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Überdimensionierter Maschinenpark auf Schweizer Kulturland © ponte1112-flickr-cc

Die Minus-Kalorien der Schweizer Landwirtschaft

Hanspeter Guggenbühl /  Die Schweizer Landwirtschaft verschlingt 2 bis 3-mal mehr Fremdenergie, als sie in Form von Nahrung erzeugt. Ressourceneffizienz?

«Der Bund sorgt dafür, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen wesentlichen Beitrag leistet zur sicheren Versorgung der Bevölkerung» und zur «Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen». Das verlangt schon der bestehende Landwirtschaftsartikel 104 in der Bundesverfassung (BV). Zusätzlich soll der Bund Voraussetzungen für eine «ressourceneffiziente Lebensmittelversorgung» schaffen. Das fordert der neue BV-Artikel 104 a über die «Ernährungssicherheit», dem die abstimmende Schweizer Bevölkerung am 24. September wahrscheinlich zustimmen wird, da es dagegen keine nennenswerte Opposition gibt.

Ernte an Nahrungskalorien

Diese Verfassungs-Grundsätze sind schön, aber die Wirklichkeit ist anders. Das zeigte schon die Statistik des Bundes über den sogenannten «Selbstversorgungsgrad» der Schweiz. So erzeugt die inländische Landwirtschaft netto (nach Abzug der Futtermittel-Importe) im Schnitt nur 50 bis 55 Prozent der Nahrungskalorien, welche die Bevölkerung in der Schweiz konsumiert. Weil 2016 die Ernte unterdurchschnittlich ausfiel, ist dieser Netto-Versorgungsgrad letztes Jahr auf 48 Prozent und damit auf weniger als die Hälfte gefallen.

Doch das ist erst ein Teil der Wahrheit. Denn die Statistik über den Versorgungsgrad misst innerhalb der landwirtschaftlichen Nahrungserzeugung nur den Output, also die auf Grosshandelsstufe abgesetzte Nahrungs-Energie, gemessen in Terajoule. In einem Durchschnitts-Jahr sind das schweizweit 22’000 Terajoule. Umgerechnet ergibt das pro Kopf der Bevölkerung eine Nahrungsmenge von rund 1700 Kilokalorien pro Tag, inklusive spätere Abfälle in Haushalten und Gastgewerbe.

Höherer Einsatz an Fremdenergie

Diese Bilanz vernachlässigt aber den Input in die landwirtschaftliche Produktion und ihre Produktionsmittel. Dazu gehört insbesondere der Einsatz an Fremdenergie in Form von Erdöl, Erdgas oder Elektrizität. Diesen Energie-Input ermittelt die landwirtschaftliche Forschungsanstalt Agroscope periodisch im Auftrag des Bundes, zuletzt über das Jahr 2012. Demnach benötigt die Schweizer Landwirtschaft pro Hektare Kulturland 51 Gigajoule Energie, was umgerechnet dem Energiegehalt von 1400 Litern Heizöl entspricht. Hochgerechnet auf die Gesamtfläche von 1,05 Millionen Hektaren Kulturland ergibt das eine Summe von rund 54 000 Terajoule (TJ).

Der gesamte Einsatz an Fremdenergie in die Schweizer Landwirtschaft (54 000 TJ) ist damit rund 2,5 Mal so gross wie ihr Output in Form von Nahrungsenergie (22 000 TJ). Noch negativer fällt die Schweizer Ernährungsbilanz aus, wenn man neben der landwirtschaftlichen Erzeugung auch die vor- und nachgelagerten Prozesse berücksichtigt. Dazu gehört der Energiebedarf der Lebensmittelindustrie, welche Rohwaren wie etwa Weizen, Gemüse oder rohes Fleisch zu Fertigprodukten wie Pizzas oder Hamburger verarbeitet. Ebenfalls nicht enthalten ist der Energieeinsatz in Küchen oder für den Transport der Nahrung.

