem Klick und jedem Blick sollte eine bewusste Entscheidung vorangehen: Schaue ich mir das wirklich an? Teile ich, leite ich weiter? Aus welchen Gründen?»

«Es gibt keine Verpflichtung, sich das anzusehen.»
Das heisst, in Zeiten der Globalisierung und Liberalisierung aller Märkte – in denen alles verfügbar zu werden scheint, der internationalisierten Produktion von Waren und Bildern höchstens eine kaum vorhandene politische Internationale Grenzen setzen könnte – ist das (freie) Individuum auf Schritt und Tritt mit der Frage konfrontiert: Will ich das sehen, kaufen, brauchen? «Es gibt keine Verpflichtung, sich das anzusehen. Im Gegenteil.» Hält Juli Zeh fest. Keine und keiner muss die Gewehre kaufen, die der freie Markt anbietet. Produziert dürfen sie werden – die Bilder und die Bomben. Nachhaltigkeit und Ethik werden so fast ausschliesslich zu einer Frage des privaten Konsums und der individuellen Zivilcourage. Wenn das kein Paradox ist.


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2 Meinungen

  • am 26.10.2014 um 18:40 Uhr
    Permalink

    "Nachhaltigkeit und Ethik werden so fast ausschliesslich zu einer Frage des privaten Konsums und der individuellen Zivilcourage."

    Man kann das bedauern, aber es ist ein Fakt. Deshalb braucht es neue Medien, neue Unternehmen, neue Bewegungen. Und letztzlich wohl auch neue Politiker. Für Medien braucht es keine Verlage mehr, für Unternehmen braucht es keine reichen Investoren mehr, für Bewegungen braucht es keine Parteien mehr. Das Internet ersetzt sie.

  • am 3.11.2014 um 21:55 Uhr
    Permalink

    Freiheit steht nicht über allen anderen Grundrechten. Das Beispiel der Gewehre, die sonst beliebig verbreitet werden dürften, zeigt das deutlich. Und für alle, die noch nicht einverstanden sind: In Verlängerung dieser Argumentationslinie könnte man ja auch sagen, jeder sei frei, sich erschiessen zu lassen oder nicht. Was dann ganz definitiv blödsinnig wäre.
    Es ist wohl eine Tatsache, dass sich im Zeitalter des Internets auch die brutalsten Bilder nicht gänzlich unterdrücken lassen. Bedeutet das nun, dass einfach alles geht? Harte Pornografie auf den Plakatwänden, Brutalos im Vorspann zum Kinderfernsehen? Das kann es ja wohl nicht sein.
    Die Grenze zwischen erlaubt und verboten wird immer umstritten sein, aber das ist kein Grund, darauf ganz zu verzichten. Ein brauchbarer Ansatz wäre vielleicht, bei kommerzielle Veröffentlichungen strengere Massstäbe anzuwenden. Computerspiele und Filme sind nicht nur (in den meisten Fällen: nicht in erster Linie) Meinungsäusserungen des Autors. Sie sind auch einfach Business. Es geht darum, Geld zu verdienen. In manchen Fällen geht es sogar um sehr viel Geld. Es werden keine Grundrechte tangiert, wenn man hier bei gewisssen Exzessen Zensur walten lässt.
    Man soll in fast allen Fällen seine Meinung äussern dürfen. Aber nicht unbedingt auf der dafür unpassendsten Bühne.

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