Iryna Dovgan.ID

Iryna Dovgan wurde von einem russischen Soldaten vergewaltigt. Jahrelang konnte sie nicht darüber sprechen. © ID

«Still lag ich da, als der Soldat mich vergewaltigte»

Barbara Marti /  Russische Soldaten haben Iryna, Tanja und Ljudmyla vergewaltigt. Dem «Spiegel» schilderten sie ihre schrecklichen Erlebnisse.

Iryna Dovgan sorgte 2014 weltweit für Schlagzeilen. Sie war in Donezk von prorussischen Aufständischen entführt und an einer belebten Kreuzung an einen Laternenpfahl gefesselt worden. Ein Schild wies sie als ukrainische Spionin aus. Sie wurde von Passanten geschlagen, getreten und bespuckt. Ein Foto dieser Misshandlung ging damals um die Welt und soll ihr nach eigenen Angaben das Leben gerettet haben. Nach ihrer Freilassung sprach die heute 62-Jährige zwar öffentlich über diese Folter. Doch sie wurde damals auch vergewaltigt, was sie lange verschwieg. Erst Jahre später erstattete sie Anzeige. Doch das Verfahren wurde jahrelang verschleppt. Dovgan: «Die Ukraine war auf uns vergewaltigte Frauen schlecht vorbereitet.» Heute setzt Dovgan sich für Betroffene ein. Sie war die Einzige, die dem «Spiegel» die Erlaubnis gab, auch ihren Nachnamen zu veröffentlichen (Bezahlschranke).

«Ich konnte mir nicht vorstellen, weiterzuleben»
Tanja lebt in einem Dorf im Süden der Ukraine, wo sie aufgewachsen ist. Im März 2022 wurde es von russischen Soldaten eingenommen. Heute sagt sie: «Wir hätten fliehen sollen.» Doch damals wollten die heute 61-Jährige und ihr Mann das Dorf nicht verlassen. Sie hatten dort ein Geschäft und ein Haus. Zuerst plünderten Soldaten den Laden. Später durchwühlten und beschmutzten sie das Haus. Tanja musste für sie kochen.
Eines Nachts drangen Soldaten in ihr Haus ein. Einer richtete sein Gewehr auf ihren Mann und drückte ab. «Ich war mir sicher: Mein Mann ist tot», sagt Tanja. Die Soldaten bedrohten, schlugen und vergewaltigten sie. Sie liessen erst von ihr ab, als Artilleriefeuer zu hören war. «Einer von ihnen hat mein Nachthemd mitgenommen, wohl als ein grausames Andenken.» Tanjas Mann überlebte, weil ihn der Schuss knapp verfehlt hatte. «Er hat sich die ganze Zeit über totgestellt, meine Schreie gehört, die Vergewaltigung mitbekommen», sagt Tanja. Danach habe sie tagelang im Bett gelegen und geweint. «Ich konnte mir nicht vorstellen, weiterzuleben.» Lange Zeit habe sie sich geschämt und mit niemandem über das Geschehene sprechen können. Erst als sie andere Überlebende kennenlernte, brachte sie ihren Fall zur Anzeige.

«Ich hatte fürchterliche Angst»
Ljudmyla lebt in einem anderen Dorf in der Südukraine. Die heute 77-jährige ehemalige Lehrerin war 2022 im Dorf geblieben, als ihre Familie vor den Russen floh. Sie wollte auf das Haus aufpassen. Eines Nachts klopfte jemand ans Fenster. Ljudmyla: «Ich hatte fürchterliche Angst.» Der Soldat bedrohte sie und schlug ihr mit dem Gewehr ins Gesicht. Sie verlor Zähne und ihre Lippe riss auf. «Alles war voller Blut.»
Der Russe wollte von ihr wissen, wie viele Menschen noch im Dorf lebten und wer für die Ukraine spioniere. Wenn sie keine Antwort gab, schlug er sie. Ljudmyla: «Er hat mir mehrere Rippen gebrochen.» Nach dem stundenlangen «Verhör» habe er ihr mit einem Messer quer über den Bauch geritzt und sie vergewaltigt. «Still wie ein Mäuschen lag ich da, als er mich vergewaltigte.» Kurz vor dem Morgengrauen habe der Soldat ihr Haus verlassen. Ein Arztbericht, der dem «Spiegel» vorliegt, dokumentiert die Verletzungen.

Täter zur Rechenschaft ziehen
Ein Arztbericht als Beweismittel sei in Kriegszeiten selten, sagt die Völkerrechtsprofessorin Kateryna Busol von der Nationalen Universität Kiew-Mohyla Akademie. Die wichtigsten Beweise seien daher die Aussagen von Zeuginnen und Angehörigen. Doch die Opfer schweigen aus Scham oft lange. Anna Sosonska, Leiterin der Abteilung für sexualisierte Gewalt bei der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft, sagt, auch Fotos, Kleidung und Handys seien Beweismittel. Viele Vergewaltiger könnten aber nicht identifiziert werden, weil sie Gesichtsmasken trugen. In der Ukraine wurden bisher nur fünf russische Soldaten wegen sexualisierter Gewalt zu Haftstrafen verurteilt. Allerdings in Abwesenheit, denn sie sind inzwischen wieder in Russland. Der Internationale Strafgerichtshof untersucht vor Ort, ob Russland sexualisierte Gewalt als Mittel der Kriegsführung einsetzt. Sollte sich dieser Vorwurf bestätigen, droht den Verantwortlichen ein internationaler Haftbefehl und ein Prozess in Den Haag.

Entschädigung für Opfer
Iryna Dovgan, die bereits 2014 vergewaltigt wurde, klärt heute im Krieg vergewaltigte Frauen über ihre Rechte auf und dokumentiert Vergewaltigungen. Ihr Engagement führte dazu, dass die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft im Herbst 2022 eine Abteilung für konfliktbezogene sexualisierte Gewalt eröffnete. Diese schätzt die Zahl der von russischen Soldaten vergewaltigten Frauen, Männer und Kinder auf Tausende.
Ende letzten Jahres verabschiedete das ukrainische Parlament ein Gesetz, das Betroffenen Rechtsschutz und Entschädigungen in Höhe von umgerechnet 3000 Euro gewährt. Bis im März dieses Jahres haben bereits mehr als 500 Opfer von sexualisierter Gewalt eine solche Entschädigung erhalten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Die Autorin ist Redaktorin und Herausgeberin der Online-Zeitung «FrauenSicht».
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