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Rund 750 Millionen Liter Vittel-Wasser füllt Nestlé jedes Jahr in Flaschen ab © ZDF

Wegen Nestlé: Bewohner von Vittel sitzen bald auf dem Trockenen

Red. /  Im französischen Kurort Vittel pumpt Nestlé grosse Mengen Quellwasser ab. Seitdem sinkt der Grundwasserspiegel bedrohlich.

Die Gemeinde Vittel in den Vogesen ist bekannt für seine Mineralquelle. Doch die rund 5000 Einwohner sitzen zunehmend auf dem Trockenen. Laut einem Bericht des ZDF-Magazins «Frontal21» sinkt der Grundwasserspiegel jedes Jahr um 30 Zentimeter – in den letzten 40 Jahren ging er um 10 Meter zurück.

Umweltschützer sind alarmiert und geben Nestlé die Schuld. Denn der Schweizer Lebensmittelkonzern besitzt die Wasserrechte und zapft seit Jahren das Mineralwasser aus der dortigen Quelle ab, um es europaweit unter der Marke «Vittel» zu verkaufen. Mehr als 2 Millionen Liter Vittel-Wasser füllt Nestlé jeden Tag in Plastikflaschen. Zu viel, wie kritische Bürger meinen. Wenn das so weitergehe, befürchten sie, müsse das Trinkwasser für die Bewohner bald von auswärts herbeigeschafft werden.

Schon jetzt bekommen die Einheimischen zu spüren, dass die Quelle nicht ewig sprudelt: Vor allem in den heissen Monaten wird das Wasser für die Bewohner knapp. Im Sommer sei der Bürgermeister gezwungen, Wasser mit einem Tankwagen aus Nachbargemeinden zu holen, sagt ein Schäfer zu «Frontal21». Deshalb sollen die Leute vor Ort weniger Wasser verbrauchen: An einem öffentlichen Brunnen, wo jedermann Mineralwasser abfüllen kann, mahnt ein Schild: «Maximal sechs Flaschen täglich».

Öffentlicher Brunnen in Vittel (Quelle: ZDF/«Frontal21»)

Zuerst kommt Nestlé, dann kommen die Bürger

Die Bewohner in Vittel sind aufgebracht. Eigentlich wäre genug Wasser für alle vorhanden, doch das natürliche Quellwasser ist vor allem Nestlé vorbehalten. «Das ist, als würde man Menschen am Atlantik vorschreiben, in einem Pool zu baden mit Wasser aus dem Mittelmeer», sagt ein Anwohner im Beitrag von «Frontal21».
Nestlé ist Grossgrundbesitzer in der Region. 3000 Hektaren Land rund um Vittel gehören dem Konzern – eine Art Wasserschutzgebiet. Die Behörden erlauben Nestlé, pro Jahr eine Million Kubikmeter Quellwasser zu fördern, doch die einheimischen Schäfer dürfen das Wasser unter ihren Weiden nicht nutzen. «Das sei nicht möglich, kompliziert, verboten. Wir hätten kein Recht zu bohren», erzählt ein Schäfer. Sie müssen sich deshalb jeden Tag auf den Weg machen, um ausserhalb des Schutzgebiets Wasser für ihre Tiere zu holen.

Von einer akuten Wasserknappheit in Vittel will Nestlé indes nichts wissen. Das Schild am Brunnen habe man nur angebracht, «damit die Schlangen vor dem Brunnen nicht zu lang werden». «Der Schutz aller Quellen hat für uns oberste Priorität», heisst es in einer Stellungnahme auf der Webseite des Konzerns. «Daher engagieren wir uns seit über 25 Jahren für eine nachhaltige Wasserwirtschaft in der Region rund um Vittel». So habe man im Laufe der vergangenen zehn Jahre die Wasserentnahme freiwillig auf 750‘000 Kubikmeter pro Jahr reduziert. Zudem weist Nestlé im Beitrag von «Frontal21» darauf hin, dass der Konzern ein wichtiger Arbeitgeber in der Region sei und auch happige Steuern zahle – 14 Millionen Euro für die Abfüllanlage von Vittel und der benachbarten Stadt Contrex.
«Bürger zahlen, damit Nestlé Wasser exportieren kann»
Doch auch Nestlé hat inzwischen gemerkt, dass das unterirdische Reservoir der «Bonne Source» in Vittel nicht unerschöpflich ist. Der Grundwasserspiegel sinkt, selbst wenn weniger Quellwasser gefördert wird. «Derzeit ist die aus diesem Bereich entnommene Wassermenge höher als die Menge, die durch Regenwasser kompensiert wird. Die Behörden schätzen diese Fehlmenge auf jährlich rund eine Million Kubikmeter», teilt Nestlé mit. Das könnte ab 2050 die Wasserversorgung ernsthaft gefährden. «Es besteht daher dringender Handlungsbedarf», schreibt Nestlé auf der Homepage.
Auf das profitable Geschäft mit Vittel-Wasser will Nestlé aber nicht verzichten. Stattdessen soll eine Pipeline die lokale Bevölkerung künftig mit Wasser aus umliegenden Gebieten versorgen, berichtet «Frontal21». Die Kosten für die neue Wasserzufuhr wird aber nicht etwa Nestlé bezahlen – zu Kasse kommen die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Steuergeldern. «Rund 20 Millionen Euro, damit Nestlé weiter unser Wasser exportieren kann», kritisiert Odile Agrafeil, Mitglied der Umweltkommission CESER Grand Est die Pläne. «Das ist doch Unsinn. Denn Wasser ist ein Grundrecht.»

