König Charles.BBC

König Charles III © BBC

Brief von Julian Assange an den gekrönten Charles III

Red. /  WikiLeaks-Gründer Julian Assange schmort seit 2019 in einem Londoner Gefängnis und befürchtet eine Auslieferung in die USA.

Red. Auf declassifiedUK veröffentlichte Julian Assange am 5. Mai einen offenen Brief an König Charles III, den wir hier dokumentieren.


An Seine Majestät König Karl III,

Anlässlich der Krönung meines Lehnsherrn möchte ich Sie herzlich einladen, in Ihrem eigenen Königreich ein besonderes Königreich zu besuchen: das Gefängnis Seiner Majestät in Belmarsh.

Sicherlich erinnern Sie sich an die weisen Worte eines berühmten Dramatikers: «Barmherzigkeit ist nicht anstrengend. Sie tropft wie der sanfte Regen vom Himmel.»

Den wahren Wert einer Gesellschaft kann man daran erkennen, wie sie ihre Gefangenen behandelt. In dieser Hinsicht ist Euer Königreich sicher beispielhaft.

Das Gefängnis Belmarsh Eurer Majestät befindet sich an der prestigeträchtigen Adresse One Western Way in London, nur eine kurze Fuchsjagd vom Old Royal Naval College in Greenwich entfernt. 

Hier im Gefängnis Belmarsh sind 687 Ihrer treuen Untertanen inhaftiert, was das Vereinigte Königreich zum Land mit der grössten Gefängnispopulation in Westeuropa macht. Wie Ihre edle Regierung kürzlich erklärte, durchläuft Ihr Königreich derzeit «den grössten Ausbau von Gefängnisplätzen seit über einem Jahrhundert». Die kühnen Prognosen Ihrer Regierung erwarten, dass die Gefängnispopulation von heute 82‘000 bis in vier Jahren auf 106‘000 steigt. 

Als politischer Gefangener, der nach dem Willen Eurer Majestät im peinlichen Auftrag eines ausländischen Staates festgehalten wird, habe ich die Ehre, in den Mauern dieser Weltklasseeinrichtung zu leben. Wahrlich, Euer Königreich kennt keine Grenzen.

Während Ihres Besuchs in Belmarsh werden Sie Gelegenheit haben, die kulinarischen Köstlichkeiten zu kosten, die für Ihre treuen Untertanen mit einem grosszügigen Budget von zwei Pfund pro Tag zubereitet werden. Geniessen Sie die verschnittenen Thunfischköpfe und Undefinierbares, das angeblich aus Huhn hergestellt wird. Und keine Sorge, anders als in weniger bedeutenden Anstalten wie Alcatraz oder San Quentin gibt es kein gemeinsames Essen in einer Kantine. In Belmarsh speisen die Gefangenen allein in ihren Zellen, was die grösstmögliche Intimität der Mahlzeit gewährleistet.

Abgesehen von den geschmacklichen Genüssen kann ich Ihnen versichern, dass Belmarsh Ihren Untergebenen erlaubt, sich weiterzubilden. Der Bibelspruch 22:6 lautet: «Erziehe ein Kind in dem Weg, den es gehen soll, und wenn es alt ist, wird es nicht davon abweichen.» 

«Man erkennt den wahren Wert einer Gesellschaft daran, wie sie ihre Gefangenen behandelt.»

Julian Assange

Sie werden auch die Gelegenheit haben, meinem verstorbenen Freund Manoel Santos die letzte Ehre zu erweisen, einem schwulen Mann, dem die Abschiebung nach Bolsonaros Brasilien drohte und der sich nur acht Meter von meiner Zelle entfernt mit einem kruden Strick aus seinem Bettlaken das Leben nahm. Seine exquisite Tenorstimme ist nun für immer verstummt.

Wenn Sie mehr über Belmarsh erfahren möchten, dann besuchen Sie den isoliertesten Ort innerhalb der Mauern: Das Gesundheitswesen oder «Hellcare», wie es seine Bewohner liebevoll nennen. Hier werden Sie sich über vernünftige Regeln wundern, die der Sicherheit aller dienen sollen: beispielsweise das Verbot des Schachspiels. Nur das offenbar weit weniger gefährliche Spiel Dame ist erlaubt.

