Kommentar

Der Traum gigantischer Flüchtlingslager an der EU-Aussengrenze

Heribert Prantl © Sven Simon

Heribert Prantl /  Wohlfahrts- und Flüchtlingsorganisationen, die sich an die Genfer Konvention halten, können nicht mehr auf die Grünen zählen.

Ein Traum geht in Erfüllung. Es war und ist der Traum von sehr konservativen Bundesinnenministern seit vielen Jahrzehnten. Es war schon der Traum des CSU-Haudegen Friedrich Zimmermann, der vor vierzig Jahren Bundesinnenminister war. Es war dann der Traum von Manfred Kanther, der vor dreissig Jahren CDU-Bundesinnenminister war. Es war schliesslich der Traum des Sozialdemokraten Otto Schily, der Kanther martialisch nachfolgte. Und es war zuletzt der Traum des christsozialen Innenministers Horst Seehofer, als 2015 viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Jetzt ist es der Traum der amtierenden Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD.

Dieser Traum besteht darin, die Flüchtlinge schon an den Aussengrenzen der Europäischen Union aufzuhalten, sie in gigantischen Lagern festzusetzen und dort eine schnelle, kursorische Asylprüfung durchzuführen – eine Prüfung nach dem Aschenputtel-Prinzip: Die Guten, möglichst wenige, dürfen dann rein; die Schlechten, möglichst viele, sollen draussen bleiben. Es ist dies ein Teil der Hotspot-und Abschreckungs-Konzepte, die in der Europäischen Union seit einiger Zeit diskutiert und intensiv vorbereitet werden. Die Hotspots sind Freiluftgefängnisse, wie man sie von den griechischen Inseln Kos oder Lesbos kennt.

Zum Traum von den Flüchtlingslagern an den Rändern Europas gehört auch die perfid-rabiate Ausweitung des Konzepts der sicheren Drittstaaten: Flüchtlinge, die an der EU-Aussengrenze aufgehalten werden, sollen in irgendwelche Staaten in Afrika oder sonst wohin verfrachtet werden; Staaten wie Ruanda, Senegal oder Tunesien sind da im Gespräch; sie sollen Geld dafür erhalten, dass sie bei der sogenannten «Auslagerung des Flüchtlingsschutzes» mitmachen.

Auslagerung des Flüchtlingsschutzes 

Die deutsche Bundesregierung ist dabei, auf dieses Konzept einzuschwenken. Es sei, so schwärmt die amtierende SPD-Innenministerin, das «Momentum» dafür da. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien steht das noch etwas anders. Da wird allerlei Menschen- und Flüchtlingsfreundliches geschrieben und angekündigt, dass die neue Bundesregierung am «Konzept der AnKER-Zentren zur Unterbringung der Asylantragstellenden … nicht festhält».  Das geschah deswegen so, weil die Grünen damals darauf beharrten (und weil der damalige SPD-Verhandler Boris Pistorius dem Flüchtlingsschutz zugeneigt war). Diese AnKER-Zentren waren von der Regierung Merkel und CSU-Innenminister Seehofer eingeführt worden; es handelt sich um Zentren «für Ankunft, Entscheidung, Rückführung». Jetzt soll dieses Konzept verschärft und an den Aussengrenzen im ganz grossen Stil praktiziert werden. 

Der Alptraum von Pro Asyl und Flüchtlingsorganisationen

Die Grünen, zu deren DNA der Schutz von Flüchtlingen seit jeher gehörte, sind unter dem Druck ihrer Kommunalpolitiker offenbar bereit zum Nachgeben: Der Flüchtlingsschutz bei den Grünen wackelt heftig. Das ist das Momentum. Es ist dies der Alptraum von Pro Asyl und vielen Wohlfahrts- und Flüchtlingsorganisationen, die die Genfer Flüchtlingskonvention hochhalten und sich um Flüchtlinge kümmern. Sie hatten bisher politische und parlamentarische Unterstützung bei den Grünen. Früher haben diese für Flüchtlingsschutz demonstriert. Sie müssten jetzt eigentlich gegen sich selbst demonstrieren. Wäre die Partei noch wie früher, dann würden sie das «Momentum» bekämpfen und sich vor dem Innenministerium festkleben. Sie kleben lieber an der Macht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien am 7. Mai 2023 als «Prantls Blick» in der Süddeutschen Zeitung.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 9.05.2023 um 16:40 Uhr
    Permalink

    Sehr gute Darstellung. Ich habe im französischsprachigen Zentralafrika und englischsprachigen Afrika, zwei verschiedene Welten, lange gearbeitet und kenne die komplexe Situation, die natürlich auf der jahrhundertlangen Ausbeutung beruht. Wer in Afrika zu den dort Armen gehört, der kann nicht einmal daran denken, die Rolle eines Flüchtlings einnehmen zu können. Ohne 10.000 € kommt kein Flüchtling. Das afrikanische Oberhaupt gibt den Ton in den Familien an. Die Familien bilden einen Notverband und der hat oft 200 Miglieder. Der Entsandte ist fast immer ein junger Mann ohne Ausbildung. Hat er sein Ziel erreicht, hat er die Hälfte seiner Hilfe zurückzuzahlen. Wieviel Geld fließt monatlich nach Afrika ? Welche Möglichkeiten gibt es, die schlimme Situation zu ändern, insbesondere vor der Tatsache, dass es Viele aus anderen Ländern gibt, in denen Lebensgefahr herrscht. Diese Frage haben die Verantwortlichen mit nützlichen Maßnahmen zu beantworten. Welches sind diese ? Ausbildung vor Ort.

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