Fragwürdige Geschäfte mit Wasser

Immer wieder steht Nestlé wegen seiner Geschäfte mit Wasser in der Kritik. Indem Nestlé Wasserrechte kauft und jedes Jahr Unmengen an Wasser abpumpt, schlägt der Schweizer Konzern Profit aus einem Allgemeingut – auf Kosten der Umwelt und der Einheimischen in den betroffenen Gebieten. Oft zahlt Nestlé für die Wasserrechte nur einen Spottpreis, zum Beispiel im US-Bundesstaat Michigan. Dort zahlt Nestlé gerade einmal 200 Dollar für die Nutzung der Quellen – und pumpt dafür bislang jährlich fast 500 Millionen Liter Wasser.
Im Frühjahr 2017 stand Nestlé wegen seines Wassergeschäfts in Äthiopien am Pranger. Damals kämpften die Menschen in Ostafrika mit der schlimmsten Dürreperiode seit fünf Jahrzehnten. Rund 42 Millionen Äthiopier waren ohne Trinkwasser. Doch gleichzeitig eröffnete Nestlé gemeinsam mit dem lokalen Getränkeherstellers Abyssinia Springs eine Wasserabfüllanlage. Laut «The Guardian» werden dort pro Stunde 50‘000 Liter Wasser in Flaschen abgepumpt. Das Nachsehen haben die Einheimischen, die sich das teure Flaschenwasser nicht leisten können.


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8 Meinungen

  • am 2.06.2018 um 11:38 Uhr
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    Es ist ein Skandal, was Nestlé in verschiedenen Ländern mit dem Trinkwasser macht. Trinkwasser muss für alle kostenlos zur Verfügung stehen, und zwar nicht in Form von krankmachenden Süssgetränken! Es geht doch nicht, dass Trinkwasser privatisiert und verkauft wird. Wasser ist ein Gut, welches zur Existenzgrundlage und damit uns allen gehört und nicht einem Konzern, der Gewinne damit erwirtschaften will. Weshalb hört man diesbezüglich nichts von der UNO?

    Sicher ist die Gemeinde Vittel nicht ganz unschuldig. Hohe Steuereinnahmen sind verlockend. Ich hab’s gerade in Volvic gesehen. Dort macht Danone das grosse Geschäft.

    Die Verträge mit Nestlé und Konsorten könnte man doch auch kündigen, oder? Das ist zwar mit schmerzhaften Konsequenzen (u.a. Verlust von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen etc.) verbunden, aber immerhin könnte man dieses Geschäft mit dem Trinkwasser abstellen (wenn man wollte…).

  • am 2.06.2018 um 12:00 Uhr
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    Aethiopien, klar, die können sich wahrscheinlich nicht wehren oder korrupte Machthaber machen gemeinsame Sach mit Nestlé. Die Gemeinde in Michigan wehrt sich. Aber kann mir jemand erklären, warum Bewohnerschaft und Regierung von Vittel so blöd sind, die Machenschaften dieses berüchtigten Konzerns einfach hinzunehmen? ich weiss, sie haben die teuersten Anwälte, logisch. Aber es muss doch einen Weg geben, sie zu enteignen? Oder gibt es in Vittel etwa doch auch einige, die selber von Nestlé profitieren…?

  • am 2.06.2018 um 12:10 Uhr
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    Es hilft nur eines: alle Nestlé-Produkte auf breiter Basis boykottieren.

  • am 2.06.2018 um 17:16 Uhr
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    Ich boykottiere dieses unsägliche Unternehmen seit 15 Jahren. Sie machen mit Lebensnotwendigem Profit und deren CEO sagte doch an einem der WEF an einem Podium zu MR, er fordere Menschenrechte für Unternehmen. Ja, richtig gehört!