Der landwirtschaftliche Energiekuchen


Die Agroscope-Untersuchung zeigt auch, wie sich der Energiebedarf der Landwirtschaft von 51 Gigajoule pro Hektare oder total 54 000 Terajoule zusammen setzt (siehe auch Abbildung): Der direkte Energieeinsatz macht knapp einen Drittel aus; darunter fallen vor allem Treibstoffe für Traktoren und andere Landmaschinen, fossile Brennstoffe für die Beheizung von Treibhäusern und Ställen sowie Elektrizität für die zunehmende Automatisierung in Scheunen und Ställen. Wesentlicher – aber zum Teil nicht mess-, sondern nur abschätzbar – ist der indirekte Energieeinsatz, der mehrheitlich im Ausland anfällt. Dazu gehört die sogenannt «graue Energie» für die Herstellung von landwirtschaftlichen Geräten und Gebäuden, von Düngern und Pflanzenschutzmitteln sowie importiertem Saatgut und Futtermitteln. Beim gesamten Input handelt es sich primär um nicht erneuerbare Energie wie Erdöl oder Erdgas; der Anteil erneuerbarer Energie in der Schweizer Landwirtschaft sei «verschwindend klein», betont Agroscope.

Im Vergleich zu andern Staaten ist die Schweizer Landwirtschaft «sehr energieintensiv», kommentiert Agroscope. Das liegt einerseits an der kleinflächigeren Struktur, andererseits am überdimensionierten Maschinenpark; der Umfang von Traktoren, Ställen und Gewächshäusern dürfte in den letzten Jahren stärker gestiegen sein als der mit Energie und Chemie gepushte Ertrag an Nahrung. Ebenfalls zugenommen hat die Abhängigkeit von importierten Züchtungen und Saatgut.

Mehr Effizienz, weniger Umwandlungs-Verluste

Um die negative Energiebilanz der Landwirtschaft ins Positive zu wenden, gibt es zwei Möglichkeiten: Erstens lässt sich der Energiebedarf von Landmaschinen und beheizten Gebäuden mittels Effizienzsteigerung wesentlich senken, betont Agroscope. Zweitens können die Umwandlungsverluste in der Nahrungskette reduziert werden. Denn auf dem langen Weg von den Feldern auf die Schweizer Teller gehen im Schnitt vier von fünf Nahrungskalorien verloren, der Grossteil bei der Umwandlung von Pflanzen (Gras, Kraftfutter) zu tierischen Produkten (Fleisch, Milch, etc.).

Das zeigen folgende Daten, basierend auf Statistiken von Bund und Bauernverband: Bei der Umwandlung von Gras sowie Kraftfutter (Getreide, Soja, etc.) zu tierischen Produkten wie Fleisch oder Milch und Eier betragen die Umwandlungsverluste in der Schweiz rund 90 Prozent. Bei den pflanzlichen Nahrungsmitteln (Brot, Teigwaren, Gemüse, Kartoffeln etc.) hingegen bleibt nur etwa die Hälfte der Kalorien in Form von Verarbeitungsverlusten auf der Strecke. Heute deckt eine Person in der Schweiz je etwa die Hälfte ihres Nahrungsbedarfs mit tierischen und pflanzlichen Kalorien. Was zeigt: Allein mit der Reduktion unseres Fleischkonsums zu Gunsten von Getreide, Gemüse und Früchten können wir die negative Schweizer Nahrungsenergie-Bilanz wesentlich verbessern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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5 Meinungen

  • am 5.09.2017 um 11:47 Uhr
    Permalink

    Sehr geehrter Herr Guggenbühl,

    es ist alles viiieeelll schlimmer…einige der zahlreichen möglichen quellen:

    https://blogs.scientificamerican.com/plugged-in/10-calories-in-1-calorie-out-the-energy-we-spend-on-food/
    https://www.theguardian.com/news/datablog/2013/jan/10/how-much-water-food-production-waste
    http://www.resilience.org/stories/2005-04-01/why-our-food-so-dependent-oil/

    der maschinenpark is wohl das kleinste Uebel oder?