Beobachten Sie auch die Warteschlangen an der Medikamentenausgabe.

Tief im Inneren von Hellcare befindet sich der herrlichste Ort in ganz Belmarsh, ja im ganzen Vereinigten Königreich: die Belmarsh End of Life Suite. Wenn Sie gut hinhören, werden Sie vielleicht die Schreie von Gefangenen hören: «Bruder, ich werde hier drin sterben.»

Aber keine Angst, in diesen Mauern gibt es auch Schönes zu entdecken. Erfreuen Sie sich an den malerischen Krähen, die im Stacheldraht nisten, und an den Hunderten von hungrigen Ratten, die Belmarsh ihr Zuhause nennen. Und wenn Sie im Frühjahr kommen, können Sie vielleicht sogar einen Blick auf die Entenküken erhaschen, die von verirrten Stockenten auf dem Gelände des Gefängnisses abgelegt wurden. Aber beeilen Sie sich, denn die gefrässigen Ratten sorgen dafür, dass das Leben der Stockenten nur von kurzer Dauer ist.

Ich beschwöre Euch, König Charles III, das Gefängnis seiner Majestät in Belmarsh zu besuchen, denn es ist eine Ehre, die einem König gebührt. Möget Ihr Euch zu Beginn Eurer Regentschaft immer an die Worte der King James Bibel erinnern: «Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen» (Matthäus 5:7). Und möge die Barmherzigkeit die Richtschnur Ihres Reiches sein, sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Mauern von Belmarsh.

Ihr ergebenster Untertan,

Julian Assange


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Assange ist seit Jahren im Gefängnis Belmarsh eingesperrt.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Polizei1

Justiz, Polizei, Rechtsstaat

Wehret den Anfängen, denn funktionierende Rechtssysteme geraten immer wieder in Gefahr.

Bildschirmfoto20120807um11_24_46

Menschenrechte

Genügend zu essen. Gut schlafen. Gesundheit. Grundschule. Keine Diskriminierung. Bewegungsfreiheit. Bürgerrechte

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3 Meinungen

  • am 7.05.2023 um 11:55 Uhr
    Permalink

    Der Brief von Julian Assange ist «leider» sehr informativ. Ich kann nachvollziehen, dass nur noch Sarkasmus — oder kann man das noch Humor nennen? — Julian Assange sein schreckliches Schicksal ertragen lässt. — Gibt es nicht eine geeignete Person oder Institution, die König Charles III um eine Amnestie für Assange bitten könnte und dafür Unterschriften sammeln würde?

  • am 8.05.2023 um 14:45 Uhr
    Permalink

    Wahrscheinlich kennt Julian die Taten des Königs ziemlich genau, das schliesse ich aus den sarkastisch-hoffnungslosen Formulierungen.
    Vielleicht kennt er die Charles betreffende Akte noch genauer als das sektiererische kla TV?

    Ich befürchte, dass dem InfoSperber die Sicherheit der publizistischen Wirkungslosigkeit garantiert wurde, diesen sarkastische Notruf in der Funktion einer kontrollierten Ventilfunktion des Entrüstungsmanagements im engen Kreise der IS-Gemeinde zu zeigen, als Quasi-Beweis der Rede-, Meinungs-, und Meinungsäusserungsfreiheit des UK-US-Westens, womit die Doppelfunktion des IS nur den wenigen übertrieben-scharfsinnig-phantasievollen Lesern in kontrollierter Quantität insinuiert wird.
    Ich hoffe, mich zu täuschen und wünsche Julian Assange und uns allen die echte Freiheit!

  • am 9.05.2023 um 09:36 Uhr
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    Na dass klingt jetzt doch ziemlich krass. Ratten! In dem Fall wäre ich eher für bessere Haftbedingungen. Unwahrscheinlich daß Charles 3 einen «Verräter»der USA begnadigen kann, ohne das es selber in Ungnade fällt. Außerdem gibt es in England weder die Todesstrafe, noch das Arbeitslager. «Nur» die Hölle der Mayas ( hab ich 1980 Mal gelesen) Die Hölle der Mayas ist die «ewige Langeweile» . Kann auch sehr grausam sein. Besonders im Fall von Julian. Er hat nur die Wahrheit gesagt, ….. die nicht wahr sein darf.

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