Zuckerberg

Zu viel Zucker in Lebensmitteln ist nicht nur schädlich, sondern auch teuer. © ARD

Das bittersüsse Geschäft mit Zucker

Patrik Berlinger /  Der hohe Zuckerkonsum kommt uns und auch arme Länder teuer zu stehen.

(Red.) Der Autor dieses Gastbeitrags ist verantwortlich für die politische Kommunikation bei Helvetas, einer Organisation der Entwicklungszusammenarbeit. Infosperber publiziert seinen in der Dezember-Ausgabe des entwicklungspolitischen Newsletter von Helvetas erschienenen Artikel.

Beinahe jede zweite Person in der Schweiz ist übergewichtig. Mindestens jede zehnte Person leidet an Fettleibigkeit. Die damit verbundenen Gesundheitskosten werden allein hierzulande auf über 50 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt, was 80 Prozent der gesamten direkten Gesundheitsausgaben ausmacht.  

In Schweizer Haushalten ist der Zuckerkonsum einer der höchsten in Europa. Er liegt mehr als vier Mal über der Menge von 25 Gramm pro Person und Tag, welche die Weltgesundheitsbehörde (WHO) als sinnvoll erachtet. Der maximal empfohlene Wert liegt bei 50 Gramm. Am stärksten von übermässigem Zuckerkonsum betroffen sind Jugendliche und Menschen aus sozial benachteiligten Schichten. 

Seit Jahren rät die WHO den Regierungen zu einer klaren Kennzeichnung von zuckerhaltigen Produkten und einem Verbot von Werbung, die sich an Jugendliche richtet. Ebenfalls empfiehlt die UNO-Organisation die Einführung einer Zuckersteuer. Doch aufgrund der politischen Mehrheiten im Parlament sind die Schweizer Behörden trotz vielseitiger Appelle, den Zuckerkonsum einzudämmen, zurückhaltend. Nicht zuletzt spielen die Interessen der hiesigen Agrar-, Getränke- und Lebensmittelindustrie rund um den weltweit tätigen Nahrungsmittelriesen Nestlé eine entscheidende Rolle. 

Daher setzt die Schweiz einmal mehr und wie in vielen anderen Bereichen auf Freiwilligkeit: Im Rahmen der «Erklärung von Mailand» gelobten 14 Schweizer Firmen 2015 den Zuckergehalt in bestimmten Produkten bis Ende 2024 um (bescheidene) 10 Prozent zu senken – in Joghurts, Frühstückscerealien und Erfrischungsgetränken. Im Februar 2023 schlossen sich zehn weitere Schweizer Lebensmittelkonzerne, Detailhändler und Getränkehersteller der Mailänder Erklärung an, wohl auch in der Absicht, staatlicher Regulierung den Wind aus den Segeln zu nehmen. 

Zuckersteuer zahlt sich aus

Weltweit haben mehr als fünfzig Länder eine Zuckersteuer eingeführt mit dem Ziel, den Konsum von Süssgetränken zu vermindern. Die Schweiz, Italien, Österreich und Deutschland machen nicht mit, obschon eine aktuelle Studie zeigt, dass mit einer Zuckersteuer z.B. in Deutschland in den kommenden zwanzig Jahren über 200’000 Fälle von Diabetes verhindert und bis zu 16 Milliarden Euro an Gesundheits- und Sozialfolgekosten eingespart werden könnten.  

In Mexiko beispielsweise werden Süssgetränke mit einem Peso pro Liter besteuert, was die Produkte um rund 10 Prozent verteuert und für Konsument:innen weniger attraktiv macht. Denselben Ansatz verfolgen Portugal und vereinzelte Bundesländer und Städte in den USA – oder Südafrika, das eine «gesundheitsfördernde Abgabe» von 10 Prozent auf gesüsste Getränke erhebt. In Grossbritannien zahlen Unternehmen weniger Steuern, wenn sie ihren Produkten weniger Zucker beimischen. Anhand zahlreicher Länderbeispiele zeigt sich, dass sich die positiven Ergebnisse unabhängig von der Methode sehen lassen – sowohl in Bezug auf Übergewicht, Diabetes, Karies, Herzkrankheiten und Hirnschläge als auch hinsichtlich der von der Gesellschaft getragenen Gesundheitsfolgekosten. 

Weniger Subventionen für mehr Gesundheit

In der Schweiz bauen rund 4’500 Landwirt:innen Zuckerrüben an. Weil die Zuckerproduktion nicht konkurrenzfähig ist, wird der Rübenanbau seit Jahren staatlich gefördert. Zum einen mit Mindestgrenzschutz. Zum anderen mit Subventionen. Während der einzige Verarbeiter von Zuckerrüben, die Schweizer Zucker AG, Anbau, Verarbeitung und Vertrieb vorantreiben möchte, hat die «Vision Landwirtschaft», ein gemeinnütziger Verein für eine transparente Agrarpolitik, einen anderen Vorschlag: Würde hierzulande der Zucker reguliert und nur die Menge angebaut, die unsere Gesundheit verkraften kann (also rund viermal weniger als heute), dann könnte die Schweiz ihren Bedarf selbst decken. Heute beträgt der Selbstversorgungsgrad gemäss Schweizer Zucker AG 65 Prozent, der Rest wird aus der EU und Mauritius importiert. 