  • am 2.06.2018 um 21:17 Uhr
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    Würde niemand mehr Mineralwasser kaufen, hätte der Spuk ein Ende……es ist wie bei allem: man haut den Sack, weil man den Esel nicht hauen mag.(Vielleicht weil man selber einer ist?)

  • am 3.06.2018 um 12:32 Uhr
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    Nestlé ist ein Wolf im Schafspelz. Die Firma versteckt sich hierzulande hinter ihren eingekauften Marken wie Thommy (Senf etc), Findus, Hirz, Buitoni, Cristalp (Wasser), Frisco, Leisi, Maggi, Mövenpick, Le Parfait, Smarties etc. Dazu kommen die klassischen Marken (Nespresso, Nesquik etc.).

    Ich versuche, diese Marken zu umgehen. Ich bin mit der Philosophie der Firma nicht einverstanden.

  • am 4.06.2018 um 11:21 Uhr
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    Ja, Nestlé boykottieren ist der einzig richtige Weg, selbst wenn es wie ein Tropfen auf den heissen Stein erscheint. Leider sind diese Wasser-Machenschaften an anderen Orten noch viel übler. Jetzt wo es um den Wohlstand einer westlichen, europäischen Gemeinde geht, ist der Aufschrei gross, aber das macht Nestlé genau so überall auf der Welt. In Afrika hat keiner eine Gemeindeverwaltung, die dafür sorgt, dass sie ihr Wasser dann halt woanders her bekommen könnten. Woanders her bedeutet: Tanklieferungen, finanziert von Hilfswerken!

    Die Frage ist doch unterdessen eher, ob man Nestlé überhaupt noch effektiv boykottieren kann? Man kann wie ich, seit 20 Jahren, auf Produkte verzichten, die offensichtlich Nestlé herstellt, oder eine ihrer Tochterfirmen. Aber: es gibt so enorm viele Roh-, Zwischen- und Halbfertigprodukte, die nicht als von Nestlé stammend deklariert werden müssen und in vielen anderen Produkten stecken. Einen Überblick kann man sich als Kunde unmöglich verschaffen. Somit ist leider auch kein konsequenter Verzicht möglich.

    Nestlé ist unethisch, durch und durch! Seit Brabeks Aussage zum Thema «Recht auf sauberes Wasser», sollte das jedem bewusst sein! Nestlé, Monsanto und Co. sind weit vorne auf der Liste derjeniger, die täglich aktiv dazu beitragen, unsere Welt zu ruinieren, die Biodiversität zu schädigen und sich auf Kosten der Ärmsten der Armen zu bereichern! Die Zeche dafür werden unsere Kinder und Enkel zahlen müssen.

  • am 5.06.2018 um 11:11 Uhr
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    Leider ist die Situation ein bisschen komplexer als uns die Medien weismachen wollen. Schade, dass Infosperber – den ich sonst sehr schätze – hier in das Konzert der Polemiker miteinstimmt. Nun zu den Fakten: es ist unbestritten, dass der Grundwasserspiegel seit über 40 Jahren sinkt und die jährliche Wasserentnahme (aktuell 3.3 Mio. m3/Jahr) immer noch um 1.2 Mio m3/Jahr zu hoch ist. Diese 3.3 Mm3 gehen zu 47% an die beiden grossen industriellen Verbraucher (27% Nestlé/Vittel und 20% Fromagerie Ermitage), 22% an die Haushalte, 19% Verluste im Leitungsnetz und nur 5% an die Landwirtschaft. Weil alle Akteure das Problem längstens erkannt haben (bereits 1981 wurde eine Bewilligunspflicht für Grundwasserfassungen erlassen) sank der Wasserverbrauch von 4.5 Mm3/Jahr im Jahr 1980 auf die aktuellen 3.3 Mm3/Jahr. Da dies aber nicht ausreicht, setzt die Commission locale de l’eau (CLE) ein sogenanntes «Schéma d’Aménagement et de Gestion des Eaux» (SAGE) ein, mit dem Ziel den Grundwasserspiegel zu stabilisieren und ein Gleichgewicht zwischen Wasserentnahme und natürlicher Zufuhr herzustellen.
    Wahrscheinlich könnte man einfach die Wasserentnahmekonzession von Nestlé nicht erneuern und damit 1/6 der Steuereinnahmen und etwa 1000 Arbeitsplätze verlieren – in einer Region mit bereits hoher Arbeitslosigkeit (16.4%) und starken Abwanderungstendenzen. Oder man verfolgt die Idee der «Substitution» und holt sich das Wasser in benachbarten Einzugsgebieten.

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