Kommentar

Der Spieler: Die Untoten im Reich der Spiele

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Zombies, so weit das Auge reicht. Die Spielbranche rennt aus Marketinggründen einem Trend hinterher. Das Verhalten ist kurzsichtig.

Little Town ist eine der Kleinstädte in den USA, denen man gerne das Prädikat «friedlich» anhängt. Ruhig ist es hier, die Autofahrerinnen und Autofahrer halten sich an die Verkehrsregeln, es liegen keine Abfälle auf den Plätzen, der Rasen um die Häuser herum ist gepützelt. Doch in der Bilderbuchidylle brodelt es. Die Zombies sind los und überrennen die Vorgärten, Läden und Geschäfte. Und wären wir nicht im anständigen Little Town, würden wir von einer veritablen Sauerei sprechen, die da angerichtet wird. Verständlich, dass sich die Bürgerinnen und Bürger mit allen Kräften gegen diese Invasion zur Wehr setzen. Was allerdings unschön ist, die Einzelnen verhalten sich in diesem Kampf nicht solidarisch, sondern jeder schaut für sich und versucht, die Zombies vom eigenen Haus fernzuhalten. Sollen sie sich doch beim Nachbarn einnisten oder zurück zum Friedhof, woher sie gekommen sind. Hauptsache, weg von meiner Türe!

«Zombie Mania!» nennt sich das Würfelspiel, dem dieses Szenario hinterlegt ist. Der Titel, den die Verantwortlichen des Noris-Verlags ihrer Herbstneuheit gegeben haben, lässt sich auch auf den einzigen nennenswerten Trend bei den aktuellen Gesellschafts-, Brett- und Kartenspielen übertragen, der an der «Spiel14», der international wichtigsten Publikumsmesse für Spiele, zu beobachten war – die Zombie-Manie. Wie viele Spiele mit dem Zombie-Thema an der von 158 000 spielbegeisterten Menschen besuchten Messe in Essen insgesamt gezeigt wurden, weiss ich nicht. Ich hatte dazu weder Zeit noch Lust (dazu mehr weiter unten). Doch das österreichische Spieletest-Onlineportal vermittelt in seinem Messebericht «Untot – die 10 seelenlosesten Zombiespiele der Messe» einen guten Überblick über die Entwicklung.

Chaos und Massenpanik

Die Zombies greifen überall an. Sie überfallen nicht nur Menschen, die zu einem fröhlichen Picknick zusammengekommen sind, sondern auch Einkaufszentren und ganze Städte, wo es zu Chaos und Massenpanik kommt. Die seelenlosen Gestalten haben es auch auf saufende Pubbesucher abgesehen. Immer geht es um Leben oder Tod, denn die Untoten wollen Menschenblut sehen. Das Spiel ist von Kampf und Konflikt geprägt, die Menschen flüchten, meistens auf sich allein gestellt. Ein Spiel gibt es, in dem gemeinsam Widerstand geleistet wird. Und schliesslich eines, bei dem wir Lebendigen zuschauen können, wie die Zombies aufeinander los gehen. Wie schön!

Was hat den aktuellen Zombie-Boom in der Spiele-Branche ausgelöst? Dafür gibt es einen wesentlichen Grund. Er wird auf den Covers von zwei entsprechenden Spielen genannt: «The Walking Dead – der Widerstand» heisst das eine bei Kosmos, «Monopoly – The Walking Dead Survival Edition» das andere bei Winning Moves. Diese beiden Titel beziehen sich direkt auf die gefeierte amerikanische Zombie-Kultserie «The Walking Dead», die derzeit weltweit Millionen vor die Bildschirme lockt. Diese ist der eigentliche Treiber des momentanen Zombie-Hypes in der Spielebranche.

Das Thema ist aufgesetzt

Dass die Spielverlage auf die Zombie-Welle aufspringen, ist im Grunde genommen schizophren. Sie bringen zwar regelmässig Spiele auf den Markt, in denen man Gegner mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen erledigt, sprich: tötet. Mit Vorliebe wird das Ganze kaschiert, indem das Geschehen im Mittelalter, wo die Menschen noch nicht so zivilisiert waren wie heute, oder in irgendwelchen Fantasywelten angesiedelt wird. Spiele, die existenzielle Fragen aufgreifen, bei denen es wirklich um Leben oder Tod geht, um Krankheiten, Hungersnöte, finden sich kaum. Solche Themen sind, bis auf wenige Ausnahmen, tabu, und wenn sie einmal auftauchen, wie zum Beispiel in «Village», wo ein ganzer Lebenszyklus von der Geburt bis zum Tod gespielt wird, empfindet man dies in der Szene als sehr aussergewöhnlich. Angeblich aus Rücksicht auf die Befindlichkeiten des Publikums verzichten die Verlage auf Spiele mit religiösen oder aktuellen politischen Themen.

Und nun plötzlich haufenweise Spiele mit einem Thema, das derzeit Millionen beschäftigt, weil es ihre Existenzängste anspricht, die wegen Naturkatastrophen, Krieg und Terror immer massiver werden? Gibt es bei den Verlagen einen plötzlichen Sinneswandel und wollen sie mit ihren Spielen den bedrängten Menschen ein Medium anbieten, das ihnen die Auseinandersetzung mit ihren Problemen ermöglicht? Überhaupt nicht. Um diese Leistung zu erbringen, müssten in den Zombie-Spielen, um die es hier geht, Form und Inhalt eine Einheit bilden, wie das in der Serie «The Walking Dead» der Fall ist. Schaut man sich die neuen Spiele näher an, stellt man sehr rasch fest, dass das Zombie-Thema aufgesetzt ist und problemlos durch ein anderes ersetzt werden könnte.

Warum das so ist, lässt sich auch leicht erklären. Zombies sind ein Trend, also macht man aus ökonomischen Gründen auch mit. Das millionenschwere Marketing für die Zombie-Filme ist gleichzeitig auch Werbung für die entsprechenden Spiele. Die Verlage sparen Werbekosten und können sich – so die Rechnung – erst noch ein Stück vom Zombie-Erfolgskuchen abschneiden.

Spiele brauchen Zeit

Die Zombie-Welle bei den Gesellschafts-, Brett- und Kartenspielen ist in erster Linie eine Marketing-Geschichte. Das wiederum hängt damit zusammen, dass der Konkurrenzkampf unter den Freizeitmedien, zu denen die Spiele zählen, immer härter und immer internationaler wird. Was sich im Grossen abspielt, trifft auch für die Branche selber zu. Die Flut der Neuheiten ist riesig, das Angebot wird immer unübersichtlicher. Und da braucht es Spiele, die auf einem anderen Weg Aufmerksamkeit und Kauflust der Kundinnen und Kunden wecken. Und schon haben wir die Zombie-Flut.

So verständlich das Verhalten der Spielebranche ist, so fragwürdig ist es. Vor allem halte ich es für kurzsichtig. Spiele, die mit einem Trend-Thema marktfähig gemacht werden, sind nicht in der Lage, über eine längere Zeit das Interesse bei einem breiteren Publikum wachzuhalten. Zum Wesen eines Hypes gehört es, dass er kurzlebig ist. Kaum ist er vorbei, muss etwas Neues her, was nur zu einer unsäglichen Atemlosigkeit führt, die der Branche im Endeffekt schadet. Denn Spiele brauchen Zeit, wie Michael Weber auf «Reich der Spiele» jüngst treffend dargelegt hat.

Zombies mögen Menschenblut. Also aufgepasst, Ihr Verantwortliche in den Spielverlagen …


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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