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Bienen sammeln Blütenstaub, der mit mit Pestiziden verseucht ist © ConsoGlobe

Syngenta/Bayer gegen Pestizid-Verbot in Frankreich

Urs P. Gasche /  Neuste Studien beweisen, dass Neonicotinoide auch in kleinsten Mengen den Bienen schaden. Die EU und die Schweiz sind gefordert.

Die Pestizid-Konzerne Syngenta (ChemChina) und Bayer intervenierten bei der EU-Kommission und klagen vor dem Europäischen Gerichtshof. Sie bemühen stets das gleiche Argument: Das Neonicotinoide-Verbot ab 2018, das Frankreich zum Schutz der Bienen als erstes Land der EU bereits letztes Jahr beschlossen hat, würde den freien Handel behindern. Man müsse warten, bis der absolut eindeutige Beweis vorliege, dass die Pestizide dieser Klasse den Bienen schade. Die Konzerne finanzieren Studien, um Zweifel zu sähen.
Und sie scheinen sich durchzusetzen. Ein Arbeitspapier der neuen französischen Regierung vom 26. Juni 2017 schlägt vor, den Parlamentsbeschluss des letztes Jahres aufzuheben und die Neonicotinoide nicht strenger zu reglementieren als im Rest der EU.
Allerdings waren neue Studien, die erst am 30. Juni publiziert wurden, der französischen Regierung noch nicht bekannt.

NEUE BEWEISSTÜCKE

Am 30. Juni 2017 veröffentlichte die Wissenschafts-Zeitschrift «Science» gleich drei Studien über die Wirkung von nur geringen Dosen von Neonicotinoiden. Alle drei zeigen, dass diese Insektizide den Bienenvölkern schaden:

  • Ihre Überlebensfähigkeit und Fruchtbarkeit wird geschmälert (Science 356, 2017, 1393-95).
  • Bienen, die in der Nähe eines besprühten Maisfelds leben, sind vier Monate lang dem Insektizid ausgesetzt (Science 356, 2017, 1395-97).
  • Sofern zusätzlich noch Pilzmittel zum Einsatz kommen, verlieren Bienenstöcke ihre Königin und die Bienen lassen es an Nesthygiene fehlen. (Science 356, 2017, 1331-32)

Die Agrochemie-Konzerne befürchten, dass Frankreichs vorsorgliches, vom Parlament vor zwei Jahren beschlossene Verbot von Neonicotinoiden ab 2018 in Europa Schule macht. Der international tätige Verein Pollinis mit Sitz in Paris deckt mit einem umfangreichen Dossier das Falschspiel der Pestizid-Konzerne auf.

Seit Anfang Juni sammelt die NGO Pollinis Unterschriften, um Neonicotinoid-Pestizide in Europa generell zu verbieten und das in Frankreich beschlossene Verbot auch tatsächlich durchzusetzen.

Diese Pestizide gelten als Mitverursacher des breiten, rätselhaften Bienensterbens.

Mit riesigen Werbekampagnen in Brüssel und in den wichtigsten europäischen Zeitungen wollte und will die agrochemische Industrie ihre Neonicotinoide reinwaschen und Brüssel weichklopfen. Bei den Konzernen gehe es um Milliardengewinne, welche die Neonicotinoide jährlich einbringen.

Mitschuld am rätselhaften grossen Sterben von Bienen
Um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatte die EU ab 2014 für drei Pestizide der Familie der Neonicotinoide ein zweijähriges Anwendungsverbot erlassen. Betroffen war die Anwendung nur auf Feldern mit Mais, Raps, Sonnenblumen und Baumwolle – und dies nur «während der bienenaktiven Zeit». Die Schweiz hat sich diesem EU-weiten Teil-Moratorium angeschlossen.

Der Ausdruck «Bienenmörder Pestizide» stammt von Pollinis.

Jetzt am Ende dieses Moratoriums prüfen die Gesundheitsbehörden, ob das zeitweise Verbot das rätselhafte Bienensterben tatsächlich gestoppt oder gebremst hat. Ist dies nicht der Fall, werden die Neonicotinoide in allen EU-Ländern wieder ohne Einschränkungen erlaubt und das Totalverbot in Frankreich auf Befehl von Brüssel aufgehoben.

Moratorium mit Hintergedanken

Das Vorgehen tönt vernünftig und mag die Öffentlichkeit beruhigen. Doch zwei Gründe sprechen dafür, dass sich innert zwei Jahren kein Erfolg einstellen kann. Erstens haben frühere Studien gezeigt, dass zeitlich befristete Verbote einzelner Pestizide bei nur einigen Kulturen keine Auswirkungen auf die Gesundheit der Bienen haben. Für 85 Prozent der Weizenfelder und auf einen Grossteil des Obst-, Gemüse- und Kräuteranbaus galt das Verbot nicht.
Zweitens werden über 80 Prozent der ausgesprühten Neonicotinoide von den besprühten Kulturen gar nicht aufgenommen. Sie gelangen in den Boden, wo sie alle lebenden Organismen zerstören, die den Boden lebendig und produktiv machen. Weil sie sich im Boden Jahr für Jahr ansammeln, erreichen sie in der Erde manchmal Konzentrationen, die höher sind als nach europäischen Vorschriften erlaubt (Quelle: Bonmatin et al., 2005. Behavior of imidacloprid in fields. Toxicity for honey bees. Environmental Chemistry: Green Chemistry and Pollutants in Ecosystems (eds E. Lichtfourse, J. Schwarzbauer & D. Robert). Springer. New York).

