Cilla Benkö, Radio Sverige

Im Blog von «Sveriges Radio» informierte die Geschäftsführerin Cilla Benkö Ende Januar über Stellenabbau und Programmkürzungen. © Mattias Ahlm/Sveriges Radio

Die kurdische Diaspora in Schweden wird ihrer Stimme beraubt

Amalia van Gent /  Schwedens öffentlich-rechtlicher Radiosender stellt den kurdischen Dienst ein – ein Zugeständnis für den Nato-Beitritt?

Schwedens öffentlich-rechtlicher Radiosender, «Sveriges Radio», kündigte Anfang Februar an, drei fremdsprachige Dienste, darunter Kurdisch, einzustellen. 

Der kurdische Dienst hatte seinen Sendebetrieb vor 23 Jahren, am 6. Januar 2001, aufgenommen und in den beiden wichtigen Dialekten, Sorani und Kurmanci, gesendet. Schweden hat eine vergleichsweise grosse, politisch aktive kurdische Minderheit, und für sie verkörperte der Sender all die Jahre nichts weniger als «ihre Stimme» in Westeuropa. Abgesehen von der Diaspora in Schweden wurde die Sendung nämlich auch von Kurden in anderen westeuropäischen Ländern gerne gehört – in erster Linie aufgrund der Sprache: Kurdische Sender sind im Westen selten. Kurdisch zu unterrichten ist in den öffentlichen Schulen ihrer Heimat, beispielsweise in der Türkei, zudem strikt verboten. 

Der Dienst hat vier feste Journalisten und vier weitere Mitarbeiter. «Ich betrachte den kurdischen Dienst als ein Kind, das ich zur Welt gebracht habe», zitierte der nordirakische, kurdische Nachrichtensender «Rudaw» den Journalisten Nasser Sina. Sina war der erste, der auf Sendung ging, als der Dienst vor einem Vierteljahrhundert startete. «Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass das Kind vor meinen Augen stirbt», fügte er hinzu. 

Sparmassnahmen oder doch Zugeständnis?

Die Geschäftsführerin von Sveriges Radio, Cilla Benkö, führte die Änderungen an den Diensten des Senders auf gewöhnliche Spar-Massnahmen zurück. Im Blog von «Sveriges Radio» informierte sie über Programm- und Stellenabbau. Mit der Einstellung des kurdischen Senders könne sie 225 Millionen SEK, rund 22 Millionen Dollar, einsparen, erläuterte sie; wie in einem Atemzug kündigte sie auch die Einstellung der russischen und Tigrinya-Dienste ihres Sveriges Radio an. 

Ungefähr zur gleichen Zeit, als die Geschäftsführerin von Sveriges Radio in Stockholm ihr Spar-Programm verkündete, führte der türkische Aussenminister Fidan Hakan mit seinem schwedischen Amtskollegen Tobias Billström ein ausführliches Telefon-Gespräch über die NATO-Mitgliedschaft des nordischen Landes und überhaupt die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU. Es sei ein sehr freundliches Gespräch gewesen, wie beide Aussenminister der Presse ihres jeweiligen Landes schon fast euphorisch kundtaten. Dabei waren die Beziehungen zwischen Stockholm und Ankara lange Zeit eher von Spannungen gekennzeichnet. Über ein Jahr lang blockierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Beitritt Schwedens in der NATO und trotzte dem Druck der USA und der übrigen Mitglieder des Militärbündnisses; er beschuldigte dabei die schwedische Regierung, Gruppen wie der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Unterschlupf zu gewähren, und forderte Stockholm auf, gegen die kurdische Diaspora im Lande effektiv vorzugehen und Ankara politische Dissidenten auszuliefern. Genervt sprach die NATO-Zentrale von Erdogans «Erpressung» oder Kamelbazar. 

Letzte Woche ratifizierte Ankara den Beitritt Schwedens zum westlichen Militärbündnis. Wie Schwedens öffentlich-rechtliches Sveriges Radio Anfang Februar bekannt machte, soll der kurdische Dienst am 31. März 2024 eingestellt werden – das ist etwa 10 Tage nach Newroz, dem kurdischen Neujahrsfest. Danach soll diese Stimme der Kurden, immerhin eines Volks von über 30 Millionen, für immer verstummen.

Erdogans Türkei wird wieder salonfähig

Das grüne Licht, das Erdogan für den NATO-Beitritt Schwedens gab, machte «seine» Türkei, in der mittlerweile der Rechtsstaat systematisch abgebaut und Presse wie Justiz seinem autokratischen Regime unterworfen worden sind, mit einem Schlag salonfähig in den Kreisen der westlichen Bündnispartner: US-Präsident Joe Biden billigte den Verkauf von 40 neuen Kampfjets F-16 an und die Modernisierung weiterer 80 gegenüber dem Bündnis-Partner Türkei. Waffenembargos, die andere europäische Länder nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch der türkischen Streitkräfte in Nordsyrien verhängt hatten, waren im Laufe des letzten Jahres ohnehin nach und nach aufgehoben worden. Diese Woche kündigte schliesslich auch Kanada an, den Export von Hightech-Produkten, die für die Produktion der berühmt-berüchtigten türkischen Drohnen nötig sind, wieder aufzunehmen. 

So kann die Türkei ihre Bombardements gegen den kurdischen Nordirak und Nordsyrien fortsetzen, ohne jegliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Seit Monaten bombardiert die türkische Luftwaffe Dörfer und Kleinstädte und zerstört systematisch die Strom-, Wasser- und Treibstoffversorgung der Bevölkerung in Nordsyrien; ein solches Vorgehen gilt laut Genfer Konvention als Kriegsverbrechen. 

Ohne Wasser und Strom

Die aktuelle Lage für die Zivilbevölkerung hat selbst die für ihre Wortwahl besonders vorsichtige Koordinierungsstelle für Notfallmassnahmen (Emergency Response Coordination Centre) der Europäischen Kommission in einem Ende Januar veröffentlichten Kurzbericht wie folgt zusammengefasst: «Die Eskalation der Feindseligkeiten in Nordostsyrien (NES) führte zu einer Unterbrechung der Brennstoffproduktion und -verteilung. Die meisten Strom- und Umspannwerke wurden angegriffen und sind inzwischen ausser Betrieb.» 

Die kurdische Verwaltung berichtet, dass nach den letzten Angriffen der türkischen Luftwaffe die Alouk-Wasserstation vollständig vom Stromnetz abgeschnitten wurde. Über eine Million Menschen sollen demnach in elf Städten, 2750 Dörfern und 1900 Schulen ohne Strom und teils ohne Wasser sein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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2 Meinungen

  • am 4.02.2024 um 21:01 Uhr
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    „Seit Monaten bombardiert die türkische Luftwaffe Dörfer und Kleinstädte und zerstört systematisch die Strom-, Wasser- und Treibstoffversorgung der Bevölkerung in Nordsyrien; ein solches Vorgehen gilt laut Genfer Konvention als Kriegsverbrechen.“
    Es gibt eben die guten Kriegsverbrecher und die bösen! Wer gut und böse ist, bestimmt schon lange der westliche Block. Er richtet über gut und böse. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Hochmut kommt vor dem Fall. Der Fall lässt allerdings auf sich warten!

  • am 5.02.2024 um 01:13 Uhr
    Permalink

    NATO, ein Friedensbündnis, das die Werte der westlichen Welt vertritt? Dass die NATO ein Angriffsbündnis ist beweiste die Geschichte der letzten 50 Jahre!

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