Einsparen liessen sich so auch gesundheitsschädliche Subventionen: Die Produktion von Zuckerrüben kostet die Steuerzahlenden rund 70 Millionen Franken pro Jahr – überdurchschnittlich viel im Vergleich zu anderen Kulturen. Gleichzeitig könnte die Schweiz den konventionellen, pestizid-intensiven Zuckerrübenbau durch biologisch angebaute Rüben ersetzen. Laut Bio Suisse würde sich der biologische Anbau lohnen

Geschichtsträchtiges Zuckerrohr 

Auch beim Zuckerrohranbau in tropischen und subtropischen Anbauländern von Zuckerrohr tut Veränderung Not. Übrig gebliebene Strukturen aus der Kolonialzeit und dem Sklavenhandel spielen ebenso eine Rolle wie auch die meist schlechten Arbeitsbedingungen und die negativen Folgen des Anbaus hinsichtlich der lokalen Ernährungssicherheit und der Umwelt. 

Zuckerrohr hat eine Geschichte von rund 10’000 Jahren. Es stammt ursprünglich von der pazifischen Inselgruppe Melanesien, die nordöstlich von Australien liegt. Zunächst war Zucker ein Luxusgut für Wenige. Das änderte sich, als grossflächige Zuckerrohrplantagen in der Karibik und in Südamerika entstanden und der weltweite Handel einsetzte. Vor rund 450 Jahren begannen die Kolonialmächte Afrikaner:innen über den Atlantik zu verschleppen. Sie mussten Kaffee, Tabak, Tee und Baumwolle anbauen – und eben: Zucker.  

Dazu wurden riesige Wald- und Vegetationsflächen gerodet, was die Landschaften bis heute prägt. Vom ausbeuterischen Handel mit Menschen profitierten auch Schweizer Unternehmen und Kantone bis ins 19. Jahrhundert. Bald verschickten die Plantagenbetreiber und Handelsgesellschaften für die damalige Zeit enorme Mengen an Rohzucker zur Verarbeitung und für den Konsum in Richtung Europa und USA. Dank des grossflächigen Anbaus wurde Rohzucker allmählich für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich.  

Heute wird 86 Prozent des Zuckers weltweit aus Zuckerrohr gewonnen. Zuckerrohr wird in etwa hundert Ländern der Welt angebaut; die wichtigsten darunter sind Brasilien, Indien, Thailand, Pakistan, China, Mexiko, Indonesien, Kolumbien und die Philippinen. Dabei kommt es immer wieder zu Fällen von Landraub, weil lokale Machthaber es nationalen und internationalen Konzernen zur Verfügung stellen. Zudem sind unhaltbare Arbeitsbedingungen auf Plantagen, die teilweise an die Kolonialzeit erinnern, Alltag. 

Ohne stärkere staatliche Regulierung, mehr unternehmerische Selbstverpflichtung und Konsumeinschränkungen wird die weltweite Nachfrage nach Rohrzucker weiter zunehmen. Dies wiederum bedeutet, dass es mehr Anbauflächen braucht – auf Kosten der Natur und des lokalen Anbaus von Grundnahrungsmitteln. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor dieses Gastbeitrags ist Verantwortlicher Politische Kommunikation bei Helvetas, einer Organisation der Entwicklungszusammenarbeit.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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3 Meinungen

  • am 17.01.2024 um 14:06 Uhr
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    Interessan, dass bei den Zuckerrohr Produzenten, die USA als weltweit grösste Einheit einfach ausgelassen wurde….

  • am 17.01.2024 um 16:28 Uhr
    Permalink

    Ich zitiere: «Weil die Zuckerproduktion nicht konkurrenzfähig ist, wird der Rübenanbau seit Jahren staatlich gefördert.» Wie soll eine Produktion Konkurrenzfähig sein wenn die Abnehmer die Preise diktieren? Wenn man über die Grenzen schaut z.B. Deutschland, lohnt sich der Anbau von Zuckerrüben auch nicht! Ein Importverbot für Zucker und die massive Besteuerung von verarbeiteten Zuckerhaltigen Lebensmitteln würde da Abhilfe schaffen.
    Der Biologische Anbau lohnt sich kaum auch wenn Bio Suisse das behauptet. Die Handarbeit frisst das Einkommen gleich wieder auf. Bio kann nie die konventionelle Menge auch nur annähernd ersetzen. Würde alles auf BIO umgestellt, würden die zwei letzten Zuckerfabriken in der Schweiz dicht machen müssen da sie aufgrund fehlender Rohstoffe nicht Wirtschaftlich betrieben werden könnten. Ergo wäre der Schweizer Zucker Geschichte. Wenn wir einen gewissen Selbstversorgungsgrad halten wollen müssen wir zu unseren 2 Fabriken Sorge tragen.

  • am 18.01.2024 um 09:22 Uhr
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    Kleine Korrektur zum Sklavenhandel im Artikel: die Europäer kauften die afrikanischen Sklaven bei afrikanischen und arabischen Zwischenhändlern ein, die Menschenjagden im Inneren Afrikas veranstalteten und nicht zu verkaufende Menschen gleich brutal ermordeten. Es gab extrem reiche Sklavenstützpunkte und Händler, die nicht europäischer Herkunft waren. Zwar wurde dieser Sklavenhandel durch den Hunger der Europäer auf Arbeitskräfte angetrieben, profitiert vom Menschenhandel haben aber genauso Afrikaner und Araber. Zum Zucker: zwar ist hoher Zuckerkonsum sehr schädlich, vieles relativiert sich aber einhergehend mit hohem Energieverbrauch. Grundübel ist fehlende Bewegung, verkümmernde motorische und koordinative Fähigkeiten, zu wenig sportliche Betätigung. Mittlerweile werden Kurzstrecken mit dem Auto gefahren; früher war das Zurücklegen von mehreren Kilometern zu Fuß üblich. Unser Kalorienverbrauch ist zu gering und unsere Ernährung dafür zu hochkalorisch.

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