In der Schweiz hat das Grundwasser-Überwachungsprogramm Naqua des Bundesamts für Umwelt Bafu an lediglich 50 von 545 Messstellen die beiden Neonicotinoide Imidacloprid und Thiacloprid gemessen und bei einer Bestimmungsuntergrenze von 10 ng/l keine Spuren gefunden. Zur Belastung der landwirtschaftlichen Böden erklärt das Bafu, über keine Daten zu verfügen.
Die Pestizide belasten also die Umgebungen langfristig und wirken auch nach einem Spritz-Stopp weiter (Quelle: Robin Sur, Andreas Stork, Uptake, translocation and metabolism of imidacloprid in plants, Bulletin of Insectiology 56 (1): 35-40, 2003).
Bis sich Neonicotinoide ganz abgebaut haben, kann es 3 bis 19 Jahre dauern (Quelle: Dave Goulson, An overview of the environmental risks posed by neonicotinoid insecticides, Journal of Applied Ecology 2013, 50, 977-987).
Als Folge davon kann man im Blütenstaub von nicht behandelten Kulturen, die auf früher mit Neonicotinoiden behandelten Feldern wachsen, Spuren dieses Pestizids finden. Dieser Blütenstaub wird von den Bienen gesammelt.
Diese Langzeitwirkungen von Neonicotinoiden werden es den Pestizid-Konzernen dieses Jahr am Ende des Moratoriums erlauben festzustellen, dass das zeitweise Verbot ihrer Produkte den Bienen nicht geholfen habe, diese also am Bienensterben nicht schuld seien.

Mit Pestiziden der Gruppe der Neonicotinoide macht die Agrarchemie-Industrie weltweit Milliardenumsätze.

Die EU-Behörden stützen sich auf Studien, die in industrie-eigenen Labors erstellt wurden und die Sicherheit der Produkte für die Bienen und die Umwelt beweisen sollen. Weitere von der Industrie finanzierten Studien prophezeihen, dass ein Verbot die landwirtschaftlichen Erträge stark schmälern würde. Böden und Grundwasser würden weiter mit diesen Pestiziden belastet und dann auch von Pflanzen absorbiert, die «nicht behandelt» wurden, kritisiert Pollinis.
Nicht untersucht habe die Industrie wohlweislich die Auswirkungen von Neonicotinoiden auf die Larven oder Eier von Bienen-Königinnen. Oder auf das Eierlegen der Königinnen oder auf eine gestörte Ernährung der Hummeln. Dafür gebe es jedoch mehr als nur Indizien (Quelle: Neonicotinoid Pesticide Reduces Bumble Bee Colony Growth and Queen Production, 2012,Whitehorn et al., Science 336;6079: 351-352 / siehe Bericht im Guardian). Eine unabhängige Studie weist auf Probleme von Bienen hin, die den Rückweg zum Bienenstock nicht mehr finden (Quelle: A Common Pesticide Decreases Foraging Success and Survival in Honey Bees, 2012; Mickael Henry et al.; Science 336, 348).

Die NGO geht in die Offensive

«Jetzt greifen wir die Lobbys der Agrochemischen Industrie mit deren eigenen Waffen an», erklärt Pollinis. Ziel ist ein umfassendes Verbot der «Bienenmörder»-Pestizide und ein «Übergang zu einer produktiven und wirklich nachhaltigen Landwirtschaft». Pollinis hat einen Zweitsitz in Brüssel eröffnet und dessen Vertreter treffen sich – nach dem Beispiel der Agro-Lobbyisten – mit möglichst allen Eu-Politikern und -Beamten, die über das Schicksal der Bienen und der Landwirtschaft entscheiden. Pollinis zeigt sich entschlossen, «mit Zähnen und Klauen gegen die einflussreichen Agenten der Agrochemieunternehmen zu kämpfen».
Um erfolgreich zu sein, brauche es allerdings eine massive Unterstützung der europäischen Öffentlichkeit.
Nach Informationen des «Guardian» aus Brüssel, soll die EU-Kommission wenigstens drei Pestizide der Familie der Neonicotinoide verbieten. Allerdings ist eine Klage von Syngenta und Bayer beim Europäischen Gerichtshof hängig. Die Pestizid-Konzerne wollen jegliche Verbote verhindern. Würden sie obsiegen, könnten sie die EU auf Schadenersatz für entgangene Gewinne während des zweijährigen Moratoriums verklagen.
Die neusten, in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Studienergebnisse könnte die Taktik der Konzerne durchkreuzen.
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Infosperber-Dossier:

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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Eine Meinung zu

  • am 3.07.2017 um 17:17 Uhr
    Permalink

    Herr Gasche, vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Jetzt ist mir klar, wozu das sogenannte Moratorium gut ist!
    Ich bin kürzlich im Internet auf «Pflanzenschützer.ch"gestossen. Es scheint eine Vereinigung zur «Meinungsbildung» zu sein. Als erstes stösst man auf einen Artikel mit der Überschrift:"Die Landwirtschaft nützt den Bienen».
    Bezahlt wird der «Pflanzenschützer.ch» u.a. von Bayer und Syngenta.

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