    Hochachtungsvoll grüsst sie
    L.F.

  • am 6.09.2017 um 00:57 Uhr
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    Die Landwirtschaft stellt mit zugegebenermassen teilweise hohem Energieaufwand hochwertige Nahrungsmittel her. Insgesamt ist die Ökobilanz der CH-LW aber sehr gut. Dies vor allem wegen den ergiebigen Niederschlägen. Wir bewässern nur wenig und schon gar nicht mit fossilem Wasser. Das ist ein starker Trumpf. Guggenbühl unterschlägt solche positiven Aspekte bewusst oder aus Unwissen.
    Dass er nicht viel von der Materie versteht, beweisen seine Mutmassungen über den «überdimensionierten Maschinenpark». Ich arbeite heute mit doppelt so schweren Maschinen wie mein Vater vor 30 Jahren. Für die gleiche Fläche brauche ich nur noch halb so viel Zeit. Ich brauche aber nicht das doppelte an Treibstoff, also hat sich die Effizienz und die Umweltbilanz verbessert! Dank bodenschonender, moderner und «überdimensionierter» Bereifung erzeuge ich erst noch weniger Bodendruck (kg/cm2) als mit den früheren Maschinen. Die Gerätschaften werden überbetrieblich eingesetzt.
    Herr Guggenbühl ist nur einer von vielen Journalisten, welche die CH-Landwirtschaft in den Dreck ziehen. Seine Berechnungen sind irreführend, denn Energie wird auf unserer Welt ständig umgesetzt. Auch für seine Schreibe hat er übrigens Energie verbraucht. Ob sich das wohl für die Menschheit gelohnt hat…??
    Wir könnten anstelle der Traktoren alles wieder von Hand machen. Löhne zahlen, wie sie die Gewerkschaften so gerne fordern. Ach wäre das Gejammer gross, wenn dann die Konsumenten den vollen Preis dafür zahlen müssten 😉

  • am 6.09.2017 um 06:15 Uhr
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    Guten Tag Herr Seiler,

    lassen Sie mich eine Lanze brechen für Herrn Guggenbühl. Die zunehmend negative Energiebilanz der schweizerischen Nahrungsmittelproduktion scheint mir plausibel. Kann aber die Position der Bauern durchaus verstehen, sind sie doch gezwungen, auf immer kleiner Fläche immer mehr zu produzieren, um über die Runden zu kommen. Ich finde nicht, dass Herr Guggenbühl die schweizerische Landwirtschaft in den Dreck ziehen will, sondern einzig auf ein Problem aufmerksam macht, dass sich durch die sogenannte „Sachzwänge“ im globalisierten Agrarsektor ergeben. Schlussfolgerung: es macht meiner Meinung nach wenig Sinn, den Botschafter von schlechten Nachrichten verbal zu umzubringen, das Problem ist deswegen nicht vom Tisch.

  • am 6.09.2017 um 09:20 Uhr
    Permalink

    Dass es auch anders geht, zeigt dieser Fernsehfilm:
    http://www.3sat.de/page/?source=/nano/gesellschaft/194135/index.html
    "Die Westhof Bio GbR in Dithmarschen in Schleswig Holstein macht vor, dass Bioanbau mit ausgeklügelten Systemen auch ganz groß funktioniert. Sogar klimaneutral."

    Allerdings hat der Hof nicht den Charme eines traditionellen schweizerischen Betriebs.

    Die Berechnung der Energieausbeute hängt sehr stark von den Randbedingungen ab, wie der Beitrag auch sagt. Selbstverständlich ist es möglich und auch nötig, eine positive Energiebilanz zu haben, wie unzählige Kleinstbetriebe in aller Welt zeigen. In der reichen Schweiz ist die Frage nur ein Teil der Tatsache, dass wir generell mehrfach über unsere Verhältnisse leben, heute somit andere Länder ausbeuten, und morgen hungern werden, wenn uns das Geld ausgeht.

  • Pingback: Roman Hüppi: Selbstversorgungsgrad neu denken! | Heidis Mist,

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